Aidas Popkolumne: Wie die Brände in Los Angeles die Musikszene betreffen
Aida blickt auf die anhaltende Feuerkatastrophe in Los Angeles und fragt sich, ob Empathie eine endliche Ressource ist.
Das Jahr ist noch nicht mal zwei Wochen alt und ganz ehrlich: Ich habe schon wieder fast zu viel. Merz fordert verfassungsrechtlich Unhaltbares, wie, dass eingebürgerten Deutschen ihre Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden kann, die Welt hat das 1,5-Grad-Marke überschritten und heizt sich immer weiter auf, Elon Musk geriert sich als König(smacher) der Welt und unterstützt in Deutschland offen die AfD, die wiederum hat am vergangenen Wochenende ihre Festspiele gefeiert und auch die letzten Masken fallen lassen, während vor der Tür sogar Abgeordnete anderer Parteien, die als parlamentarische Beobachter auf den Gegendemos unterwegs waren, von der Polizei verprügelt wurden. Und in Kalifornien, da brennt Los Angeles gerade ab.
Regelmäßige Leser*innen dieser Kolumne werden sich vielleicht erinnern: Bis vor ein paar Wochen lebte ich noch als Stipendiatin des Thomas-Mann-Hauses noch dort. Und zwar genau da, wo die Flammen seit fast einer Woche durchgehend brennen. Seit letzten Dienstag starre ich alle paar Minuten auf die Karte der Feuerwehr, um zu sehen, wo die Flammen gerade ungefähr stehen, ob die Häuser meiner Freund*innen noch existieren, ob mein temporäres Zuhause letztes Jahr, das historische Haus von Thomas Mann, jetzt Residenzzentrum für deutsche Autor*innen und Nerds, noch da ist, ob es meine Lieblingsorte noch gibt. Während ich hier gerade schreibe, sind einige davon schon weg. Einfach weg. Zurückgeblieben sind Asche und Schutt.
Und gerade die Community von Künstler*innen und Kulturschaffenden wurde hart getroffen: In Malibu und Pacific Palisades leben viele Filmmenschen, eines der historischen, allerersten Filmstudios der Stadt (heute Zentrale einer neureligiösen Organisation) liegt dort, in Altadena und Pasadena gibt es eine große Community von Musiker*innen. Ich glaube, mein Herz ist mir endgültig in Stücke gebrochen, als ich ein Instagram-Video der Experimentalpop-Künstlerin Empress Of gesehen habe: sie zeigt das komplett abgebrannte Haus, in dem sie aufgewachsen ist, das ihre alleinerziehende, aus Honduras eingewanderte Mutter mit ihrem Einkommen als Nanny gekauft hat und in dem sie heute die Kostüme von Empress Of näht. „Oh my God, there is nothing“, hört man ihre Mutter sagen, und dann, wie um sich selbst zu beruhigen, „it is okay, mi hija“. Dabei ist klar: Nichts ist okay.
Über „Gofundme“ sammelten Freund*innen von Empress Of Geld, damit sie und ihre Mutter das Haus wieder aufbauen können, zum Redaktionsschluss waren das mittlerweile schon 85.000 US-Dollar, meist über Mikrospenden zwischen fünf und 100 US-Dollar. Ähnlich geht es Rapper Fat Tony und DIIV-Frontmann Zachary Cole Smith, deren Häuser dem Feuer zum Opfer gefallen sind. Die Musikszene hat sich organisiert, über die Musik-Gewerkschaft UMAW und die Organisation Music Cares, aber auch ganz graswurzelmäßig auf einem öffentlich zugänglichen Google-Dokument. Dort werden Spendenaufrufe für Musiker*innen, aber auch Musiklehrer*innen, zerstörte Plattenläden, Aufnahmestudios und sonstige Musikorte und -Menschen gesammelt. Nicht alle sind so prominent, dass innerhalb weniger Tage ihre Spendenziele erreicht wurden.
