Bruce Springsteen
BORN IN THE U.S.A. heißt bezeichnenderweise das neue Album. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist der Mann aus Asbury Park seinem ursprünglichen Thema treu geblieben: der Suche nach dem (verlorenen) "american dream". Highways, Cadillacs, Paranoia in der Provinz und der Ausbruch ins "gelobte Land" bilden das Szenario seiner Songs. Springsteen ist der moderne Jack Kerouac, der auch zu Klischees erstarrte Bilder aus der amerikanischen Wirklichkeit zu neuem Leben erwecken will. Daß sein Traum gerade in der Ära Reagan Sprünge und Risse bekommen hat, ist vielleicht auch ein Grund dafür, daß Springsteen jahrelang über dem Material eines Albums brüten muß. Hermann Haring geht in der Special Story der Entwicklung des amerikanischsten aller amerikanischen Rockmusiker nach.
Von ihm stammt der Text, der das Aroma einer ganzen Stange Marlboro hat: „Eines Tages, Mädchen, ich weiß noch nicht wann, werden wir jenen Ort erreichen, wo wir wirklich hin wollen, und die Sonne wird auf uns scheinen. Aber bis s soweit ist, sind Tramps wie wir, Baby, auf der Welt, um unterwegs zu sein. „
Diese Zeilen bilden den Schluß seines berühmtesten Songs, „Born To Run“. Erzählt wird die Geschichte vom großen Traum, irgendwann und irgendwie aus dem Dreck und der Langeweile auszubrechen und sein Glück zu finden. Springsteens gesamte Musik kreist um diesen Traum. Und ein Bild taucht dabei immer wieder auf: hinaus auf den Highway, um das gelobte Land zu finden.
Das Bild ist nicht neu. Es geistert, von Anfang an durch die Rockmusik, von Chuck Berry über Dylan bis zu den Stones. ,.Get your kicks on Route 66″ ist eine der vielen Varianten. Es ist auch Teil des amerikanischen Traums: „Go west, young man“; in Kalifornien, irgendwo jenseits des Horizonts, liegt dein Glück.
Das Bild ist natürlich längst ein Klischee; jeder weiß, daß es auf Highways nichts anderes gibt als verdreckte Raststätten. Trotzdem ist es immer noch ein magisches Bild, das die Sehnsucht wohl jeder jungen Generation beinhaltet.
Springsteen hat es geschafft, das Klischee wieder mit Leben zu füllen. Er war besessen und beseelt von dem großen Traum und ist ihm in seinen Konzerten nachgejagt, Abend für Abend drei Stunden lang, explosiv und ekstatisch bis zur Erschöpfung. Die Sehnsucht der jugendlichen Helden, die in seinen Songs mit ihren Motorrädern und Autos in die Nacht hinausfuhren, war immer seine eigene Sehnsucht.
Springsteens Umgang mit dem großen Traum war glaubwürdig; er befreite ihn aus den Schubladen der Werbetexter. „Er hat die Musik den Händen der Profitgeier entrissen, um sie den Leuten wiederzugeben, die sie lieben, weil sie sie leben“.
schrieb der amerikanische Journalist Dave Marsh.
Die Leute bedankten sich, indem sie in seinen Konzerten ihre Lethargie vergaßen und begannen, ihre Sehnsucht auszuleben. Während der US-Tournee im Jahr 1978 spielte Springsteen in irgendeinem Nest in Arizona. Sein Blick fiel auf drei Mädchen, die ganz vorne an der Bühne standen. „Eines von ihnen sprang hoch“, erinnert er sich, „und küßte mich so wild, daß wir beide anfingen zu taumeln. Mein Gott, sie war vielleicht 15, und bohrte doch ihre Zunge so tief in meinen Mund, wie es nur ging. Dann rannte sie zurück und blieb für den Rest der Nacht angewurzelt auf einem Fleck stehen.“
„Born To Run“ ist der Code zu Springsteens Leben. Er kommt aus New Jersey, dem amerikanischen Bundesstaat, der sich von New York aus nach Süden erstreckt. Am 23. September 1949 wird er in Freehold geboren. Sein Vater ist Busfahrer und mit sich und der Welt zufrieden, wenn er auf der Straße unterwegs ist. Die Faszination der Highways lernt Bruce nicht zuletzt durch ihn kennen.
