Blur: Wo man die Geister der Geschichte treffen kann


Wenn Damon Albarn eine Supergroup gründet, dann höchstens, um Supermusik zu machen. Anders hätte er Ex-Clash Paul Simonon und den legendären Afrobeat-Drummer Tony Allen wohl auch nicht herumbekommen. Das Projekt The Good, The Bad&The Queen ist ihm dabei sehr wichtig, denn es erzählt von seinem Leben, seiner Heimat. Wichtiger als Blur? ... Ruhig Blut, Herrschaften, ruhig Blut!

Von den Gaskesseln in Kensal Rise geht eine rätselhafte Anziehungskraft aus. Eingeklemmt zwischen dem Kensal Green Cemetery mit seinen verlotterten Mini-Mausoleen und wuchernden Büschen, dem Grand Union Canal, aus dem sie immer wieder mal eine Leiche fischen, und dem Boheme- und Reggae-Quartier Ladbroke Grove, wirken die Kessel wie ein gespenstisches Mahnmal aus einer Zeit, als die Londoner noch Bowler trugen und „Please, Sir!“ sagten.

Tatsächlich hängt über dem Schreibtisch, auf dem diese Zeilen entstehen, ein Ölgemälde von genau diesen Gasometern aus der Sicht von den Gräbern des Kensal Green Cemetery aus. Wie gesagt: Diese Kessel üben eine kuriose Faszination aus auf alle, die in ihrer Nähe wohnen, streunen und sich fortpflanzen.

So verwundert es auch nicht, dass wir ihnen auch auf dem Cover von „Herculean“ begegnen, der ersten Single von The Good, The Bad And The Queen (so wollen wir die Band im Mittelpunkt dieses Textes einfach mal nennen, auch wenn das offensichtlich nicht so ganz stimmt, wie sich bald herausstellen wird). Die Zeichnung stammt von Paul Simonon, dem einstigen Bassisten von The Clash – und Maler. „Ach ja, natürlich „, sagt er, „die Gaskessel habe ich viele Male gemalt. Sie gehören eben zur Gegend.“Das erste Mal, als er sich daran versuchte, hatte er allerdings eine Überraschung erlebt:

„Als ich am nächsten Tag wieder kam, standen die Kessel plötzlich viel tiefer. Ich hatte nicht daran gedacht, dass sie noch genutzt werden. Dass sie sich auf und ab bewegen, je nachdem, wie voll sie sind.“

Simonon schenkte den Mannern im Büro des Friedhofs einen Print von einem seiner Gaskesselbilder: „Keine Ahnung, ob sie den noch haben. Womöglich ist er im Abfall gelandet.“ Die Gaskessel und Gräber, oder wenigstens ihre Schatten, sind in der Tat auch das Thema von „Herculean“: „Standing by the old canal now by the gas works / Celebrate the ghosts go by when all loue hurts“, singt Damon Albarn in seiner schwebenden Art. „Everyone is on their way to heaven -slowly.“ Die Single wie auch das Album The good, The bad and The Queen handeln nicht von Notting Hill, sagt der Autor, „nicht von diesem homogenisierten Starbucksquartier, wie es in diesem Film gezeigt wurde“. Aber es handelt vom Bezirk London W10: Kensal Road, Harrow Road, Nord Kensington, Westbourne Grove und vor allem Golborne Road-der Seitenstraße am Nordende der Portobello Road, über die der Trellick Tower wacht, das Hochhaus, dessen markante Architektur mit dem separaten Liftschacht schon The Clash besungen hatten.

Hier, wo die Touristen nicht hinkommen, weil sie schon am Gemüsemarkt meinen, die Portobello Road sei zu Ende, ist die Zeit zwar auch nicht stehen geblieben. Aber Starbucks hat zumindest gemerkt, dass es sinnlos wäre, den Tunesiern mit ihren Wasserpfeifen, den Trödlern mit ihren verbeulten Trompeten, den Portugiesen und Post-Punks im Cafe Lisboa oder gar den Leuten vom legendären Rough-Trade-Laden, der hier sein Zuhause hat, ihre braune Aromabrühe andrehen zu wollen.

