Büstenhalter
Er posiert mit Ludwig van Beethoven und hat's derzeit mit den deutschen Klassikern - der Goldene Reiter Joachim Witt ist wieder ganz oben auf der Erfolgsleiter angelangt.
So richtig lustig findet er’s nicht. Der Mann ist sogar ernstlich verstimmt, und er beschwert sich. Just ist Joachim Wirt im „Hanse“-Zimmer des Hamburger Maritim-Hotels angekommen – mit anderthalb Stunden Verspätung. Während er, sichtlich gehetzt, seine Jacke auszieht und sein Mobilphon aus der „Star CIub“-Reiselasche fingert, richtet er das Wort an den Betreuer von der Plattenfirma. Denn die hat ihm mit offenbar wenig durchdachter Terminplanung die Verspätung eingebrockt. Eine Szene, die viel Aufschluss über die Person Witt gibt: Statt, wie seine eher martialische Musik vermuten ließe, in heiligem Zorn die Faust auf den lisch zu donnern und mit mächtigem Gebrüll den Nächstbesten zusammenzustauchen, gibt Witt mit leiser Stimme, ruhig im Ton, wenngleich nur mühsam beherrscht, seinem Unmut Ausdruck. Hanseatisch vornehm sozusagen. Der Mann, der mit „Bayreuth“ vor zwei Jahren ein überraschendes Comeback schaffte und ob seiner von schweren Gitarren getragenen und vermeintlich deutschtümelnder Lyrik befrachteten Musik prompt als Rechtsausleger der Szene gebrandmarkt wurde, ist im wirklichen Leben ein kultivierter, etwas wunderlicher Schöngeist. Kein Mann der markigen Sprüche, eher einer, der den Kern jeder Aussage behutsam einkreist, die Worte bedächtig ertastet, sich in eingeschobenen Nebensätzen erklärt. Seine hanseatische Zurückhaltung, gepaart mit dem ewigen Zweifel des Intellekts, und die gepflegte, betont unauffällige Erscheinung wollen so gar nicht zum vielfach als hohl, kitschig und plump gehandelten Pathos seiner Musik passen.
700 Exemplare hat Witt seit 1998 von seinem Werk „Bayreuth“ unter die Leute gebracht – und das nicht nur, weil sich clevere Marketingstrategen das wenig schöne Schlagwort von der „Neuen Deutschen Härte“ ausgedacht haben – in derselben Schublade landeten auch die Kollegen von Rammstein. Witts düster dräuende Klanglandschaften Wagnerianischen Formats, aufgemotzt mit einer massenverträglichen Industrial-Injektion, treffen ganz offensichtlich ein allgemeines Bedürfnis nach Romantik, Mystik, Pomp und Pathos. Sonor rollende R’s als passende Stilmittel und bedeutungsschwangere Poesie („Die Flut“, „Das geht tief“, „Das jüngste Gericht“) kommen hinzu. So viel steht fest: Beim Anhören von „Bayreuth“ macht man keine Witze. Witt ist das wurscht, was zählt, ist der Erfolg: „Meine Musik und meine Texte sind schließlich durchaus kalkuliert, es steckt da eine gewisse Strategie dahinter. Ich will mich ja auch gegen andere abgrenzen.“ Wohl wahr, die Figur Witt steht für ein rundes, in sich schlüssiges Konzept. Und nach nunmehr fast drei Jahrzehnten im Business ist der Meister froh, seine Formel gefunden zu haben. Zumal er in diesen 30 Jahren alle Aufs und Abs eines Musikerlebens in Deutschland erlebt hat.
