Aufs falsche Pferd gesetzt: Metallica zwischen Pop und Metal


NEW JERSEY. „Einen Abend mit Metallica“ versprach das Ticket den 19.000 Zuschauer in der prallvollen Meadowlands Arena. Das mit dem „Abend“ entsprach zumindest vom zeitlichen Rahmen den Tatsachen, denn die vier notorischen Metal-Malocher langten volle drei Stunden ebenso voll zu.

Doch nicht die Länge des Metal-Marathons galt es an diesem Abend zu würdigen, als vielmehr die Erkenntnis zu registrieren, daß die ehemals unbestrittenen Kultis der Speed- und Free-Metal-Szene derzeit in eine unerwartete Sackgasse geraten sind, das aber (noch) nicht wahrhaben wollen.

Dabei waren die technischen Bedingungen für eine klassische Metallica-Orgie geradezu optimal. Die neue, ganz auf die permanente Bewegung der Musiker zugeschnittene Bühne mit neun Mikro-Positionen. einer zweiten, erhöhten Lauftrasse und einem „Schlangengrube“ genannten Graben für handverlesene Fans und Freunde war eine zuschauerdienliche Augenweide.

Natürlich eröffnete „Enter Sandman“ den dreistündigen Reigen. Immerhin haben Hetfield, Ulrich, Hammett und Newstedt sich gerade mit diesem Song aus dem Ghetto der metallhörigen Klientel in die Hörweite eines Mainstream-Publikums manövriert, ohne dabei aber im Morast des minderen Mainstream-Rock zu versumpfen.

Trotzdem stand das Konzert von Beginn an unter einem zweispaltigen Stern. Sänger und Gitarrist James Hetfield, wahrscheinlich ob der verhaltenen Reaktionen auf den Opener, schien reichlich angefressen zu sein. Von Haus aus nicht der große Kommunikator oder gar Entertainer, übte er sich vornehmlich in einsilbigen Ansprachen wie „Like the shil?“, um dann mit erhobenem Mittelfinger und einem angewiderten „Fuck you!“ die lasche Stimmung zu quittieren.

Ganz offensichtlich setzte man aufs falsche Pferd. Während die Band, allen voran Drum-Berserker Lars Ulrich, immer noch stillschweigend davon ausgeht, vor genau denselben Leuten zu spielen, die schon fürs Debüt-Album „Kill ‚em All“ auf die Barrikaden gingen, hat ihre jüngste LP einen gravierenden Wandel in der Fangemeinde eingeläutet: Nicht die Headbanger der ersten Stunde, die ebenso wie „ihre“ Band jeden Kompromiß an den Kommerz verabscheuten, kontrollierten in diesem Konzert die Stimmung, sondern Leute, die in erster Linie unterhalten werden wollen — Zuschauer, die Metallica vor allem aufgrund ihrer radiotauglichen Auskoppelungen erst in jüngster Vergangenheit für sich entdeckt haben.

Da konnte Jason Newstedt mit einem exaltierten Baßsolo in bester Punkmanier noch so entschlossen Basistreue demonstrieren oder Lars Ulrich die hehre Vergangenheit herbeizutrommeln versuchen — es half nichts, Metallica spielten selbst mit Klassikern wie „…And Justice For All“ oder „Master Of Puppets“ gegen eine unsichtbare Mauer unerfüllter Erwartungen an.

Warum nur hielt sich die erwartete, ja für die Band schon zur Gewohnheit gewordene Begeisterung so im Zaum, warum gab’s keine rauschenden Ovationen? Gewiß nicht weil, wie Lars Ulrich nach dem Konzerte konstatierte.

„die Leute in New York oder New Jersey reservierter sind als die in Dallas. “ Sondern: Weil Metallica anno 1992 mehr zum An-Hören als zum Headhangen animieren.

James Hetfield ist sich über das derzeitige Dilemma durchaus bewußt. „Viele Zuschauer“, sagte er nach dem Konzert, „kennen unser älteres Material überhaupt nicht. Sie kommen nur, weil sie .Enter Sandman‘ auf MTV gesehen haben. Anderersats gibt es Leute, die uns nicht mehr mögen, weil wir ihnen zu populär geworden sind. Wofür ich durchaus Verständnis habe — mir geht es bei anderen Bands genauso. „

Die Band war nach dem lauwarmen Feedback in New Jersey offensichtlich irritiert. Ob die Wunde verheilt ist, wenn sie im Dezember dieses Jahres auch wieder über deutsche Bühnen ziehen, wird sich zeigen.