Blumengarten: „Lass uns doch selbst probieren, Vorbilder zu sein!“

Blumengarten sprechen über ihr Debütalbum ICH LIEBE DICH FÜR IMMER und das Konzept von Männlichkeit.


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In diesem Interview erzählen uns Blumengarten, wie sie die ersten Jahre ihrer Karriere erlebten, wie sie über Männlichkeit nachdenken und wie sie es immer wieder schaffen, emotionale Songs „auf die blumengartigste Weise“ zu produzieren.

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich vor zwei oder drei Jahren zum ersten Mal „Paris Syndrom“ gehört habe – und wie dann spätestens nach der Version mit Paula Hartmann so ein Buzz um euch losging. Wie habt ihr diesen turbulenten Start erlebt?

Rayan: Die letzten Jahre sind uns eher passiert, als dass wir die irgendwie selbst forciert oder von langer Hand geplant hätten. Wir haben uns von einem glücklichen Zufall zum nächsten gehangelt. Das war irgendwie magisch, dieser Start in diese Musikwelt. Gleichzeitig war das für mich aber mit dieser großen Sorge verbunden: Ich hatte keinen musikalischen Background, Sammy und ich hatten vorher nie wirklich live gespielt und mit dem Imposter-Syndrom habe ich noch heute manchmal zu kämpfen.

Sammy: Als wir das erste Mal auf die Bühne kamen, wussten wir gar nicht, was gerade mit uns passiert. Wir waren nie richtig im Takt, weil wir das vorher nie sein mussten. Rayan war bei den ersten Shows immer todesaufgeregt, das hat man sofort gesehen, bei mir hat sich das anders geäußert. Ich habe Stunden vorher nichts mehr gegessen und mir war richtig schlecht. Aber wir haben es durchgezogen, es hat funktioniert und seitdem tun wir alles dafür, um die Konzerte noch besser zu machen. 

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Wer eure Musik beschreibt, tut das meist über Rayans Stimme und betont sie als Alleinstellungsmerkmal. Ich muss zugeben, dass ich auch das Instrumentale sehr ausgecheckt und gut finde. Deshalb erst mal in deine Richtung gefragt, Sammy: Du bist ja sozusagen der Musik- und Soundverantwortliche. War es schwer für dich, noch mehr in diese Rolle reinzukommen? Polemisch gesagt, hätte ja auch ein bekannter Produzent mit Hitgarantie kommen können, der dich in den Hintergrund drängt und sagt, „ich bring jetzt Rayan groß raus“ …

S: Boah, also da gab es definitiv Ups und Downs bei mir. Vor allem, weil ich oft im Studio nicht den konventionellen Weg gehe und wir unsere Songs wahrscheinlich auf die blumengartigste Art und Weise machen. Als ich dann bei anderen Leuten über die Schultern schauen konnte, habe ich schon gesehen, dass da handwerklich vieles anders läuft. Das hat mich am Anfang eingeschüchtert, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass vor allem die Ideen zählen. Nimm zum Beispiel einen Song wie „Sonne im August“. Da weiß ich ganz genau, dass den niemand so hätte machen können wie wir.

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Mittlerweile bin ich da super stolz drauf – aber das war ein Prozess. Ist es im Grunde immer noch. Rayan und ich sind, glaube ich, beide nicht mit viel Selbstbewusstsein geboren worden und uns hat man das auch als Kinder wirklich beigebracht. Wir mussten uns erst erkämpfen, stolz auf unsere Arbeit zu sein.

Rayan, deine Stimme und deine Texte entwickeln zusammen eine sehr direkte Emotionalität, die mit einem anderen Sänger meiner Meinung nach nicht so gut funktionieren würden. Gleichzeitig sind die Sätze sehr simpel und direkt und würden bei anderen fast ein wenig cringy wirken. Ich muss da an Judith Holofernes denken, die mir mal über das Texte schreiben sagte: „Leicht ist immer schwer.“ Wie leicht oder schwer ist das bei dir im Songwriting-Prozess und wie merkst du, was lyrisch geht und was vielleicht too much sein könnte?

R: Ich hatte einfach schon immer einen Hang zur Dramatik und zum Übertreiben – ich bin halt eine Drama Queen! [lacht] Ich bin eben sehr sensibel und mir wurde in der Kindheit und Jugend immer gesagt, dass das etwas Schlechtes sei. Ich wurde nie encouraged, das irgendwie rauszulassen, aber durch Sammy und das Schreiben habe ich jetzt einen Ort gefunden, der es mir erlaubt, diesen Emotionen freien Lauf zu lassen. Deswegen ist das Texte-Schreiben keine schwierige Aufgabe für mich, sondern mit der schönste Teil an diesem Prozess. Ich versuche dabei so gut es eben geht, nicht zu sehr zu verkopfen.

Ich finde Künstler wie Lil Wayne oder Jay-Z sehr inspirierend, von denen man sagt, dass sie gar nicht viel aufschreiben, sondern ohne fertige Texte ins Studio kommen und dann einfach anfangen zu rappen. Ich hatte natürlich auch schon Writing Sessions in diversen Studios. Da waren dann sehr professionelle Leute, die Laptops voller Dateien, Worte und Textblöcke haben, die sie sie nach Bedarf zusammenpuzzeln und dann polieren können. Das war irgendwie beeindruckend, aber mir fast schon zu mathematisch. Ich habe das Gefühl, dass jedes Mal ein Teil der Seele eines Songs stirbt, wenn die Worte „Topline“ oder „Nomenreim“ fallen.  Deshalb versuche ich, genau dieser Professionalität keinen Raum zu lassen bei uns, und einfach frei Schnauze aus dem Bauch heraus irgendwie zu sagen, was in meinem Herzen ist. Damit fahren wir bisher sehr gut.

