Arcade Fire London, St.John’s Church
Quasi-religiöses Erlebnis zur Abendstund: Die kanadische Elf spielt großen Götterrock vor ewigkeitsdurchwehter Kulisse.
„Desire Or Fear? Friend Or Foe?“ Die Faltzettel auf den Stühlen in St. John ssind so eine Art Wartezimmerlektüre, angereichert mit einem Text, den man erst späterdem französischen Fabelkünstler Jean de La Fontainewird zuordnen können. Auf dem Programm die erste Lesung aus der neuen neon bible auf europäischem Boden, ein quasi-religiöses Ereignis, vielleicht auch deshalb, weil die Band ArcadeFire gekommen ist. ihre Anhänger aus der Schleife des Wartensund Darbens mit großem Götterrock zu erlösen. In null Komma nichts waren die fünf London-Gigs der Kanadier ausverkauft, der Wut und der EmpörungderZukurzgekommenen überdieSchwarzmarktmafia hatte derNew Musical Express aktuell noch eine halbe Seite gewidmet. Jetzt aber sind keine Arcade-Fire-Tickets mehr-auch nicht mit Liebesdiensten-zu ergattern,jetzt zählt nur der Moment, da Win Butler und seine Band die Bühne der Konzertkirche betreten, einen Kanonendonnervon WestminsterAbbey und den Houses Of Parliarnent entfernt, und ganz nah am Puls des Rock’n’Roll.
ArcadeFire stürzen sich in das Unterfangen „Welteroberung“ wie ein Haufen überambitionierterEntertaineraufeinem krängenden Showboat, das gerade noch so die Kurve kriegt. Aber hey, es ist eine Riesen-Show, elf Leute, wenn wir uns nicht verzählt haben,einer, derständig austickt und Arbeitsmaterialien in die Luft wirft. Es gibt gar keine Einzel-Instrumente mehr bei ArcadeFire, nur noch einen monumentalen Sound block, der mit gehörigem Tempo auf d je Gemeinde zurollt, während Regine Chassagne ihre neue Drehorgel ausprobiert. Und Win Butler heult seinen Weltschmerz in die Mauern von St.John’s:“/W/rror. mirroron the wall, shoiu me ivhere them bombs will fall.
Es gibt diesen Moment, da alle gleichzeitig ihre Münder aufreißen („Keep The Car Running“) und schreien, das hat schon Anton Corbijn fotografiert. Ein Bild der Stärke und Entschlossenheit: Die Songs vom neuen Album wollen noch höher und weiter hinaus als die FUNERAL-Hits, hier kommen all die Turbo-Dramen, die Win Butlerschon seit Monaten in seinem Kopf spielt, jetzt angetrieben von einer Bläser-Streicher-Gitarren-Armada. In diesem Wall Of Orchestration. in den hymnischen Irrfahrten zwischen Song, Ekstase und dem Moment des Free Jazz sind Arcade Fire kaum mehr festzumachen. Die Songs wachsen und poltern und schwellen an, die Publikumslieblinge „Rebellion“ und „Neigborhood #1“ kommen weit hinten in der Show. Als Arcade Fire kurz nach der Zugabe von der Bühne vor die Pforte der Kirche stürmen und „Wake Up“ in einer Akustik-Version spielen, umringt von kreischenden, vorGlückwie besoffenen Fans, ist dieser Abend für die Ewigkeit gerettet (Bildmaterial gibt’s netterweise im Internet). Man wird sowieso nichtmehroftGelegenheit haben, diese Elf in einer ähnlich kleinen Konzerthalle zu erleben. Sie sind längst abgeflogen. >»www.neonbible.com