„Ich liebe die Geschichte dieses Ortes „, sagt Albarn. „Mir gefällt es, dass wir uns auf einem kleinen Hügel befinden. Kennst du den Roman ,A Drowned World‘ von j. G. Ballard? Wo die Stadt überschwemmt worden ist und nur noch die Dächer aus den Sümpfen ragen? Für mich ist unser Album ähnlich. Wir gehen von diesem Hügel hinunter und tauchen in diesen Ozean von Geschichte. Wir schwimmen im Unterbewussten. Wenn ich durch die Straßen von W10 gehe, spüre ich die Geister der Geschichte-der Geschichte der anderen Menschen und meiner eigenen Geschichte. All die Erfahrungen, die ich in meinem Leben gesammelt habe, geistern um mich herum. Das Album – es ist ein Album der Geister.“

Es ist zehn Uhr morgens, verschlafen sieht er aus, der Damon Albarn. „Ob es eine lange Nacht war?“, fragt er verdutzt zurück, „Nein, gar nicht. Im Gegenteil. So sehe ich eben aus. Ich komme gerade aus dem Gym.“ Zuerst die Tochter zur Schule bringen, dann ein Stündchen schwitzen – dies sei die ideale Zäsur vor einem prall gefüllten Arbeitstag. Dieser besteht heute nach dem Interview darin, dass er seine neuesten Kompositionen zum ersten Mal einigen Musikern vorlegen wird, die sie bald spielen sollen. „Kompositionen, nicht Songs!“, betont er. Aus ihnen soll eine veritable Oper werden. Gesungen auf Chinesisch, in einem Theater in Paris und an der Berliner Oper.

Die Oper heißt „Journey To The West“. Sie dreht sich um die Legende des Monkey King. Eine uralte chinesische Geschichte über einen Affen, dem Buddha den Auftrag gibt, einen Jünger nach Indien zu begleiten, wo er einige Schriftrollen abholen soll. Es sei praktisch eine Frühversion von „Herr der Ringe“, 1000 Jahre vor Tolkien, behauptet Albarn. „Die Arbeit ist wahnsinnig spannend. Zum ersten Mal muss ich mich mit Fragen der Komposition beschäftigen. Mit Themen, die man langsam entwickelt. Zudem ist die chinesische Musik ziemlich knifflig. Sie eignet sich nicht für unsere westliche Idee von Selbstausdruck. Ihre Konstruktion ist kosmisch angelegt. Alles wird auf die Planeten bezogen und ein System von Himmelsklängen.“

Typisch Albarn: Packt ihn eine Idee, beißt sie ihn wie ein wilder Affe. Ungeachtet aller Widerstände lässt er dann nicht mehr los. Egal, was die restliche Welt davon halten mag. Ein Star möchte er sein, selbstverständlich, aber zuerst kommt die Musik! So geschehen schon in den frühesten Tagen von Blur, als sich die Band dem gerade in Acid House, Trip-Hop und im Post-Baggy-Sound schwelgenden Königreich des Pop zum Trotz auf die Gitarre zurückbesann und aus Punk und Kinks das wegweisende und von den Zeitgenossen weitgehend ignorierte Album MODERN LIFE IS RUBBISH schneiderte. So geschehen später, als er die in Großbritannien inzwischen als Hitparadenstars etablierte Band mit jedem Album in neue Gefilde vorstoßen ließ. Und auch bei den Gorillaz mit ihrem verwegenen virtuellen Konzept – ein Abenteuer, das keineswegs mit Erfolgsgarantie versehen war. (Das Debüt erschien im März 1991 und verkaufte sich schließlich sechs Millionen Mal – mehr als doppelt so häufig wie die erfolgreichste Blur-CD!) Und so mutig wie besessen war Albarn auch, als er seine musikalischen Fühler nach Afrika auszustrecken begann, dabei allerdings nicht einfach ein paar Kollegen von dort zum gepflegten Zusammenspiel in Peter Gabriels Real-World-Studio bestellte, sondern nach Mali reiste, um sich unter diffizilen Umständen vom Geist dieser Musik heimsuchen zu lassen (auf kein anderes Werk werde er heute so oft angesprochen, sagt er; MALI MUSIC sei ein Album, das man offenbar erst mit der Zeit zu verstehen lerne). Er erweiterte seine stilistische Palette weiter mit dem Soundtrack RAVENOUS, den er mit dem Post-Minimalmusiker Michael Nyman einspielte, und mit 101 Reykjavik, ebenfalls ein Soundtrack, aufgenommen mit Ex-Sugarcube Einar Örn Benediktsson.