S: Ich schätze Rayans Willen, sich auszudrücken sehr. Wenn ich merke, dass es genau das ist, was er fühlt und sagen will, dann ist es egal, ob ich das jetzt ein bisschen corny finde oder selbst anders sagen würden. Da mische ich mich nicht ein. Ich glaube generell, dass Produzent:innen oft zu sehr ihren eigenen Film fahren und den Künstler:innen ihre Vision unterschieben wollen. Rayan und ich haben uns über die Jahre einfach gut aufeinander eingesetellt. Ich finde zum Beispiel, der Song „Dunkelschwarz“ zeigt das am besten: Der geht sieben Minuten und ich finde, der fühlt sich an wie dreieinhalb Minuten. Der Text steht dabei immer im Vordergrund, aber wenn mal nicht gesungen wird, kommt immer wieder die Produktion raus – und genauso sollte es sein.

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R: Samy und ich haben dabei ein hartes Vertrauen in unseren Geschmack. Wir wissen intuitiv, was wir cool finden. Wir haben uns über die letzten Jahre immer sehr intensiv ausgetauscht über Kunst und Musik. So haben wir einen gemeinsamen Nenner und eine kreative Connection, die ich mir mit keinem anderen Menschen vorstellen kann – und deswegen haben wir eigentlich einen ziemlich smoothen way, wenn es um die Frage geht, wie ein Song am Ende klingen sollte. Man muss aber auch sagen, das wir nicht zu 100 Prozent agreen und immer den genau gleichen Lösungsansatz cool finden. Aber in 80 Prozent der Fälle ist das schon so.

Das klingt ziemlich gesund. Ich möchte zum Schluss mit euch noch kurz über das Thema Männlichkeit sprechen. Mir fällt auf, dass euer Publikum sehr gemischt ist und wenn man sich die Kommentare unter euren Videos anschaut, sieht man immer wieder junge Männer, die sich bei euch sehr verstanden fühlen. Mir kommt es ein wenig vor, als ob ihr ein anderes Männerbild anbietet mit eurer Art und eurer Musik – eines, das nicht auf Härte setzen muss, um cool zu sein. Wie seht ihr das?

S: Es ist schön, dass du das sagt, weil wir das tatsächlich auch ein wenig wollen. Uns haben solche männlichen Vorbilder in der Schulzeit gefehlt. Also dachten wir uns irgendwann einfach zwischen Imposter-Syndrom und Anmaßung: Lass uns doch selbst probieren, Vorbilder zu sein. Es fühlt sich sehr schön an, dass viele Kids das jetzt wirklich so wahrnehmen. Wir kriegen wirklich viel, sehr emotionales Feedback – persönlich, per Mail, per Insta-DMs. Oft auch von jungen Männern.

R: Wir wollen Musik machen für Kids, die so sind wie wir. Wir waren in unserer Kleinstadt schon ein wenig die Außenseiter und mussten unseren eigenen Weg gehen, weil von den konventionellen Jugendgruppen keine Akzeptanz kam. Man war halt nie der Coole und deswegen war ich lieber zwölf Stunden am Tag im Internet und hab mir skurrile Musik angehört, als dass ich mich mit irgendwelchen Leuten getroffen habe, um Shisha zu rauchen. Wir möchten mit unserer Musik zeigen, dass es auch cool sein kann, mal der Verlierer zu sein, seine Emotionen rauszulassen oder sich Schwäche einzugestehen. Das zu predigen ist die Grundemotion der Musik von Blumengarten. Und natürlich haben wir damals gehofft, dass genau damit mal der Tag kommen wird, an dem wir die Coolen sind.

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Ich durfte in meiner Zeit im Musikjournalismus mit einigen Menschen zusammenarbeiten, die für mich der Inbegriff von Coolness waren. Lustigerweise waren gefühlt Dreiviertel davon aber in der Schule auch eher die Außenseiter oder die, die man wenig beachtet hat. Bis sie dann aufblühten …

R: Ja, voll. Ich glaube, da gibt es einen Zusammenhang. Wir machen unsere Musik auch für genau diese Kids. Die denken, die Schule ist das ganze Leben – und wenn es da nicht läuft, dann geht es immer so weiter. Das war eine Falle, in die auch ich getappt bin zu meinen Schulzeiten. Ich habe da mit wirklich dunklen Gedanken gerungen – auch, weil ich nicht die leichteste Kindheit hat. Heute möchte ich meinem damaligen Ich sagen: „Hey, es geht auch danach irgendwie weiter – und sogar erst richtig los!“ Ich hätte damals niemals gedacht, dass mein Leben mal diesen 180-Grad-Turn macht. Sammy wird sich erinnern: Ich war in der 12. Klasse gefühlt fünfmal da, weil mich das alles so fertig gemacht hat psychisch. Ich wusste einfach nicht, wohin mit meinem Leben. Und jetzt zu sehen, was Sammy und ich machen dürfen – das erfüllt mich einfach mit Stolz. Wir waren vor ein paar Monaten bei der 1Live Krone – das war eine Sache, die ich mir als Kind immer mit großen Augen angeschaut habe. Und plötzlich sitzt du neben so Leuten wie Sido, und der kennt dich auch noch und rappt später auf deinem Album. Das hat mir gezeigt: Es ist möglich, nach der Schule seinen Weg zu gehen. Und deswegen ist es uns sehr wichtig, das so weiter zu vermitteln.

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