Dave Grohl über Helden


Als Kind hat Dave Grohl die Beatles und einen Torwart vergöttert. Heute - 15 Jahre nachdem er mit Nirvana "den kompletten Wahnsinn" erlebt hat - spricht Grohl nur selten darüber, daß er selbst zum Helden einer ganzen Generation geworden ist. "Das ist ein Selbstschutzmechanismus", erklärt er Christoph Lindemann.

Fünf Stunden vor dem Auftritt der Foo Fighters hat sich vor dem geschlossenen Kassenhäuschen am Münchner Zenith bereits eine Traube von Menschen gebildet. Es hat minus neun Grad, und aus den Parka- und Pelzkapuzen blicken Gesichter, die jeden Neuankömmling hoffnungsvoll mustern. Für Karten würden sie viel Geld bezahlen, doch frieren die meisten von ihnen vergeblich: Das Konzert ist seit Wochen ausverkauft. Die Foo Fighters, ein Projekt, das Dave Grohl nach dem Ende von Nirvana zunächst ohne große Ambitionen ins Leben gerufen hat, haben sich zu einer der größten Rockbands unserer Zeit entwickelt. Die Platten, an denen Grohl beteiligt war, wurden insgesamt knapp toomal mit Gold und Platin ausgezeichnet – sie haben sich weltweit etwa 45millionenmal verkauft. Der sympathische Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger wird von unzähligen Jugendlichen mit religiösem Eifer verehrt. Weshalb man auch durchaus mal in der katholischen Enzyklopädie die Definition von „Held“ nachschlagen kann. „Krieger, Halbgott“, steht da geschrieben. Jemand, dessen „Mut, Ruhm und Andersartigkeit ihn hoch über seinesgleichen erheben“. Guten Tag, Dave Grohl.

DAVE GROHL: Hallo. Ich brauch noch schnell ein Feuerzeug – so. Über was sprechen wir? Helden? Okay.

Du warst sehr jung, als Nirvana zur größten Band der Welt wurden. Wie bist du damals mit deiner Rolle als Held umgegangen?

Ich war ein Kind. Das war total verrückt, ein Erlebnis der völlig anderen Art.

Hast du bewußt wahrgenommen, in welche Situation du gekommen bist? Daß es nicht ungefährlich sein kann.

wenn so viele Menschen so hohe Erwartungen in dich legen, dich so bewundern?

Nein. Das war wie in dem Film – war das „Herr der Fliegen“, in dem die ganzen Kinder auf einer Insel stranden? So ähnlich – der komplette Wahnsinn.

Hast du den Boden unter den Fußen verloren?

Ich hatte zum Glück einen Notfallplan. Als ich gemerkt habe, daß sich alles um uns drastisch verändert und daß das gefährlich für unsere kleine Welt werden kann, hab ich beschlossen, daß ich bei meiner Familie bleiben muß. Das war wichtig für mich: Ich mußte die Nähe zu meiner Familie und den alten Freunden, mit denen ich aufgewachsen bin, aufrecht erhalten. Das war das einzige, was mich in der Realität verwurzelt hat. Alles andere war totaler Irrsinn. Wir hatten nicht erwartet, daß sowas mit dieser Band passieren würde, weshalb wir auch in keiner Weise darauf vorbereitet waren.

Bist du mit der Situation damals anders umgegangen als Kurt Cobain?

O Mann, ja! Er hatte ja keine so enge Beziehung zu seiner Familie. Ich steh meinen Leuten sehr nahe – wir sind einfach Freunde. Meine Schwester, meine Mutter, mein Vater, meine Frau und ihre Familie. Wir gehen zweimal in der Woche zusammen ins Kino, wir treffen uns dauernd zum Abendessen und so. Das ist toll. Aber er hatte das nicht. Und da verirrt man sich leicht, weil man nicht weiß, was man glauben soll, wenn so ein Wahnsinn losgeht. Das ist wie bei einem Tornado – alles wird in die Luft gewirbelt, und es ist schwer, Sachen zugreifen … oder sie zu begreifen.

Ware es heute leichter, in so einer extremen Situation zu bestehen?

Nein. Wenn du heute 22 bist, ist da kein großer Unterschied. Wir waren Kinder. Gib mal einem 22jährigen eine Million Dollar – was soll dabei rauskommen?

Wie kommst du heute damit klar, daß du von vielen Leuten angebetet wirst?

Ich blende das einfach aus. Vielleicht ist das eine Art Selbstschutzmechanismus, weil es einfach zu sonderbar ist. Aber ab und zu denke ich dann doch darüber nach und merke auch, daß ich auf irgendeine Art wohl Verantwortung trage. Ich seh mich zwar nicht als Vorbild für Kinder, aber ich fände doch schön, wenn andere Menschen in sich auch ein bißchen Bescheidenheit und Mitgefühl entdecken. Und Neugier und Romantik und Phantasie, solche Sachen. Aber… ich kann mir nicht vorstellen, daß ich … Hmm. Siehst du, was passiert, wenn man sich über diese Rolle im Leben erst mal Gedanken macht? Ich glaube, Bono ist jemand, der weiß, daß er sehr große Verantwortung trägt. Oder anders gesagt – er hat sich dazu entschieden, sich so große Verantwortung aufzuladen. Er will so eine Rolle spielen. Und Gott segne ihn – er tut viele großartige Dinge. Aber die Verantwortung wäre mir zu groß.