Nach dem wiederum recht experimentellen, aber auch etwas diffusen, bisher letzten Blur-Album THINK TANK (2003) avancierte er dank dem zweiten Gorillaz-Album demon dayz endgültig zum weltweiten Popstar. Und was macht dieser weltweite Popstar nun? Er schreibt eine chinesische Oper. Und ein Musical fürs Londoner National Theatre. Und er hat eine neue Band. Zu der gehören Ex-Clash-Bassist Paul Simonon, Ex-Verve-Gitarrist, Blur und Gorillaz-Liveinstrumentalist Simon Tong sowie der 66-jährige nigerianische Schlagzeuger Tony Allen, der in den zoer-Jahren maßgeblich an der Entstehung von Fela Kutis Fusionsstil „Afrobeat“ beteiligt war.

Die Band hat eigentlich noch gar keinen Namen: „The Band With No Name starring in: ,The Good, The Bad AndThe Queen ‚“, witzelt Albarn, ohne den Sinn dieses Witzes näher erläutern zu wollen. Die Erklärung für den Album titel, der also nicht so richtig Bandname sein soll, ist hingegen einfach: „The Good, The Bad And The Ugly“ – der Spaghettiwestern, mit Clint Eastwood (dem u. a. auch schon die Gorillaz mit den Singles „Clint Eastwood“ und „Dirty Harry“ Tribut zollten). Doch statt „The Ugly“: „The Queen“ – und die steht da ganz grundsätzlich „für England“, sagt Damon Albarn. „Irgendwie ist mir diese lose Verbindung mit Clint Eastwood bisher gut bekommen“, sagt Albarn. „Der Mann imponiert mir. Ein ,Renaissance-Mann‘ im eigentlichen Sinn. Mir gefällt es, wie er Klavier spielen kann und dass er gleichzeitig einer der härtesten Filmhelden aller Zeiten ist.“

Paul Simonon sieht aus wie der typische Bewohner von London W10. Ist er ja auch. Seine Gesichtszüge sind noch scharf genug geschnitten, dass sie einem 30-Jährigen gehören könnten (Simonon ist Jahrgang 1955). Um den Hals hängt ein Hausschlüssel. Ein Punker-Accessoire aus alten Tagen? Nein, Simonon ist ein Schlüsselkind: „Ich habe schon als Kind den Hausschlüssel um den Hals getragen.“ Er trägt eine schwarze Lederjacke und am Arm einen Sturzhelm im Old-School-Stil, der den Straßenverkehrsvorschriften längst nicht mehr entspricht.

Simonon ist der Mann, der vauf dem Cover von LONDON CALLING, längst eine Ikone des Rock, sein Instrument zertrümmert. Er hat, obwohl er als Songwriter bei Clash sonst kaum eine Rolle spielte, „Guns Of Brixton“ geschrieben. Seit ein paar Monaten steht Simonons alte Band, The Clash, im Gespräch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Band um Joe Strummer war zwar einem ähnlichen Art-School-Background entsprungen wie die Sex Pistols. Doch während die Pistols ihren aufrüttelnden Effekt mittels nihilistischer Provokationen erzielten, setzten The Clash auf politische Attacke, positive Energie und süffige – auch süffisante — Kampfgesänge.

Der Humor der Pistols war pervers: auch The Clash leisteten sich Scherze, aber im Kern war es ihnen bitterer Ernst. Sie wollten Stars sein. Joe Strummer übte sich früh im Posing, Simonon und Mick Jones waren gewiefte Imageplaner, und Drummer Topper Headon sah seine Mitgliedschaft anfangs als einen Karriereschritt. Aber sie maßen ihren Erfolg auch am Durchsetzungsvermögen ihrer politischen Botschaft. Und auch aus dieser Perspektive gesehen war ihr Erfolg beträchtlich.

Das von ihnen thematisierte London W10, wo Strummer&Co. jahrelang in besetzten Häusern gelebt hatten, wurde zum Fokus der New Wave. Am nördlichen Ende der Portobello Road, wo sich Punks und Teenage-Rastas alltäglich begegneten, fanden diese scheinbar so disparaten Underground-Gruppen zusammen: The Clash hatten mit ihren punkigen Versionen von Junior Murvin’s „Police And Thieves“ die erste Brücke gebaut, über die Jahre später auch Neneh Cherry und Massive Attack schritten. Von ihrem Geist lebten auch die Anti Nazi League und Rock Against Racism, die beiden Organisationen, die Ende derjoer-Jahre mit Gratiskonzerten für antirassistische Aufklärung sorgten.