Natürlich aber bleibt es nicht ohne Häme: Ich sehe auf Social Media schon Vorwürfe selektiver Empathie herumfliegen. Warum interessiert ihr euch nicht gleichermaßen für Gaza? Für den Sudan? Wo war der vergleichbare Aufschrei Naturkatastrophen im globalen Süden? Ich verstehe, dass angesichts der, nun ja, absolut katastrophalen Gesamtsituation in der Welt manche Probleme damit haben, Empathie mit den Menschen in Los Angeles und insbesondere denen, die in vermeintlichen Reichenenklaven wie Pacific Palisades (wo das Thomas Mann Haus steht) oder Hollywood Hills (wo Bill Kaulitz wohnt, dessen Evakuierungsfoto sein Louis-Vuitton-Kofferset zeigte) aufzubringen. Aber erstens ist Empathie keine Ressource, die knapper wird, je mehr man von ihr aufbringt. Im Gegenteil: Wer versucht, radikal humanistisch auf die Welt zu schauen, wird hoffentlich verstehen, dass es keine Hierarchie des Leidens gibt und dass Empathie kein „Entweder-Oder“ kennen sollte, sondern nur ein „Und“.
Und zweitens sind auch an diesen Orten nicht alle Fantastilliardäre und Ungerechtigkeit wird durch die Klimakatastrophe verschärft. Naturkatastrophen, von denen viele wie das aktuelle Feuer durch den Klimawandel immer heftigere und extremere Auswirkungen haben, zeigen überall: Verlierer sind immer die, die unten in der Hackordnung stehen. Bei den wenigen verbliebenen Normalverdiener*innen in diesen Vierteln – und dazu zählen auch die meisten Musiker*innen, die nicht gerade Bill Kaulitz oder Billy Corgan heißen – ist es weit weniger wahrscheinlich, dass sie es sich leisten können, ihr Zuhause wieder aufzubauen. Angesichts des Klimawandels ziehen sich große Versicherungsunternehmen aus gefährdeten Küstenregionen zurück, kündigten letztes Jahr beispielsweise schon in Gegenden wie Pacific Palisades und Malibu einseitig Versicherungspolicen. Und selbst wer noch eine hat, hat Sorge um eine langwierige Auseinandersetzung.
Indiequeen Ethel Cain kam da mit einem ziemlich, wie soll man sagen, problematischen Vorschlag um die Ecke: „#KillMoreCEOs“ kommentierte sie einen Post des progressiven Wirtschaftswissenschaftlers und Ex-US-Arbeitsministers Robert Reich, der darin den Einfluss von Öl- und Versicherungskonzernen auf die Politik erklärte. Abgesehen von der offenen Menschenfeindlichkeit des Vorschlags werden Morde das Grundproblem nicht lösen. Hat der von Luigi Mangione verübte Mord an einen Versicherungschef das US-Gesundheitssystem beeinflusst? Nein, natürlich nicht. Ganz im Gegenteil, jetzt können CEOs wahrscheinlich wegen der Gefahr, der sie sich ausgesetzt sehen, noch höhere Bezüge verlangen. Wenn das überhaupt geht – schon jetzt übersteigen bei einigen solcher Konzerne CEO-Bezüge die Steuerbeiträge.
Aber nur weil Naturkatastrophen bislang meist zu mehr Ungerechtigkeit geführt haben, muss es nicht so sein: In Los Angeles zeigt sich gerade, wie die städtische Community zusammenwächst und anpackt, um sich gegenseitig zu helfen. Viele selbstorganisierte Spendenzentren sind völlig überwältigt von der Masse an Spenden. Sogar Hardcorekapitalist Jason Oppenheim aus der furchtbaren Reality-Serie „Selling Sunset“ empört sich öffentlich über Wuchermieten und bietet seine Dienste als Makler für Menschen, die ihre Häuser im Feuer verloren haben, kostenlos an. Woke Selling Sunset? Hatte ich jetzt nicht auf meiner Bingokarte, aber hey, whatever helps.