Bryan Adams: New York, Hammerstein Ballroom
„Entweder du gehst einen Schritt nach vorne oder einen zurück. Die Leute müssen hier noch vorbeigehen können. Das hier ist ein öffentlicher Gehweg, okay!?“ Der Mann mit dem finsteren Blick und dem MTV-Badge am Hemd ist wichtig. Er tut seinen Job. Er wird dafür bezahlt. Mr. Wichtig sorgt schon vor Beginn von Bryan Adams‘ erstem „MTV Unplugged“-Auftritts dafür, daß keiner der Gäste aus der Reihe tanzt. Recht so. Wo kamen wir denn hin, wenn ein freier Mensch im freiesten Land der Welt einen öffentlichen Gehweg blockiert? Wir stehen in New York City, Ecke 34. Straße, 8. Avenue, vor dem Manhattan Centre. Gleich werden wir in den „Hammerstein Ballroom“ geführt, ein kleines, altes Theater, das mit Plastikvorhängen, bunten Scheinwerfern, sechs Kameras und vielen geschäftigen Menschen mit Mikrofonen und Ohrstöpseln am Kopf zum (M)TV-Studio umfunktioniert wurde. Wer hier im Publikum sitzt, tut das nicht zufällig. Die Tickets gehen an Fanclub-Mitglieder, an Hörer lokaler Radiostationen, an Geschäftskunden von MTV. Insgesamt stehen 400 Plätze zur Verfügung. Aber nicht wenige davon bleiben leer. Vor allem jene, die für die Werbekunden reserviert sind. Schade, Mr. Budweiser, Mr. Sony und Mrs. Clearasil hatten wohl heute abend etwas besseres vor. Egal. Bevor es richtig losgeht, müssen wir erst noch die Spielregeln lernen. Der Producer tritt zum Mikrofon und erklärt: „Diejenigen von euch, die fast ständig im Bild sind, also ihr da vorne in den ersten Reihen, ihr solltet nicht unbedingt einen gelangweilten Eindruck machen, okay?“ Klar, wir haben verstanden. „So, und jetzt tun wir mal so, als ob die Band auf die Bühne kommt…“ Kreeeissch-jubel-klatsch… Na, klappt ja ganz gut. Dann, endlich, Kreeeischjubel-klatsch, kommt Mister Bryan Adams – in Jeans und olivgrünem T-Shirt mit seinen Musikern auf die Bühne. Der Hauptakteur scheint der einzige zu sein, der die Sache pragmatisch sieht. „Ich bin nervös. Wenn ich Mist baue, probieren wir’s halt nochmal.“ Adams beginnt mit einer akustischen, ansonsten werkgetreuen Version von „Summer Of ’69.“ Nach dem zweiten Stück geht’s sicherheitshalber nochmal mit „Summer Of’69“ los. Die Arrangements sind behutsam aufs Unplugged-Format zugeschnitten, ein 16köpfiges Streichorchester aus Studenten der renommierten Julliard School Of Music bereitet ein paar Stücke schmalzgerecht auf. Bryan Adams spielt drei neue Songs. Einen, die Schunkelnummer „A Little Love“, dürfen wir viermal hören, bis er im Kasten ist. Einmal stößt ein Musiker unsanft gegen den Mikrofonständer, zweimal führen extensive Lachanfälle von Mr. Adams zu abrupten Abbrüchen. Pleiten, Pech und Pannen wie diese werden wir weder auf dem Album hören noch in der Sendung (Erstausstrahlung: 6.12.) sehen. Da gibt’s dann die bereinigten Versionen, für die dieser Abend das Basismaterial geliefert hat. Nach einer Stunde und 45 Minuten ist der Spaß vorbei. In der Zwischenzeit hat sich denn auch unser Hüter des Gehwegs von vorhin unter die Zuschauer gemischt. Mit verschränkten Armen und finsterem Blick nickt er bestätigend Richtung Bühne. Mr. Wichtig scheint zufrieden zu sein. Gott sei Dank.