Für viele Fans kam das Ende von The Clash 1983 mit dem Rauswurf von Mick Jones, obwohl Strummer offiziell erst 1986 das Handtuch warf. Vor vier Jahren kam die Band wieder groß ins Gespräch. Damals lockten die Libertines Mick Jones aus seinem Versteck und ließen ihn ihr Debütalbum produzieren; ähnlich wie The Clash einst den legendären Guy Stevens engagiert hatten, um LONDON CALLING dreckig nach den Sixties klingen zu lassen. Zwei Monate nach dem Erscheinen des Libertines-Debüts UP THE BRACKET starb Joe Strummer. Bei der Bestattungsfeier im Kensal-Rise-Friedhof trafen sich viele Menschen wieder, die sich seit den besten New-Wave-Zeiten nicht mehr gesehen hatten. Seither sind The Clash im Gespräch geblieben. Fast die ganze junge Gitarrenszene Großbritanniens zitiert sie als Vorbilder.

Doch Paul Simonon war weit weg von all dem. 15 Jahre lang hatte er keinen Bass mehr in die Hand genommen (zumindest hat ihn keiner damit gesehen) und stattdessen Bilder gemalt. „Nach The Clash hatte ich eine neue Band. Havana 3 AM“, sagt er. „Aber als mein Kumpel, der Sänger (Nigel Dixon – Anm. d. Red.), an Krebs starb, gab ich die Musik auf.“ Der Anruf von Dämon Albarn vor einem Jahr kam genau im richtigen Moment: Simonon hatte gerade wieder Lust auf und auch Zeit für Musik. Die beiden kannten sich vom Sehen – in London W10 kennt jeder jeden vom Sehen. Getroffen hatten sie sich allerdings nur einmal, nämlich bei der Hochzeit von Joe Strummer. „Ich ahnte, dass wir auf der gleichen Linie liegen, als er sich weigerte, Tony Blair in der Number 10, Downing Street, zu besuchen „, sagt Simonon .“Das hätte ich auch nicht gemacht. Wer kritisieren können will, kann nicht mit den Leuten Partys feiern, die er kritisieren muss.“

Im April 2005 rief ihn Albarn an: Er hatte eine Reihe von Songs beisammen, für die er sich von Tony Allen und Simon Tong begleiten und von Danger Mouse produzieren lassen wollte, denen aber noch das gewisse Etwas fehle. Da habe er plötzlich an Paul Simonon und den bauchigen Reggae-Bass von The Clash gedacht. Simonon: „Am Anfang hatte ich Mühe, mit Tony mitzuhaken. Aber dann merkte ich, dass wir perfekt zueinanderpassten. Vom Reggae her sind mir die Pausen sehr wichtig. Und er füllt diese Pausen aus. „Jetzt war auf einmal alles ganz einfach. „Es ist das erste Album,beidem ich beteiligt war, das ohne jeden Stress entstand“.

sagt Simonon.

Da möchte Simon Tong nicht widersprechen: „Es war eine Herausforderung, vier Musiker zusammenzubringen, die ganz verschiedenen Hintergründe hatten. Doch letztlich war es vor allem ein Riesenspaß, einfach nur gute Musik zu machen. Pure and simply.‘ ‚Tony Allen rutschte ins Bild, weil ihn Albarn einmal in einem Song erwähnt hatte; Allen erkundigte sich nach „diesem Albarn „, fand Gefallen an ihm und nahm ein Album für dessen Plattenlabel Honest Jon’s Records auf (Honest Jon’s ist ein ähnlich legendärer Plattenladen wie Rough Trade: 276, Portobello Road). Ein zweites erschien im vergangenen Frühjahr. Dazwischen fuhren Dämon Albarn und Simon Tong nach Nigeria, um dort unter anderen mit Allen (der eigentlich in Frankreich lebt) erste Aufnahmen zumachen. Tony Allen kennt die Welt und hat es wahrhaftig nicht nötig, falsche Komplimente zu machen: „Dämon ist ein spezieller Mensch „, sagt er. „Ich habe ihn spät in meinem Leben kennengelernt, oberer ist mir wie ein Bruder. Er hat einen starken Charakter. Er ist ungemein offen nach außen hin, aber er lässt sich von keinem zum Narren halten.“

Einige Aufnahmen aus Nigeria sollten die Basis für die Arbeit an THE GOOD,THE BAD AND THE QUEEN ergeben. Aber von dem Moment an, als Paul Simonon an Bord kam, änderte sich alles. Nun waren sie eine Band. Und sie wollten auch eine Liveband sein. Unter der Ägide von Danger Mouse wurde eine Reihe von neuen Songs in ganz wenigen Takes eingespielt. Wieso eigentlich Danger Mouse? „Die Rolle von Danger Mouse?“, fragt Albarn und grinst: „Wir kennen uns gut genug, dass er mir sagen kann: ,Das ist Scheiße!'“ Mehr sagt er nicht.