Er besucht eine katholische Schule und ist ansonsten ein Kind der amerikanischen Arbeiterklasse. Kaum Aussichten, es weiter zu bringen als der eigene Vater. Betäubung aus dem Fernseher, Ermutigung durch den Rock ’n‘ Roll aus dem Radio. „Bis zu meinem 13. Lebensjahr war ich eigentlich tot“, sagt Springsteen. „Ich konnte meine Gefühle nicht ausdrücken.“
Er will Drummer werden. Weil er für ein Schlagzeug nicht genug Geld hat, besorgt er sich im Pfandhaus für 18 Dollar eine Gitarre. Die britische Beat-Welle überschwemmt gerade die Staaten: Beatles, Stones, Animals, Kinks, Manfred Mann – alle mit rauhen, elektrisierenden Sounds. Amerika andererseits hat Presley, Chuck Berry, den Soul und Rhythm & Blues. Springsteen saugt alles auf.
1965, mit sechzehn, steigt er bei den Castiles ein, einer Band aus seinem Heimatort. Sie schaffen es, bis nach New York zu kommen, wo ein Club im Greenwich Village sie engagiert. Wenig später aber lösen sie sich auf, etwa zur gleichen Zeit, als Springsteen die High School verläßt.
Als Fluchtpunkt entdeckt er Asbury Park, einen heruntergekommenen Badeort an der Atlantik-Küste von New Jersey. Hier trifft er Leute, die wie er raus wollen aus dem Niemandsland – mit dem Rock als Transportmittel. Sie treffen sich im „Upstage“, einem Club in Asbury Park. Springsteen spielt Gitarre in wechselnden Bands und greift gelegentlich auch schon zum Mikro. Bald gilt er weit und breit als der beste Gitarrist. Er orientiert sich inzwischen mehr an britischen Bluesrock-Gitarristen wie Clapton und Jeff Beck, die Ende der sechziger Jahre auch in den USA populär werden. Als seine Eltern 1969 nach Kalifornien ziehen, wird die Musiker-Szene in Asbury Park endgültig seine Heimat.
Springsteen und seine Freunde spielen Rock, der im Rhythm & Blues und Rock ’n‘ Roll wurzelt. Die stilistischen Experimente der Flower-Power-Ära – psychedelische Musik, Art-Rock oder elektronische Musik – haben hier, abseits der großen Musik-Metropolen, keine Basis. Um so mehr ist Springsteen von der originären Musik erfüllt – er hat „jede erdenkliche Art von Rock ’n‘ Roll erlernt“, schreibt Kritiker Jon Landau, der später sein Produzent wird.
Um 1970 herum hat Springsteen eine Band, die Steel Mill heißt und zum ersten Mal die Schwelle zum Big Business erreicht. Steel Mill macht einige Gigs in Kalifornien und Bill Graham, der Eigentümer der legendären Rock-Tempel „Fillmore West“ (in San Francisco) und „Fillmore East“ (in New York) bietet ihnen einen Vertrag mit seinem Label „Fillmore Records“ an. Angeblich lehnen Steel Mill ab, weil der Vorschuß nicht hoch genug ist. Eine dicke Brieftasche besitzt Springsteen damals allerdings nicht; wenn’s gut läuft, bringt ihm die Musik tausend Mark im Monat.
Anfang ’71 stellt er eine neue Gruppe zusammen, diesmal unter dem Namen „Bruce Springsteen Band“. Sie ist zehn Köpfe stark und umfaßt Bläser und Background-Sängerinnen. Dabei sind u.a. Gitarrist Steve Van Zandt, genannt Miami Steve, der farbige Pianist David Sancious, Baßmann Gary Tallent, Keyboarder Danny Federici und Drummer Vini Lopez – praktisch die komplette spätere E Street Band.
Auf einen grünen Zweig kommen sie jedoch nicht, weil die Veranstalter wenig Interesse bekunden und kaum Auftrittsmöglichkeiten für die Mammuttruppe sehen. Alle müssen nebenher jobben, um über die Runden zu kommen. Springsteen tritt gelegentlich allein mit seiner Gitarre in New Yorks Greenwich Village auf, wo sich zehn Jahre zuvor schon Dylan und die Folk-Szene über Wasser gehalten hatten. Die Big Band wird bald wieder aufgelöst.