Witt entstammt einer, wie er sagt, „bürgerlichen“ Hamburger Familie. Sein Vater pflegte künstlerische Ambitionen eher nebenbei, dilettierte als Schriftsteller und Theaterkritiker, spielte überdies Klavier. Das musikalische Talent jedoch glaubt Witt von seiner Großmutter geerbt zu haben: „Auch meine Mutter spielte Klavier. Deren Mutter, meine Oma, war jedoch eine begnadete Sängerin, sie hatte eine wunderschöne Stimme. Ich glaube, da ist bei mir einiges hängengeblieben.“ Zum Erweckungserlebnis in Sachen Popmusik werden ihm, wie so vielen seiner Generation, die frühen Beatles: „Da war ich hin und weg. Immer wenn ich die gesehen habe, stand ich kurz vor der inneren Revolution. Sie verkörperten den Frust über die gesellschaftliche Stagnation der frühen 60er Jahre, symbolisierten den Willen zum Aufbruch.“ Wenig später bekommt der Junge eine Gitarre zu Weihnachten, bringt sich das Spielen mit Hilfe von Grifftabellen selbst bei und landet alsbald in seiner ersten Schülerband, wo Kinks, Stones, Beatles und Pretty Things gecovert werden. Witts erste Versuche mit eigenem Material datieren zurück in die frühen 70er Jahre. Damals orientiert er sich jedoch noch stark an angloamerikanischen Vorbildern wie Led Zeppelin, Leslie Wests Mountain oder Ginger Baker. Hierzulande beeindrucken ihn zuerst Neu! und Can. Erste Erfolge, noch mit englischen Texten, gelingen Joachim Witt mit der Band Düsenberg. Nach drei Alben jedoch ist Schluss, Witt steigt aus, will es fortan allein versuchen. Er erzählt: „Ich fand keine Leute, die ähnliche Vorstellungen hatten wie ich. Die meisten haben nur gesagt: Der Witt hat ja ’n Knall, der ist ja nicht ganz dicht.“ Verständnis für seine eigenwilligen Ideen findet er erst bei Gleichgesinnten wie dem Can-Drummer Jaki Liebezeit und dem Toningenieur René Tinner, die ihn bei seinen späteren Hits begleiten.
Inzwischen haben Künstler wie Roxy Music (Witt: „extrem amüsant“), Bowie, die kühlen, nichtsdestotrotz versierten Talking Heads und nicht zuletzt Schnodderpoet Lindenberg für einheimische Musiker den Weg zur erfrischend verspielten und eigenständigen Neuen Deutschen Welle geebnet. Für den blonden Hamburger platzt der Knoten 1980 gleich mit der Debütsingle „Goldener Reiter“. Das Lied von dem Mann, der, hoch auf der Leiter, wieder abfällt, wird zu einem der erfolgreichsten Gassenhauer jener Ära. Aber anders als das Original des „Goldenen Reiters“, das Dresdner Standbild von August dem Starken, der von jeher unbeirrt auf seinem Sockel steht, kann sich Witt trotz eines veritablen Nachfolgehits, „Herbergsvater“, nicht lange oben halten – zu sehr ist sein zackigdeutscher Sprechgesang der modischen Dada-Ästhetik jener Tage verpflichtet, zu sehr sein Image das des schrulligen NDW-Kaspers. Für Joachim Witt beginnt die bleierne Zeit, er ist, so scheint es, unwiderruflich in der Versenkung verschwunden. Jahrelang muss er mit drittklassigen NDW-Festivals über die Dörfer ziehen und zum Playback seinen größten Hit mimen („eine Perspektive, die mich eine Zeit lang ziemlich fertig gemacht hat“). Hinzu kommt eine schwierige private Trennung. Gevatter Alkohol tut das Seine („zeitweise hab‘ ich echt zuviel getrunken“). In der Rückschau jedoch ist Witt dankbar für diese Jahre: „Ich habe da verdammt viel gelernt. Vor allem, mit dem Publikum umzugehen. Ich erinnere mich an eine Situation in Wien zu Beginn der 90er Jahre, als plötzlich der Strom ausfiel. Ich musste ganz allein zehn lange Minuten, ohne irgendwelche Hilfsmittel, das Publikum bei Laune halten. Das sind unbezahlbare Erfahrungen.“