THE GOOD, THE BAD & THE QUEEN ist ein ruhiges Album geworden. Die Fusion der verschiedenen Stile ist organisch, sie wird einem nicht um die Ohren gehauen. Albarns altmodische Klavierklimpereien schlagen den Bogen zurück zu den Saloonpianos von Clint Eastwood und lockern den melancholischen Ton mit (Galgen-)Humor. Wenn er in „Green Fields“ singt „We saw the green fields turn into stone, such lonely haunts“ (eine Frühversion des Stücks hieß „The Last Song“ und ist auf dem letzten Album von Marianne Faithfull zu finden), spürt man förmlich, wie die Axt in die Trauerweide fährt. Trotzdem ist das Grundgefühl dieser Songs versöhnlich, ja zuversichtlich. Jedenfalls ist das hier bei allem Pessimismus nicht die bullige Agit-Prop-Nostalgie von parklife, dem Album, mit dem Blur nicht nur den Durchbruch schafften, sondern dem neuen Phänomen „Britpop“ erst den nötigen pophistorischen Rahmen verpassten.

„Ich bin heute ein anderer Mensch‘, sagt Albarn und saugt inbrünstig an seiner Camel. „Wir waren damals eine junge Band, und irgendwie wurde aus der Idee von parklife eine ganze Bewegung: Britpop. Dabei ging ich die Sache völligfalsch an. Ich hätte es zelebrieren sollen. Stattdessen lamentierte ich.“ Das tut Albarn immer noch: „Ich finde es traurig, was aus Britpop geworden ist. Als die Schablone einmal geschaffen war, hat sich von den Hauptdarstellern kaum einer mehr weiterentwickelt. Aus Punk wurde New Wave. John Lydon ging von den Sex Pistols zu PIL. Sowas habe ich im Britpop bei niemandem gesehen. Schade. Eine tolle Idee sollte nicht allein dastehen. Ein ganzer Stammbaum von Ideen sollte daraus wachsen. Ich werde nie verstehen, wenn Leute ihren Erfolgnichtals Passport dazu gebrauchen, in ganz andere Gebiete vorzudringen, nach Neuem zu forschen. Ich empfinde den Erfolg als wunderbar. Er hat mir die emotionale undfinanzielle Freiheitgegeben.“

Eine Frage, die in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden darf: Was soll denn nun aus Blur werden? „Blur oh Gott, pfft‘.“ Albarns Stirn legt sich in tiefe Sorgenfalten. „Blur liegen auf Eis. Wenn es weitergehen soll, muss Graham Coxon zurückkommen.Ohne ihn will ich die alten Songs nicht mehr spielen.“

Kollege Coxon indes hat zuletzt in einem Interview auf www.pitchforkmedia.com zumindest laut darüber nachgedacht, dass er tatsächlich darüber nachdenkt, zu Blur zurückzukehren. Hört sich kompliziert an; es ist ja auch weiterhin kompliziert, liest man, was Graham Coxon da öffentlich kundtat: „Ich überlege: Würde es mir wieder Spaß machen, bei Blur zu sein? Vielleicht würde es mir aber auch Angst machen? Wie wäre die Gruppendynamik im Studio? Würdeich auch mit aufTour gehen? Weißt du, ich denke wirklich viel darüber nach…“

Dämon würde sich darüber freuen, keine Frage. Aber auch er will Coxon nicht hetzen:

„Ich wäre natürlich happy, wenn er zurückkäme. Schon deshalb, weil ich es einfach nicht gutfinde, wenn eine Beziehung, die bis in die Kindheit zurückreicht, so plötzlich und ungelöst abgebrochen wird. Es könnte alles so einfach sein. Aber es ist ja auch nicht so, dass ich ohne Blur nichts zu tun hätte.“

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