In Asbury Park hat Springsteen inzwischen einen Manager, der Tinker West heißt und Surf-Bretter herstellt. West wiederum lernt zwei Leute kennen, die Songs und Werbejingles schreiben: Mike Apple und Jim Cretecos. Beide spielen mit dem Gedanken, im Rockgeschäft Fuß zu fassen. Vor allem Apple ist von Springsteens Talent angetan. Er rät ihm jedoch, noch mehr Songs zu schreiben und sich dann wieder zu melden. Springsteen hat vorerst die Nase voll von New Jersey und setzt sich nach Kalifornien ab. Vier Monate aber nur hält er’s dort aus, dann ist er wieder zu Hause. Er ruft Apple an und unterschreibt kurz darauf einen Management-Vertrag, der ihn für fünf Jahre an Apple bindet. Ein Vertrag, der später wie ein Mühlstein an seinem Bein hängen soll.
Zunächst aber geht’s aufwärts: Mike Apple besorgt ihm einen Termin bei John Hammond von CBS. Hammond ist seit Jahrzehnten bekannt für seine gute Nase. In den dreißiger Jahren hatte er Bessie Smith entdeckt, 1962 Bob Dylan zu CBS gebracht.
Apple ist eine ziemliche Großschnauze und preist seinen Künstler an wie das achte Weltwunder. Unnötigerweise, wie sich herausstellt, denn Hammond stuft Springsteen auf Anhieb als offenkundiges Talent ein. Bruce spielt bei der ersten CBS-Audienz „It’s Hard To Be A Saint In The City“ – ein Song über die supercoolen Typen der Hauptstraße, die mit ihrem Macho-Trip den Mädchen die Blusen öffnen, vorausgesetzt sie schaffen es, die Fassade lange genug zu halten. Der Text ist von kraftvollen Bildern durchsetzt und spiegelt wieder, was Springsteen in Asbury Park erlebt hat. Er zeigt ungeheures Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt und die Verhaltensweisen seiner Songhelden und sieht sie auch mit Humor: „I could walk like Brando right into the sun… The sisters fell back and said, ,Don’t that man look pretty’… I was the king of the alley,
mama, I could talk some trash…“
Springsteen spielt Hammond diesen Song im Folk-Blues-Stil vor, ähnlich wie Dylan es zehn Jahre zuvor gemacht hatte; auf der ersten LP, GREETINGS FROM ASBURY PARK, wird dann eine rockigere Fassung untergebracht.
CBS zögert nicht lange. Springsteen macht von einigen Songs ein Demo, nur Gesang und Piano. Damit überzeugt er auch Clive Davis, den damaligen CBS-Chef. Im Frühjahr ’72 ist der Vertrag perfekt. Abgeschlossen wird er allerdings nicht zwischen CBS und Springsteen, sondern zwischen CBS und Mike Apples Management- und Produktionsfirma „Laurel Canyon“. Springsteen werden drei Prozent der Einnahmen garantiert, „Laurel Canyon“ kassiert das Dreifache. Bruce vertraut Apple und kümmert sich einen Scheißdreck um Geld und Verträge. Er sieht die Chance, ein großartiges Rock-Album machen zu können; alles andere ist unwichtig.
CBS bewilligt für das erste Springsteen-Album einen Produktions-Etat von 40000 Dollar und zahlt 25000 Dollar Vorschuß. Aufgenommen wird in einem billigen New Yorker Studio. Apple und Cretecos übernehmen den Produzenten-Job.
Springsteen stellt dazu mit seinen Leuten aus New Jersey eine Band zusammen; Vinnie Lopez, Gary Tallent, David Sancious und der schwarze Saxophonist Clarence Clemmons. Das geht allerdings nur gegen den Widerstand von Apple und CBS. Sie sehen Springsteen als Folk-Rock-Interpreten und nicht als Rock n‘ Roller. In ihren Köpfen ist er der neue Dylan. Springsteen setzt sich bei den Produzenten und der Plattenfirma zwar durch, aber GREETINGS FROM ASBURY PARK wird dennoch nur zur Hälfte seine Platte.
Ein Teil der Songs hat tatsächlich einen Folk-Rock-Touch; es sind ausufernde Geschichten voll dunkler Metaphern und schwer durchschaubarer Bilder. Die Kraft, die in diesen Songs steckt, ist jedoch gewaltig. Sie läßt ahnen, wie Springsteen explodieren würde, wenn er (oder jemand anderes) seiner Musik eine straffere Form verpassen würde. Apple und Cretecos als Produzenten sind eindeutig überfordert und können mit dieser archaischen Energie wenig anfangen.
