Aidas Popkolumne: L’Amour … jamais
Die Revolution will not be televised – aber rechte Unterwanderung wird meme-ified
Ganz ehrlich, ich habe auch schon kaum noch Lust darüber zu reden: das Sylt-Video. Mittlerweile haben wir es wahrscheinlich alle öfter gesehen, als es uns lieb ist – und der olle Gigi d’Agostino-Smasher „L’Amour Toujours“ ist wieder in die Charts gekrabbelt, höher als je zuvor. Wahrscheinlich setzt sich die Hörer:innenschaft zu 50 Prozent aus Rassist:innen und denen zusammen, die solche Aktionen dauernd als „Witz“, „Meme“ oder „dummen Jugendfehler“ entschuldigen wollen (major side-eye an die journalistische Kolleg:innenschaft), und zu 50 Prozent aus Menschen, die mit genau diesem beschissenen Gegröle gemeint sind, aber die verdammte Melodie nicht mehr aus ihren Ohren gedrillt bekommen. Eventuell bin ich hier mitgemeint.
Und eigentlich ist auch schon alles dazu gesagt und alle Fragen dazu gestellt: Ist Rassismus etwa auch in Westdeutschland ein Thema? Ist es okay, Menschen, die dumme bis menschenfeindliche Dinge tun, zu doxxen? Sollte Gigi d’Agostino (der das ganze übrigens, wie er nun der „NZZ“ erzählte, so gar nicht geil findet) das Geld, dass er mit der Renaissance des alten Eurodanceschinkens verdient, spenden? Wie kann es sein, dass niemand in diesem winzigen Laden etwas vom Gegröle mitbekommen haben will? War die eine Frau, die augenscheinlich angepisst war, vom Rassismus genervt, oder weil ihr BWL-Justus mit einer anderen geflirtet hat? Warum ist das alles so ein gottverdammter Ohrwurm? Warum haben manche Journalist:innen diesen Drang, Hitlergrüße und offenes Faschoverhalten bei jeder Gelegenheit zu minimieren? Und woher zur Hölle kommt dieser entspannte Partyrassismus bei geschmacksbefreiten Leuten, die genug auf der hohen Kante haben, um 150 Euro Eintritt für einen unterdurchschnittlichen Club bezahlen zu können?
Weil die Rechte generell nicht sonderlich gut darin ist, popkulturelle Produkte zu produzieren, muss sie sich anderweitig Inhalte aneignen. Wie Jessica Ramczik in ihrem sehr guten Text für das „Kaput“-Magazin schreibt, ist „L’Amour Toujours“ ja nicht der einzige Song, der so umgedichtet wurde, und nicht das einzige popkulturelle Produkt, das als rechter Code genutzt wird. Das Video ist damit ein Paradebeispiel für die Radikalisierung der sogenannten Mitte und dafür, wie sehr sich mittels Memes und Co. rassistische Ideologien zurückgefressen haben in das, was vermutlich der Mainstream ist – ob Karnevalspartys, Schützenfeste, Sylt oder elitäre Internate, alle sind sich einig darin, dass „Ausländer Raus“ zum Eurodance-Beat eine richtig lustige Angelegenheit ist. Rechtsruck, das sind eben nicht nur die Umfrageergebnisse in Thüringen, sondern auch, dass Plakate von rechtsextremen Parteien mittlerweile problemlos sogar in einst so antifaschistischen Hochburgen wie Berlin-Mitte und Kreuzberg hängen können – und unbeschadet den Vorwahlkampf überstehen. Rechtsruck, das ist auch unsere Sprachlosigkeit angesichts der Erfolge von Rechtsaußen bei Kommunal- und Landratswahlen, und das ist auch die Verbreitung von rechter Popkultur und Memes, straight von der Faschoparty zur Sommerparty auf Sylt und zum Karnevalsfest im Dorf um die Ecke.
Nicht ohne Grund nennt sich Donald Trump Jr. auf Tiktok „Meme Wars General“
Ständige Wiederholung kann Inhalte ihrer Bedeutung entleeren und dem Raum zur Neuinterpretation öffnen, das ist bei Memes so und das ist auch Teil der Geschichte des Sylt-Videos. Und das ist für jegliche Ideologie der beste Weg, sich in unsere Gehirne einzuschleichen – nicht ohne Grund nennt sich Donald Trump Jr. auf Tiktok „Meme Wars General“. Jetzt, wo sein Vater in einem Verfahren wegen Verschleierung von (illegalen) Schweigegeldzahlungen von den Geschworenen für schuldig erklärt wurde, nutzten Senior, Junior und das ganze Team Trump die Strategie um seine Anhängerschaft gegen das Gericht und vielleicht auch das ganze Rechtssystem der USA in Stellung zu bringen.
Dabei muss das Ganze auch nicht absichtlich passieren, wie der vielleicht befremdlichste Sommerhit des Jahres zeigt: „I’m looking for a man in finance, trustfund, 6’5, blue eyes“ wiederholte die Tiktokerin Girl on Couch, die eigentlich Megan Boni heißt, in einem ihrer Comedy-Skits. Eigentlich als ironisches Video über beknacktes Datinglife gedacht, hat es Bonis Alter-Ego Girl on Couch einen Plattenvertrag bei einem Majorlabel und einen Vertrag mit einer Talentagentur eingebracht. Jetzt tritt sie gemeinsam mit David „shoutout to his family“ Guetta auf und hunderte, manchmal Tausende Leute singen mit. Kommt die Ironie des Videos an? Oder wird da eher das Bild vom Finance Bro und Maximalkapitalisten als Partner der Träume verfestigt?
„L’Amour Toujours“ mit Fascho-Lyrics und „I’m Looking for a Man in Finance“ als Sommerhits des Jahres – selbst für mich als stolze Trägerin von Scooter-Merch und langjährige Gigi-Ultra ist das der Horror in Musikform. Aber vielleicht ist das ja auch genau der Sound, den wir in diesen beschissenen Zeit verdienen. Die Revolution will not be televised – aber rechte Unterwanderung wird meme-ified.