Wo zieht man da die Grenze? Dürfte Lance Armstrong der Held von fast jedem jugendlichen Radsportler zum Beispiel Lügen über die Medikamente erzählen, die er vielleicht zum Radfahren nimmt?

Das ist schwer zu beantworten. Aber sagen wir mal so: Wir leben alle in unseren kleinen Welt – jeder in seiner eigenen. Das wichtigste Ziel in meinem Leben ist es, dafür zu sorgen, daß meine kleine Welt ein glücklicher Ort ist. Dazu gehört auch meine Familie. Mein zweitwichtigstes Ziel ist, allen anderen zu helfen. Man versucht eben, zu tun, was richtig ist. Jeden Tag. Das beginnt damit, für jemanden die Türe aufzuhalten oder einem Obdachlosen 20 Dollar zu geben. Und am Ende des Tages geht’s dirgut, wenn du dich richtig verhalten hast. Wenn du Scheiße baust, mußt du zehnmal so viele gute Sachen machen, um das wieder auszugleichen. So lebe ich mein Leben.

Ein nobles Konzept. Mochtest du früher Superhelden?

Oh ja. The Thing. Er war orange und sah aus, als bestünde er aus Ziegeln. Der war ziemlich cool, obwohl er keine besonderen magischen Kräfte oder so hatte. Ich glaube, daß er nicht mal fliegen konnte. Er war einfach nur total stark. Ein bad motherfucker. (lacht) In den USA spielt das Konzept von Superhelden kulturell eine große Rolle. Warum ist das so?

Ich glaube, das ist einfach toll für Kinder. Ihre Phantasie ist so lebendig. Irgendwann verabschieden sich die meisten Leute von solchen Träumen – obwohl natürlich manche auch ihr ganzes Leben lang Comics sammeln. Zu denen gehöre ich nicht. Aber ist das nicht auf der ganzen Welt so? Nun, in den USA gibt es zum Beispiel eine Verschwörungstheorie, die besagt, daß die amerikanischen Superhelden Propaganda seien, um die Moral der Menschen in schlechten Zeiten zu stärken…

Na ja, schon. So läuft es oft. Da mußt du nur nach Japan schauen: Tokio ist zum Beispiel eine der größten, hektischsten, dreckigsten Städte, die ich je gesehen habe. Nicht äußerlich dreckig – vermüllt oder so -, die Stadt ist eher subtil schmutzig: einfach eine schwarze, bleierne, monolithische Skyline, die in eine Wolke von Autoabgasen gehüllt ist. Aber alles ist total bunt. Die Werbetafeln sind farbig und fröhlich, alles ist süß und lustig. Das ist dann die Kehrseite der Kultur- man will bunte, süße Sachen sehen, weil es so stressig und düster ist, in einer verschmutzten, grauen Stadt wie Tokio zu leben. Das ist Eskapismus. Du brauchst etwas, wovon du träumen kannst, um mit der Realität gut klarzukommen.

Wer waren deine Helden, als du aufgewachsen bist?

Ich hab die Beatles vergöttert. Ich erinnere mich, daß das die erste Band war, die ich wirklich, wirklich toll fand. Ich hatte schon davor Musik gehört. Aber ich muß ungefähr sieben Jahre alt gewesen sein, als ich angefangen hab, Beatles zu hören, und die kamen mir vor wie Magier. Es war so cool, daß die Musik machen konnten, die so einfach war. Und dann gab es einen Eishockeytorwart, der in der Olympiamannschaft von 1980 war: Jim Craig. Der Typ war mein absoluter Held. Ich schwör’s … (ringt nach Worten) unglaublich. Ich weiß nicht mal genau, was er damals für mich bedeutet hat. Aber keine Ahnung, der hätte auch Präsident sein können, so toll fand ich den.

Du hast versucht, ihn anzurufen, stimmt’s?

(lacht) Ich glaube, ich hatte seinen Onkel dran. Ich hatte im Sports-Illustrated-Magazin gelesen, daß er in einer bestimmten Gegend von Massachusetts wohnt. Also hab ich die Auskunft angerufen – ich war elf Jahre alt oder so – und eine Nummer bekommen. Das Ergebnis war ernüchternd: „Tut mir leid, der wohnt hier nicht, das ist nicht seine Nummer.“ Aber vor vier Jahren ungefähr spielten wir bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City. Jim Craig war wegen irgendeiner Benefizveranstaltung in einem Eisstadion in der Stadt. Ein Journalist, der meine Geschichte mit Craig kannte, hielt mir plötzlich ein Telephon ans Ohr. Dude, ich war sowieso schon unfaßbar aufgeregt – wir sollten gleich für eine Fernsehübertragung vor acht Millionen Leuten spielen, es hatte null Grad, die Bühne war draußen.

Und Jim Craig hat gesagt: „Hey, heute Nacht gehst du da raus, und du gibst es den Leuten, wie wir es den Russen 1980 gegeben haben.“ (lacht) Das war unglaublich.