Der bekannteste Song von ASBURY PARK ist „Blinded By The Light“. Populär wird er nicht durch die Originalfassung, sondern durch die Coverversion, die Manfred Manns Earthband vier Jahre später herausbringt. Der Text ist eine Ansammlung verrückter Reime: „Some brimstone baritone anticyclone rolling stone preacher from the east/ He says, ‚Dethrone the dictaphone, hit it in its funny bone, that where they expect it least.“ Vielleicht hatte Springsteen beim Komponieren ja auch nur einen durchgezogen.
Daß „Blinded By The Light“ Hitformat hatte, verbirgt seine eigene Interpretation jedenfalls gekonnt. Gleiches gilt für „Spirit In The Night“, musikalisch verwandt mit Van Morrison, von der Thematik her eines der typischsten Springsteen-Stücke; Die Jungs aus der Stadt und ihre Freundin Crazy Jane fliehen aus der Enge des Alltags hinaus in die Nacht. Die Fahrt an einen See verbindet und inspiriert sie, aber das Ziel ihrer Sehnsucht erreichen sie nicht. Sie bleiben Schatten in der Nacht und müssen zurück: „Janey said it was time to go, so we closed our eyes and said goodbye to gypsy angel row…“
Die LP-Produktion wird in nur drei Wochen fertiggestellt. CBS propagiert Springsteen als den neuen Dylan. Die Presse greift das Schlagwort auf und… unser Mann aus New Jersey sitzt zunächst einmal im falschen Boot. Das Publikum verzichtet darauf, sich eine eigene Meinung zu bilden: Von der LP werden keine 50000 Stück verkauft, für amerikanische Verhältnisse ein glatter Flop.
Die zweite LP THE WILD, THE INNOCENT & THE E STREET SHUFFLE läuft im folgenden Jahr genauso schlecht. Dabei schafft Springsteen mit dieser Produktion ein gutes Stück auf dem Weg, den er immer deutlicher vor Augen hat. Die E-Street-Band bekommt mehr Gewicht. Die Vielseitigkeit dieser Gruppe und ihres kreativen Focus kommt allmählich ans Tageslicht. Das Spektrum reicht vom Soul-Touch im „E Street Shuttle“ über ein Dutzend dicht verknüpfter Rockstile bis zum Jazz-Swing in „Kitty’s Back“
Die Texte sind verständlicher. Mit überschäumender Spielfreude prescht die Band durch den Sieben-Minuten-Song „Rosalita“, der den Drive eines Live-Mitschnitts besitzt. Springsteen zu dieser Platte: „Ich fand heraus, wer ich eigentlich war und welche Richtung ich einschlagen wollte. Es war, als träte ich langsam heraus aus all den Schatten, um mich selbst zu verwirklichen.“
Bei CBS will man allerdings nicht mehr an Springsteen glauben. Die Radiostationen, damals in den USA der konkurrenzlose Schlüssel zum Charts-Erfolg, fingen kein Feuer und hielten das Album aus ihren Playlists heraus. In den Augen der Plattenfirma ein glatter Knockout. Die E-Street-Band geht derweil unbeirrt auf Tour und vergrößert in mühseliger Kleinarbeit ihren Fankreis. In einigen Städten – Boston, New York, Washington, Houston füllt sie immerhin kleinere Hallen.
Anfang 1974 müssen sich Springsteen und die Bandmitglieder mit 50 Dollar Verdienst pro Woche begnügen. Aber sie finden auch einen Verbündeten: den Journalisten Jon Landau. Beim „Rolling Stone“ ist Landau verantwortlicher Redakteur für LP-Rezensionen. Nebenbei schreibt er für andere Zeitungen und produziert gelegentlich unbekannte Bands. Landau gilt in den USA als einer der angesehensten und einflußreichsten Rock-Schreiber. In der Wochenzeitung „The Real Paper“ nennt er THE WILD, THE INNOCENT & THE E STREET SHUFFLE „eines der am meisten unterbewerteten Alben des Jahres“.
Anfang April 74 lernt Landau Springsteen persönlich kennen, bei einem Konzert in Cambridge, Massachusetts. Beide verstehen sich auf Anhieb; ihr kurzes Gespräch wird zum Keim einer bis heute andauernden Freundschaft und Zusammenarbeit.