Erst Mitte der 90er Jahre erwacht der Künstler Witt langsam zu seinem zweiten Leben. In der Erinnerung ein schwieriger Prozeß: „Ich hatte eine Phase hinter mir, in der mein Antrieb ziemlich brachlag, ich hab‘ ja nicht mal mehr Gitarre gespielt. Das kam erst zögerlich wieder, es war eine lange Phase des Umbruchs.“ Dann aber geht’s zunehmend aufwärts. Auch weil die Dinge privat wieder ins Lot kommen: Witts heutige Lebensgefährtin, Nadja, taucht auf- neue Liebe, neues Glück, „Und das hat ja in gewisser Weise oft auch Einfluss auf die berufliche Situation. Bei der Arbeit an ‚Bayreuth‘ war sie sehr stark involviert.“ Nadja ermutigt ihn zu seiner neuen Richtung, und wenig später kommt der Kontakt zu „Strangeways“ zustande, Witts Plattenlabel, das die ersten Demos begeistert aufnimmt. So weit, so gut – aber auch so schlecht: Denn als „Bayreuth“ im Frühling 1998 erscheint und sogleich überraschend erfolgreich wird, verdächtigt ihn die Kritik des latenten Nationalismus, wird sein Neo-Romantizismus in die Nähe faschistoider Ästhetik gerückt. Der explizite Flirt mit der deutschen Klassik tut ein Übriges. Heute schmunzelt Witt über diese Medienreaktion, damals jedoch verletzt sie ihn, fühlt ersieh missverstanden. Aber Witt hat längst seine Erfahrungen mit derlei Angriffen gemacht: „Das war doch früher, zu NDW-Zeiten, genau dasselbe: Man warf uns vor, faschistische Symbole zu benutzen. Die haben alle nicht begriffen, dass viele von diesen NDW-Bands mit dieser Ästhetik Begriffe wie Macht und deren Symbole nur ironisieren, Autorität in Frage stellen wollten. Das war bei meinem Song ‚Herbergsvater‘ genauso.“ Eine Erklärung für die auffällige Empfindlichkeit im Lande (siehe auch die Kontroverse um Rammstein) glaubt der Mann, der sein Domizil vor einigen Jahren vom hektischen Hamburg ins beschauliehe Lauenburgische verlegte, ebenfalls zu kennen: „Das deutsche Volk hat Probleme mit seiner kulturellen Identität. Wir haben immer noch diese schwere Last der Vergangenheit im Gepäck. Da fehlt eine gewisse Gelassenheit, statt dessen werden die Leute bei diesem Thema sehr schnell hysterisch. Ich kann mich in diesem Zusammenhang an einen ziemlich schlampig recherchierten Artikel im ‚Spiegel‘ erinnern, den ich bis dahin für ein seriöses Blatt gehalten haue Die haben einfach alles über einen Kamm geschoren.“
Der Stachel sitzt immer noch, aber die Vorwürfe lassen ihn kalt. Witt ist daran gelegen, neben einer moderaten Weiterentwicklung mit seinem neuen Album auch eine gewisse Kontinuität zu dokumentieren. Verständlich also, dass er den „Bayreuth“-Nachfolger schlicht „Bayreuth II“ nennt. So kommen gar nicht erst Zweifel an der musikalischen und konzeptionellen Richtung auf. Die Devise lautet: „Never change a winning team“. Dabei gibt es durchaus Unterschiede zu „Bayreuth I“ – und wieder kommt der Gedanke der Abgrenzung ins Spiel: „Ich wollte weg von den heavy Gitarren, das machen schließlich andere Bands auch. Ich wollte die Gitarren in einem anderen Zusammenhang, nicht so vordergründig, einsetzen.“ Der insgesamt weichere, differenziertere Charakter von „Bayreuth II“ erklärt sich denn auch aus dem einfachen Umstand, dass Witt diesmal sämtliche Songs allein mit der akustischen Gitarre komponiert hat. Konventionelles Songwriting – Witt goes Lagerfeuer. Zudem gab’s für „Bayreuth II“ prominente Schützenhilfe. So trug Witt seit langer Zeit die Idee mit sich herum, eine Cover-Version des Silly-Klassikers „Bataillon d’Amour“ aufzunehmen. Er hatte das Lied zwar schon in den 80er Jahren gehört, wurde aber durch Lebensgefährtin Nadja, die selbst aus Ostdeutschland stammt, auf die Musik der ehemaligen DDR aufmerksam. Die Plattenfirma schlug vor, dass Witt „Bataillon d’Amour“ zum zehnjährigen Jubiläum der Wiedervereinigung in Berlin gemeinsam mit Silly und einem Orchester aufführen sollte. Daraus wurde zwar nichts, trotzdem machte man sich daran, eine eigene Version auf die Beine zu stellen. Kein Geringerer als Meat Loaf-Partner Jim Steinman wurde beauftragt, erste Layouts einer Witt-Version von „Bataillon d’Amour“ zu produzieren. Künstlerisch eine durchaus nachvollziehbare Paarung, gilt Steinman doch als Freund des Getragenen. Umso enttäuschender fielen dessen Entwürfe aus, offenbar schlampig und wenig durchdacht. Witts Kommentar: „Das hätte ich an einem Tag mit Drumcomputer und einem guten Gitarristen genauso hingekriegt – der hat da fünf Monate für gebraucht.“ Der prominente Produzent suchte daraufhin den Kontakt zu Witt, um die Zusammenarbeit noch einmal zu besprechen. Der jedoch lehnte ab, ließ es auf einen Rechtsstreit ankommen. Schließlich kostet eine Steinman-Produktion viel Geld, das jetzt bezahlt werden muss. All dies jedoch verläuft ohne öffentliches Tamtam, geräuschlos vornehm hanseatisch eben. www.witt.de