David Bowie und Bono hast Du als Jugendlicher ebenfalls bewundert. Beide hast Du inzwischen getroffen.

Bono hat ein ziemlich einschüchterndes Auftreten. Er benimmt sich eindeutig wie jemand, der ein bißchen larger than life ist. David Bowie nicht. Bowie war sehr offen und einladend. Der wirkt eher wie ein Prinz oder so. Wie ein Adeliger. Sehr lustig auch, fucking cool. Ein guter Kerl. Aber in solchen Situationen ist man immer zunächst mal ein bißchen nervös, weil einem diese Leute tatsächlich erst mal überlebensgroß vorkommen – davor waren sie schließlich immer nur ein zweidimensionales Foto auf einer LP oder in einem Heft, und plötzlich sind sie Fleisch und Blut. Genau darüber hab ich mit David Bowie geredet. Wir waren im Studio und ich hab erzählt, wie ich zum erstenmal irgendeine andere Legende getroffen hab, ich weiß gar nicht mehr wen. Und ich hab gemeint, daß ich total überrascht war, wie klein diese Person in Wirklichkeit war. Ich erzähle gerade so, was mir durch den Kopf gegangen ist, als ich diese Berühmtheit getroffen habe, und wie anders ich sie mir vorgestellt hatte, da nimmt mich Bowie plötzlich am Arm und sagt: „Und was hast du gedacht, als du mich zum erstenmal getroffen hast?“ Er hatte mich in die Ecke gedrängt! Ich dachte mir, o Gott, was sag ich jetzt? Und dann hab ich eben zugegeben, daß ich ihn tatsächlich ein klein bißchen furchterregend fand. Das fand er gut. (lacht)

Stephen Dubner hat ein Buch über seinen Helden geschrieben, den Football-SpielerFranco Harris. Es heißt „Confessions Of A Hero-Worshipper“, und er erzählt darin, daß er als Kind, das ohne Vater aufgewachsen ist, große Sehnsucht nach Helden hatte…

…ah! Interessant.

Deine Eltern haben sich scheiden lassen, als du sechs Jahre alt warst. Wie hast du deine Kindheit in einem Haus erlebt, in dem kein Vater anwesend war?

Nun, mein Vater ist immerhin in der gleichen Stadt geblieben. Ich hab ihn schon viel gesehen. Trotzdem bin ich in einem Haus mit zwei Frauen aufgezogen worden. Aber es gab einen Typen, der für mich ein echter Held war: Chip Donaldson, der drei oder vier Jahre bei uns gewohnt hat. Er war ein Vorbild für mich im Alter von neun bis zwölf- und das sind sehr prägende Jahre, eine Zeit, in der man zu dem Menschen wird, der man ist, – und Chip war ein Naturmensch. Er war immer Angeln, Jagen, hat im Wald gelebt und konnte sich von der Natur und dem Boden ernähren. Das wollte er an mich weitergeben. Also hab ich mit ihm viel Zeit im Wald verbracht. Wir waren Zelten und Wandern und Angeln und so. Und für mich war er einfach der Größte. Er kam mir vor wie ein Zauberer oder ein Professor, weil er so viel wußte. Dazu kam, daß er so stark war und wahnsinnig nett. Genau so woll te ich sein.

In deinem Song „My Hero“ heißt es: „Don’t the best of them bleed it out, while the rest of them peter out. „Besteht die Gefahr, daß man sich verausgabt, bis man umkippt, wenn so viele Leute Erwartungen haben?

Natürlich. Man muß ein Gleichgewicht finden. Wenn du die Balance zwischen Geben und Nehmen findest, dann ist alles in Ordnung. Ab und zu aber kippt die Waage, und das spürst du dann auch.

Kommt es oft vor, daß deine Batterien leer sind?

Jedes Jahr, seit zehn Jahren. Normalerweise touren wir, bis wir diesen Punkt erreichen. Wenn ich meine Familie zu sehr vermisse, wird das schnell zu einem Problem.

Im American-Heritage-Lexikon wird betont, daß ein Held meist „sein Leben für eine Sache opfert oder aufs Spiel setzt“. Hast du das für den Rock’n’Roll getan ?

(lacht) Ja. Ich hab mein Leben auf jeden Fall dieser Sache verschrieben. Und damit opfere ich viele der guten Sachen, die das Leben zu bieten hat. Ganz normale Dinge, die für die meisten Leute selbstverständlich sind. Eine Art häusliches, normales Leben.

In einen Supermarkt gehen zu können …

Ja. Das klingt lächerlich, aber von solchen Sachen träumen Rockbands, (lacht) Und in all den Jahren mußt du auch mal dein Leben riskiert haben – ist nie irgendwas runtergefallen oder so?

Lustig, daß du das sagst -bei dem Festival, das wir in Österreich gespielt haben, hat sich unmittelbar vor unserem Auftritt ein unfaßbar großer Scheinwerfer gelöst. Der hat 50 Zentimeter neben uns eingeschlagen. Wenn der getroffen hätte – das hätte ich nicht überlebt.

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