Boomtown rats
Don’t wanna be like you don’t wanna talk like you, at all. I’m gonna be like me, J’m gonna be like me, I’m gonna be like ME!“
„I’m gonna be like ME! der unmißverständliche Refrain von „Lookin‘ After Nr. 1“ ist Philosophie und Fazit von Bob Geldorf, Ex-Fotograf,-Journalist, -Lastwagenfahrer und -Lehrer, heute Sänger der irischen Punk-Band The Boomtown Rats. Und der Cassius Clay der New Wave läßt erst gar keine Zweifel aufkommen, wer wirklich die Nummer Eins ist: erst mal er und dann all die anderen, die im Publikum und vor den Plattenspielern sitzen. Und ein paar musikalische Streicheleinheiten kann jeder Egotripper vertragen; vielleicht hat deshalb auch der „Playboy“ 1977 dieses Lied zur „Single des Jahres“ gekürt. Nummer Eins wurde es zwar nicht, aber immerhin der erste Hit für die irischen Ehrgeizlinge (siehe auch ME 12/77).
Nicht nur diese unverschämte Ehrlichkeit, mit der sie kein Hehl daraus machen, daß sie reich und berühmt werden wollen, hat die sechs Iren von der übrigen Punk-Szene abgesetzt. Ihr erstes Album „Boomtown Rats“, in Deutschland aufgenommen, blendet durch saubere, klarlinige Arrangements und bissige, kaltschnäuzige Texte. Frühe Rhythm’n’Blues-Einflüsse von Chuck Berry bis zu den Rolling Stones werden ebensowenig verleugnet wie neuere von Velvet Underground bis Reggae. Und die fünf Herren um Geldorf herum können wirklich spielen: Gerry Cott (Gitarre), Garry Roberts (Gitarre), Johnnie Fingers (Keyboards), Pete Briquette (Baß) und Simon Crowe (Schlagzeug).
„Neon Heavt“ beginnt wie „Wild Thing“ von den Troggs und besingt einen herzlosen, vergnügungsüchtigen Taugenichts, der sich seinen Spaß auf Kosten der Halbwelt macht: ,time was the enemy we had to kill it dead the clock kept creeping round so we went to be instead.“ „Joey’s On The Street Again“, nicht nur musikalisch mit Bruce Springsteens Kompositionen verwandt, ist mit das stärkste Stück der LP. Ein erbarmungsloses und zugleich lyrisches Psychogramm der Vorort-Straßenhelden, die den Asphalt unsicher machen und dennoch nicht ihr Glück finden. Denn: „There’s no romance, no romance for Joey in the city.“
Mein persönliches Lieblingslied ist jedoch der 60er-Jahre-Rock’n’Roller „Never Bite The Hand That Feeds“ Generationskonflikt, elterliche Bevormundung und vergeblicher Befreiungsversuch eines Mädchens, das der autoritären Hand des Vaters zu entkörn men versucht. Sie zieht mit ihrem Typen Bill zusammen und muß schnell erkennen, daß sie sich in der gleichen Situation wiederfindet: „He says just show respect for your man little girl/ You know you never bite the hand that feeds.“
Mädchen, die widersprüchlich zwischen altem und neuem Rollenverhalten nach Belieben hin- und herschwanken, sind wohl Geldorfs Trauma und Lieblingsthema. Auf „Mary Of The Fourth Form“ wird eine moderne Lolita-Schülerin besungen, die alle, inklusive ihren Lehrer, um den Finger wickelt. Auf „(She’s Gonna) Do You In“ warnt er vor den Mädchen, die die Hosen anhaben und denen jedes Mittel recht ist, die Typen fertigzumachen. Dazu spielt er eine verrucht wilde Mundharmonika wie zu den Zeiten der Yardbirds. „Close As You“ll Ever Be“ ist der Alptraum vom nahenden Mörder und noch näherem Tod mit dem eindeutigen Refrain: „So nah wie du noch nie dran warst!“ Dieser Song ist besonders hypnotisch arrangiert mit fliegenden Rhythmuswechseln und Soloeinlagen. Man würde den hartgesottenen Boomtown Rats keine Ballade zutrauen, wäre da nicht eine außergewöhnliche auf dieser LP: „I Can Make It If You Can“, vorwiegend durch Johnnie Fingers delikates Pianospiel getragen. Auch hier setzt sich Geldorf wieder mit Bindungsangst und Unabhängigkeitsstreben, mit Selbstbewußtsein und Versagerangst auseinander. „She said let’s talk about the future let’s forget about the past.
Did I forget to tell you time never lasts.“
Das letzte Stück der LP, „Kicks“, beschreibt die orientierungslose Zeit der Pubertät, „wo man seine Kicks nicht mehr durch Kuchen und Limonade bekommt“, aber noch nicht alt genug ist „um Zigaretten und Drinks serviert zu bekommen.“ Deshalb, so der clevere löjährige in diesem ironischen Liebeslied, „bekomm ich meine Kicks durch dich!“
Die Sprache der Boomtown Rats ist unverblümt und kommt immer gleich zur Sache, auch wenn es um die eigene geht. Die jüngste Single „She’s So Modern“, die bereits bis Platz 10 der englischen Charts stieg, variiert das bekannte Thema „Die Mädchen von heute“: ,, She’s so 20th Century I she’s so 1970’s/ she knows the right things to sayl she’s got the right clothes to viearj stie ’s a modern girl, o yeah‘ „
Die letzte Zeile dieses Songs ist übrigens auch der Titel der neuen Boomtown Rats-LP „Tonic For The Troops“. Geldorf formulierte kürzlich in einem Interview mit dem Melody Maker die Rolle der Boomtown Rats in der New Wave Szene so: „Die Sex Pistols sind Idole, Tom Robinson der politische Sprecher, The Stranglers vielleicht musikalisch Intellektuelle und wir sind eine Tanzband!“ Das ist gar nicht so weit hergeholt. Immerhin hieß eine ihrer ersten Kompositionen „Do The Rat“. Sie ist noch heute im Live-Programm und soll die Zuschauer dazu auffordern, möglichst neue, originelle, ungewöhnliche Tanzformen auszudenken. Weil John Travolta eben doch nicht das Nonplusultra der Tanzekstase bietet….