Ende April veröffentlicht „The Real Paper“ einen weiteren Beitrag von Landau über Springsteen. Er beschreibt ein Konzert in Harvard und krönt seinen Bericht mit dem Satz: „Ich habe die Zukunft des Rock n‘ Roll gesehen, und ihr Name ist Bruce Springsteen.“
Die Werbeleute bei CBS sind elektrisiert. Bruce Springsteen, die Zukunft des Rock n‘ Roll! Umgehend plazieren sie ganzseitige Anzeigen mit Landaus Zitat in den großen Branchenblättern wie „Billboard“ und „Cashbox“. Die Kampagne wie die Ankündigung eines neuen charismatischen Führers. Springsteens kommende LP ist mit einem Schlag ein heißes Thema.
Die Produktion dieser LP – BORN TO RUN – läuft allerdings an wie ein stotternder Motor. Die Mißerfolge haben die Musiker mürbe gemacht. David Sancious und Vinnie Lopez verlassen die Gruppe. Über eine Anzeige in der New Yorker „Village Voice“ werden Ersatzleute gefunden: Max Weinberg (dr) und Roy Bittan (keyb), zwei erstklassige Profis. Auf dem Produzentensessel sitzt immer noch Mike Apple, dem es nach wie vor schwerfällt, Springsteens Musik adäquat umzusetzen. Springsteen selbst komponiert am laufenden Band und ändert ständig die Liste der Songs, die für die LP vorgesehen sind. Die E-Street-Band darf alle paar Tage ein neues Stück einüben.
Per Telefon unterhält sich Bruce häufig mit Jon Landau über die Probleme im Studio. Schließlich bittet er ihn, als Coproduzent einzusteigen. Nach anfänglichem Zögern sagt Landau zu, gibt seinen Job beim „Rolling Stone“ auf und kommt nach New York. Von nun an geht die Arbeit zügiger voran. Landau läßt Springsteen freie Hand, was dessen musikalische Vorstellungen betrifft. Er verbietet ihm jedoch, ständig Entscheidungen wieder umzuwerfen.
Apple geht das enge Verhältnis von Springsteen und Landau natürlich gegen den Strich: aber ihm vertraut inzwischen niemand mehr. Langsam, aber sicher wird er ausgebootet.
Die E-Street-Band dagegen hat am Ende der Aufnahmen noch ein As mehr im Ärmel Miami Steve taucht eines Tages im Studio auf und macht sich gleich als Arrangeur nützlich. Springsteen engagiert seinen alten Kumpel, der zwischenzeitlich bei Southside Johnny & The Asbury Dukes untergekommen war, auf der Stelle. Im Spätsommer 75 ist die Marathon-Produktion beendet; im Oktober kommt das Album auf den Markt.
CBS pusht die Veröffentlichung mit einer Werbekampagne, die 250000 Dollar verschlingt – die bislang teuerste der Rockgeschichte. Die wichtigsten politischen Nachrichtenmagazine der USA, „Time“ und „Newsweek“, kommen Ende Oktober gleichzeitig mit einer Titelgeschichte über Springsteen heraus. Die Band bricht zu einer Amerika-Tournee mit 40 Konzerten auf, begleitet vom Powerplay der Radiostationen. BORN TO RUN erreicht eine Woche nach Veröffentlichung Platz acht der amerikanischen LP-Charts, steht zwei Wochen später auf Platz 1 und wird kurz darauf vergoldet. Ist Bruce Springsteen die Zukunft des Rock ’n‘ Roll?
Der Erfolg von BORN TO RUN wird später als gewaltiger Hype eingestuft, als Ergebnis künstlicher Stimmungsmache. Den Anlaß für diese Einschätzung liefert vor allem der Werbeaufwand von CBS. Seit Elvis Presley sind jedoch wenige Platten erschienen, die den Lebensnerv der „Kids in America“ so genau treffen und unter Spannung setzen wie Springsteens dritte LP. „You get up every morning at the sound ofthe bell/You get to work late and the boss man ’s giving you hell/Till you’re out on a midnight run/Losing your heart to a beautiful one“. singt er in „Night“.
Damit sagt er fast alles, was zu sagen ist – und so wie er’s sagt, ist jedem klar, daß er sich nicht unterkriegen lassen will. Seine Geschichten aus dem scheinbar ausweglosen Alltag koppelt er meist mit den Gefühlen Wut und Sehnsucht. Sehnsucht nach sozialer und persönlicher Veränderung, nach Liebe, nach dem Rausch des Lebens. Aus diesen Quellen bezieht seine Musik die Energie, und die gleichen Gefühle weckt sie bei den Zuhörern.
