Kolumne

Aidas Popkolumne: Steuergeschenke statt Sozialprojekte

Soziale Projekte & Kultur werden eingestampft, dafür verspricht die künftige Koalition sinnlose Steuergeschenke – wie kann man da Hoffnung haben?


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Am Sonntag soll man zwar ruhen, aber ich habe gestern gearbeitet – allerdings hatte ich einen der schönsten Jobs seit langer Zeit: Ich durfte ein Berliner Screening des frisch mit einem Grimme-Preis ausgezeichneten Dokumentarfilms „Sisterqueens“ moderieren. Der Film begleitet drei junge Rapperinnen aus Berlin vier Jahre lang, von ihren ersten Versuchen (die jüngste ist damals neun!) bis hin zu Auftritten auf großen Theaterbühnen. Ihren Anfang nahm ihre Rap-Karriere mit einem Projekt in einem Berliner Mädchenzentrum, also einem Jugendzentrum nur für Mädchen – in dem Kids verschiedenen Alters und verschiedener Hintergründe mit Sozialarbeiterinnen und Künstlerinnen zusammenkommen können und voneinander lernen. Das Rap-Projekt wurde dabei von so etablierten Künstler:innen wie Ebow, Alice Dee, Sister Fa oder Haszcara angeleitet.

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Und natürlich ist das Projekt jetzt in Gefahr. Because we can’t have any nice things. Im Rahmen der Kürzungsorgie der Berliner Landesregierung aus CDU und SPD, insbesondere bei den Themen Bildung und Kultur, hat es ein Projekt, dass Bildung und Kultur und Soziales und Empowerment und das gute Leben für alle vereint, natürlich besonders schwer. Wir müssen ja sparen. Also, mussten es angeblich. Bis so ungefähr letzte Woche.

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Denn in der letzten Woche kam man ja vor waghalsigen U-Turns in der Politik gar nicht mehr mit. Wisst ihr noch, 500 Milliarden Neuverschuldung? Ja, es passieren jeden Tag so viele Dinge, dass ich auch schon wieder vergesse, was letzte Woche los war. Nur ein kleiner Reminder: Monatelang, ach was, die ganze Ampel lang, hat die CDU kategorisch jede Form von Sondervermögen und neuen Schulden, entgegen der Empfehlung von Wirtschaftsexpert:innen, abgelehnt, ist sogar gegen Versuche der Ampel vor Gericht gezogen, hat das Land lahmgelegt (mit tatkräftiger Mithilfe der FDP, aber die können wir ja jetzt erstmal wieder auf unbestimmte Zeit ignorieren) und ist mit dieser Überzeugung in den Wahlkampf gezogen. Und jetzt, wo sie ihn gewonnen hat und Merz zum Kanzler wird? Interessiert sie ihr Gelaber der Vergangenheit auch nicht mehr. 500 Milliarden Schulden, wo vorher keine zwei Milliarden für die Kindergrundsicherung übrig waren. Hurra!

Da sollten doch ein paar Cent für Projekte wie Sisterqueens abfallen, oder? Ihr Erfolg ist sichtbar, empowert junge Frauen ihre Stimme zu erheben und sie lernen dabei wichtige Skills wie öffentlich zu sprechen, Texte zu formulieren und vieles mehr. Aber nein, das Geld ist für Militär und Infrastruktur gedacht. Naja, jede:r, der schon mal über eine komplett marode Autobahnbrücke gefahren ist (also… alle), freut sich über die Ankündigung der Investitionen in die Infrastruktur. Ob vielleicht sogar ein paar Cent für die Bahn abfallen? Einmal eine Fahrt von Berlin nach Köln die funktioniert?

Man darf hoffen, die Hoffnung schwankt aber mit jedem Wort, das man im am Wochenenden veröffentlichten Sondierungspapier der CDU und SPD liest: Erhöhung der Pendlerpauschale! Agrardiesel! Und für diese Steuergeschenke, die nicht wirklich substanziell irgendetwas an der maroden Infrastruktur ändern, geschweige denn irgendetwas klimaresilient neu denken, muss dann eben Soziales dran glauben. Projekte wie Sisterqueens finden zwar auf Landesebene statt, aber die Richtung, in der es auch auf der Bundesebene geht, lässt nicht wirklich hoffen: Bürgergeldempfänger:innen soll das Geld komplett gestrichen werden können, also genauso unmenschliche Verhältnisse wie damals bei Hartz IV. Und nicht nur sollen Aufnahmeprogramme für Menschen aus Afghanistan beendet werden, sondern auch Familiennachzug bei Geflüchteten wird bis auf Weiteres ausgesetzt. Abgesehen von der Brutalität solcher Ideen aus dem Folterkeller, frage ich mich auch, wie es dann mit der Integration klappen soll, wenn Menschen von ihrer Familie so gewaltsam abgeschnitten werden sollen. Aber das wissen wohl nur Merz, Lars Klinbeil, Markus Söder und Saskia Esken allein.

Ganz ehrlich: Es wäre jetzt so leicht, die Hoffnung zu verlieren. Die SPD scheint sich ja schon völlig aufgegeben zu haben. Aber statt sich Esken und Klingbeil als Vorbild zu nehmen, halte ich mich da lieber an die Sisterqueens: „Wieso ist Deutschland so reich und die Grenzen so ungleich?“ Auf die Antwort können wir lange warten – aber bis dahin können wir wenigstens versuchen, Projekte wie die Sisterqueens selbst zu retten.