ABBA vs. Italo-Disco


Neues Album, flachster Stil: Kaum eine Band beherrscht das Spiel auf der Pop-Klaviatur so gekonnt wie Goldfrapp

Pop ist die Kunstform, in der sich individueller Ausdruck und Kommerzialität gegenseitig befruchten. Diese These belegt das englische Duo Goldfrapp brillant – obwohl Alison Goldfrapp und Will Gregory ihr eigentlich nicht zustimmen mögen. Als Goldfrapp mit dem Spät-Trip-Hop-Album FELT MOUNTAIN debütierten, sagte die Sängerin sogar: „Pop ist flach, dumm und aggressiv. Es ist ein Konzept, das ich nicht verstehe und von dem ich mich fernhalten möchte.“ Fast zehn Jahre und drei britische Top-Ten-Singles später besteht Alison Goldfrapp noch immer darauf, ihre Musik sei vor allem „ein Ausdruck meiner selbst.“ Alles andere sei unaufrichtig. Und doch verstehen sich Goldfrapp vorzüglich auf das Spiel der Masken des Pop. Mindestens ebenso wie die Musik bleiben Bilder in Erinnerung, Bilder von Alison Goldfrapp als einsame Stewardess, als Glam-Rock-Domina in Plateauschuhen, als hippieskes Waldwesen. 2010 kommt sie im blondgelockten Bonnie-Tyler-Gedächtnislook vor hyperkitschigen 80er-Fantasy-Hintergründen daher. Die Geschichte dazu ist auf HEAD FIRST, dem fünften Album von Goldfrapp, also eine Erzählung von den 80ern, wie sie wirklich klangen und aussahen. „Rocket“, die erste Single, wird getragen von einem Synthie-Riff mit klarem Vorbild: „Wir haben gemerkt: Es klingt wie Jump‘ von Van Haien“, sagt Alison Goldfrapp, „und dachten: Ach, auch egal!“ Albernheiten zuzulassen, das prägt den Song, mit seinen Ohohos im Refrain und, natürlich, einem Countdown am Schluss, herrlich. Besonders gelungen ist der Titelsong, der den Einfluss des Abba-Albums THE VISITORS nicht verschweigt. Für „I Wanna Life“ haben sich Goldfrapp beim Italo-Disco-Sound bedient, dessen Revival ja schon länger schwelt.

Erfolgreicher Pop findet den Sound, der im entscheidenden Moment zwar nicht mehr völlig innovativ ist, aber immer noch neu genug klingt. Darin sind Goldfrapp sehr gut. Sie mögen dieses Zwischenstadium. „Dass Popstars immer mehr zu Marken werden müssen, macht mir Angst,“ sagt die Sängerin, „wenn das neue Parfüm genauso wichtig ist wie die Musik.“ Ein Goldfrapp-Parfüm würde wohl niemand interessieren, lacht sie bitter. Dafür haben Goldfrapp Ruhe vor dem Boulevard. Und wenn eine Sunday-Times-Geschiehte über „spät erblühendes Lesbentum“ an ihr und ihrer Lebensgefährtin aufgehängt wird, ist Alison Goldfrapp milde irritiert. Goldfrapp und Gregory sind beide jenseits der vierzig, mithin aufgewachsen mit dem Album als prägendem Format der Popmusik. Dass diese Ära wohl vorüber ist, glaubt Alison Goldfrapp schon: „Aber wir haben uns entschlossen, das zu ignorieren.“ Album-Pop schafft es, einer Folge von Songs ein übergeordnetes Thema zu verleihen. Das können Goldfrapp selbst wenn diese Geschichte vom Pop einer vergangenen Epoche erzählt.