Springsteens bodenständiger, roher Rockstil transportiert die unmittelbare Wucht dieser Energie: in den Texten wird sie in Poesie verwandelt. Manchmal gebraucht er gebräuchliche Worte wie etwa in „Night“; manchmal läßt er einen Strom praller Bilder fließen wie in den ersten Strophen von „Born To Run“: „In the day we sweat it out in the street of a runaway American dream/At night we ride through mansions of glory in suicide machines/.. . Baby this town rips the bones from your back/it s a death trap, it’s a suicide trap/We gotta get out while we re young/’Cause tramps like us, baby we were born to run.“
Die Songs von BORN TO RUN sind eingängiger, kompakter als das Material der ersten LPs. Der Titelsong wird in den USA trotz Überlange ein Single-Hit. Andererseits läßt sich ein Kraftpaket wie Springsteen samt seiner E-Street-Band nicht in normale Pop-Arrangements zwängen. Springsteen-Musik ist von diesem Album an üppiger Breitwand-Sound, eine Weiterentwicklung der Phil-Spector-Soundmauer der sechziger Jahre.
Springsteens viertes Album DARKNESS ON THE EDGE OF TOWN gleicht BORN TO RUN. ist aber perfekter produziert. Verändert hat sich der Unterton der Musik: Er ist depressiver, sentimentaler. Der Sehnsucht hinterherzujagen und selten ans Ziel zu kommen, kostet Kraft. Hinzu kommt, daß Springsteen seit BORN TO RUN und Landaus gutgemeintem Prophetenspruch ein Heiliger ist, den kaum jemand noch mit normalen Augen sieht. Außerdem hat er einen zweijährigen Rechtsstreit mit Mike Apple hinter sich, in dem er um seine Musik kämpfen muß, gegen den Manager, dem er blind vertraut hatte.
Apple, der seinen Superstar nicht sang- und klanglos Jon Landau überlassen will, beansprucht die Rechte an Springsteens Songs. Vor Gericht kommt zudem heraus, daß er Springsteen zuwenig Geld ausgezahlt und ein paar krumme Steuergeschichten gedreht hat. Der Streit blockiert vom Sommer 76 bis zum Sommer 78 die Produktion von DARKNESS. Erst nach der Gerichtsentscheidung kann Springsteen einen neuen Vertrag mit CBS abschließen und wieder ins Studio gehen. Der Streit endet mit einem Vergleich, bei dem Apple finanziell gut abschneidet und Springsteen seine Freiheit wiedergewinnt. Mit Jon Landau kann er jetzt ungehindert zusammenarbeiten.
Die 78er Tournee der E-Street-Band durch die USA ist eine beispiellose Tour de force. Über ein Konzert in San Diego in Kalifornien berichtet Sylvie Simmons damals im „Musik-Express“ – „Viel Zeit ist verstrichen – Jahre voll lascher, harmloser Musik, gespielt von gesichtslosen Retortenmusikern – seit der Rock ’n‘ Roll dich noch treffen konnte wie der Stoß eines guten Joints und tagelang deinen Kreislauf auf Trab hielt. Verdammt noch mal, ich bin sicher, daß ich heute abend nicht die einzige bin, die spürt, daß dieses Gefühl zurückkommt.“ Die seltenen Konzerte der Gruppe in Europa haben nie soviel Magie wie die Heimspiele. Springsteen braucht vertrauten Stallgeruch, um ganz aus sich herauszugehen. Da fühlt er sich dann manchmal so schwach, daß er explodieren möchte, wie es im Song „The Promised Land“ heißt“. Schwach, weil er den Anschein erweckt, als müsse er die Last der Großstadtexistenz allein auf schmalen Schultern tragen. Stark, weil er mit seiner Songpoesie zu bannen in der Lage ist, was ihn zu ersticken droht“, schreibt der ehemalige „Sounds‘-Redakteur Teja Schwaner, der Springsteen über ein Interview kennenlernt.
Die Springsteen-Platten, die nach DARKNESS erscheinen – THE RIVER (1980). das Soloalbum NEBRASKA (1982) und BORN IN THE U.S.A. (1984) – sind hervorragende Rock-Alben, die jedoch an BORN TO RUN nicht heranreichen. Springsteen und die E-Street-Band bleiben ihrem Stil treu, obwohl er längst konservativ wirkt angesichts der marktbeherrschenden elektronischen Reißbrett-Musik Springsteen war nicht die Zukunft des Rock ’n‘ Roll. Aber er verkörpert den Geist, der diese Musik ursprünglich beseelte.