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Nein, tun Sie's nicht/ Hutch Harris ist nur übermütig, weil er so stolz ist auf das neue Album seiner Band The Thermals.

Viele Bands spielen entweder lieber live oder sie sind lieber im Studio. Bei den Thermals ist das anders, sagt deren Schlagzeuger Westin Glass. „Für mich ist beides essenziell. Es ist wie Atmen und Essen … „, sagt er im Backstage des Londoner Clubs The Lextngton, wo die Band wenig später auftreten wird, und besinnt sich dann eines treffenderen Vergleichs: „Obwohl, weißt du, wie es wirklich ist? Live spielen ist wie ein männlicher Orgasmus, eine Platte aufnehmen wie ein weiblicher: nicht so unmittelbar, du musst daran arbeiten.“

Die Band, für die Glass die Stöcke schwingt, ist ein minimalistisches, ultra-lautes Trio mit so etwas wie einer internationalen Kult-Fanbase. Sie haben sich in der Vergangenheit selbst als „Neo-Grunge“-Band bezeichnet und Nirvana und Mudhoney als Einflüsse genannt, aber da ist auch dieser schwere melodische Garagenrock-Einschlag in ihrem Sound. Der Kern der Band, ihre Gründer Frontmann Hutch Harris und Bassistin Kathy Foster, vereinen gerne einfache Songs mit komplexen lyrischen Themen: Die letzte Platte THE BODY, THE BLOOD, THK MACHINE war stark von Politik und der Auseinandersetzung mit dem Gesellschaftsfaktor Religion geprägt, während das demnächst erscheinende vierte Album NOW WE CAN SEE laut Harris die Themen „Tod“ und „Wasser“ behandelt.

„Es gibt eine Menge Tod auf dieser Platte“, so der auffallend schlanke Sänger. „Sie handelt nicht direkt vom Tod, aber es geht sehr viel um das Zurückblicken auf das Leben, auf die menschliche Geschichte. Wir haben einfach versucht, eine menschlichere Platte zu machen.“ Und was hat Wasser damit zutun? „Nun, wir bestehen eben hauptsächlich aus Wasser, die Erde besteht zum größten Teil aus Wasser. Und wir benutzen und brauchen es für so viele verschiedene Dinge. Wir brauchen es zum Leben. Gleichzeitig ist es diese gigantische Kraft, die durch Stürme und Fluten töten kann. Wasser ist ein sehr starkes lyrisches Motiv.“

Musikalisch bevorzugen es die Thermals kurz und scharf geschlagen – krachend schwere Songs von starker Melodik. Beim abendlichen Konzert sorgen Stücke wie das neue, beinahe fies eingängige „I Let It Go“ für totale Euphorie. Die Band kredenzt ihren struppigen, optimistischen Garagenrock wie entfesselt und mit knarziger Rohheit. Ein beeindruckender Moshpit bildet sich vor der Bühne, der Enthusiasmus der Fans tropft förmlich von den Wänden. Hutch Harris saugt die Atmosphäre genüsslich auf. Im Gespräch aber scheint Harris‘ bedächtigere Seite durch. Der politisch beschlagene Musikindustrie-Kenner gibt zu, dass er gerade mit großem Vergnügen den Niedergang eines lange verhassten Gegners beobachtet: den der Majorlabels. „Es ist cool zu sehen, wie die großen Plattenfirmen untergehen, während hidielabels immer größer werden“, sagt Harris. „Wir haben gesehen, wie Sub Pop wuchs und wuchs – so wie Domino in Großbritannien. Es scheint, als seien die Indies jetzt die mächtigeren Plattenfirmen. Das ist in meinen Augen eine sehr positive Entwicklung.“

NOW WE CAN SEE erscheint bei einem dieser Indies – auf dem übercoolen US-Label Kill Rock Stars (u.a. Deerhoof, Xiu Xiu), nachdem die Thermals kürzlich das legendäre Sub-Pop-Label verließen. Die drei sind so stolz darauf, dass sie es kaum erwarten können, bis es die Leute zu hören kriegen. Hutch Harris ist so ungeduldig, dass er gar versucht, den Interviewer zu einer Straftat zu verleiten: „Es wäre schön, wenn du das Album sofort online stellen könntest, sobald es fertig gemastert ist!“ Was liebt er denn besonders an der Platte?

„Sie klingt einfach sehr voll und sehr laut. Breiter und lauter als unsere anderen Alben, was meiner Meinung nach — für diese Band besser ist.“

Deutsche Fans können sich darauf einstellen, die neuen Songs zumindest auf Festivals zu hören zu bekommen. „Deutschland ist immer sehr gut zu uns“, sagt Harris, „wir hatten letztes Jahr nur ein einziges kleines Konzert dort (im Dezember in Wiesbaden; Anm. d. Red.), aber das hat so viel Spaß gemacht. Die Leute sind einfach durchgedreht. Und das tun sie in Deutschland auch in den großen Städten, wo man immer denkt:, Oh nein, die sind zu cool zum Tanzen!'“

Wir fassen also zusammen: Verrückte Liveshows, Tod, Wasser, das Dahinscheiden der Major Labels und Orgasmen — das sind die Dinge, die die Thermals gerade primär beschäftigen. Man möchte meinen: Da iässt sich mitziehen.

Albumkritik S. 85

wvw.thethermals.com