Kolumne

Aidas Popkolumne: Wo bleibt die Empathie?

Nach den Selbstauflösungen von Gel und Zulu sucht Aida nach Mitgefühl in den Kommentarspalten.


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Es war keine leichte Woche für Hardcore-Fans: Erst löste sich die gefeierte Band Zulu aus Los Angeles auf. Der Grund: Nach Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen Gründer und Vocalist Anaiah Muhammad verließ der Rest der Crew das Projekt. Vor wenigen Tagen konterte Muhammad dann mit einem eigenen Statement, in dem er alle Vorwürfe kategorisch bestreitet. Ein 18 Slides langes Statement. Der Rest der Band wirkt derweil noch nicht so richtig überzeugt.

Und dann war da die Sache mit Gel aus New Jersey: Die Gruppe veröffentlichte ebenfalls auf Instagram eine Art Abschiedsbrief. Aus ihm geht hervor, dass ihr langjähriger Gitarrist so dermaßen schlimmen psychischen Schaden bei der Band angerichtet hat, dass sie einfach nicht mehr weitermachen können. Er habe zehntausende Dollar gestohlen, Nacktfotos seiner Bandbuddies auf Reddit gepostet und ihre körperliche Unversehrtheit gefährdet, wie unter anderem der Musikexpress das Statement zitiert. Das Original ist mittlerweile gelöscht, zusammen mit der ganzen Seite von Gel, kann aber noch bei anderen Medien nachgelesen werden.

Aber das eigentlich gruselige sind die Kommentare zum Beispiel bei „Stereogum“ oder auch „Pitchfork“, die sich entweder über die Worte der Band lustig machen, oder noch schlimmer: Sie auffordern, sich doch „zusammenzureißen“ und einfach weiterzumachen.

Was sich die Fans wünschen

Vor ein paar Tagen haben ich mich am Rande einer Veranstaltung mit einem Musiker unterhalten: Zwischen seinen Albumveröffentlichungen liegen oft einige Jahre, weil er als Perfektionist an jedem Ton feilt. So weit, so normal. Nach dem letzten Release aber meldete sich nach drei Tagen ein Superfan: Wann denn neue Musik komme? Er habe die letzten drei Tage damit verbracht, das neue Album zu hören, sei super, aber jetzt will er neuen Stoff.

Fankultur ist ein seltsames Gewächs: Einerseits sind Fans die Basis jeden Erfolgs für Musiker:innen, sie haben an der Entstehung eines Popphänomens genauso viel Anteil wie die Künstler:innen, die dahinter stehen. Andererseits aber kann Fanliebe auch arg schnell in etwas Anderes, Düsteres umschlagen. Da muss man gar nicht so weit gehen und an übergriffige Stalker denken oder an die Stories von Fans, die auch vor der Familie ihrer Lieblingsmusiker:innen keinen Halt machen, wie sie Chappell Roan vorheriges Jahr öffentlich machte. Es reicht, darüber nachzudenken, was wir von Musiker:innen und Bands erwarten: Dass sie einfach wie Maschinen weitermachen können? Ohne Emotionen? Dass kreative Schaffensprozesse so funktionieren, wie im Büro eine To Do-Liste abzuarbeiten?

Woran es mangelt

Das soll gar keine Publikumsbeschimpfung sein, aber so ein Umgang mit Kunstschaffenden wirft ein Licht auf ein Thema, dass dieser Tage immer wieder angesprochen wird: Empathie. Und der Mangel daran.

Elon Musk war da Anfang des Monats beim Podcaster Joe Rogan ganz offen: Für ihn, so erklärte er, ist Empathie eines der größten Probleme des „Westens“. Wisst ihr, für wen auch Empathie ein großes Problem bei ihren Plänen darstellte und das sogar schriftlich festhielt? Ja genau, die anderen Leute, die so gerne ihren rechten Arm zum Gruß heben.

Natürlich ist nicht jeder Fan oder auch nur casual Musikhörer, der Kunstschaffenden keine Pause gönnen will, ein Nazi. Aber der Mangel an Empathie im Kleinen spiegelt sich eben auch im Großen. Und Vereinzelung vor Social-Media-Feeds, deren Algorithmen uns maximal personalisiert in ihren Bann ziehen und nicht mehr loslassen, hilft wahrscheinlich nicht dabei, mehr statt weniger Empathie für Musiker:innen und andere Kreative zu entwickeln.

Dabei ist Kunst und insbesondere Musik mit seinem direkten Zugang zu Emotionen das allerbeste Vehikel, um Empathie zu empfinden – wenn man sie denn zulassen will.