Karl Ranseier ist tot: Paulas Popwoche im Überblick
Paulas Popwoche über frühe Weihnachten, „RTL Samstag Nacht“, The 1975, Backstreet Boys und Aaron Carter sowie „King Richard“.
Trend der Woche: Weihnachten
Naaa, wurdet ihr schon gewhamt? Halloween ist ja irgendwann letzte Woche gewesen und seitdem ist offenbar Vorweihnachtszeit, ich hab sogar schon den ersten offenen Weihnachtsmarkt gesehen und trinke auf Arbeit bereits heimlich Glühwein. Mir war nicht klar, dass wir das jetzt nahtlos machen. Aber wenn Mariah es so sagt, ist dem wohl so. It’s TIIIIIIIIME.
Also habe ich mich zumindest schon mal angewhamt, und zwar indem ich mir die beiden neuesten Coverversionen von „Last Christmas“ angehört habe, beziehungsweise anhören musste. In diesem Jahr gibt es welche von Future Islands (langweilig) und den Backstreet Boys (zusammen mit dem Video sehr lieb):
Aber jetzt kommt das Allergeilste: Jemand hat sich die Mühe gemacht und alle (?) Coverversionen unseres liebsten Weihnachtssongs in einer Playlist gesammelt. Sowas macht mich ja übertrieben glücklich… Das ist, glaube ich, die Nächstenliebe, von der Jesus sprach.
Retro der Woche: „RTL Samstag Nacht – Das Wiedersehen“
„RTL Samstag Nacht“ (1993 – 1998) hat mich humormäßig geprägt wie wenig sonst. Ob das was Gutes ist, lasse ich mal offen. Ich hab’s jedenfalls als Kind geliebt und es immer geguckt, wenn irgendwo eine Wiederholung lief, obwohl ich natürlich nur die Hälfte verstanden habe. Und ich hatte diese RTL-Samstag-Nacht-Kassette, auf der die besten Sketche zum Anhören waren und hab sie so oft gehört, dass ich bis heute alles auswendig kann. „Die Dusche der Kelly Family hat Selbstmord begannen. Der Grund: Sie hat sich schon seit Jahren überflüssig gefühlt.“ Ahahahaha. Naja.
Dementsprechend stark habe ich mich auf die Reunion-Show gefreut, die dann endlich am 29. Oktober im „Flimmerkasten“ lief. Und es war einfach nur schön. Tanja Schumann, Esther Schweins, Olli Dittrich, Wigald Boning, Stefan Jürgens, Tommy Krappweis und Hugo Egon Balder schauten zurück und ließen die Klassikerrubriken teilweise noch mal neu aufleben, was erstaunlich gut funktionierte. Es gab Gastauftritte von Atze Schröder, Tahnee, Markus Maria Profitlich und leider auch Ingo Appelt, Songs von Die Doofen und dazwischen wurde immer wieder dem genialen Mirco Nontschew gedacht, der leider im vergangenen Jahr verstorben ist. Man lacht und heult also abwechselnd beim Gucken – gut. Nachstreamen kann man die Sendung auf RTL+.
Rant der Woche: Über euch und The 1975
Also, es ist so, dass jetzt schon seit einer Weile so getan wird, als wären The 1975 die Zukunft, die Gegenwart oder auch die Vergangenheit. Ich lese, sie seien die Band der Stunde, eine Band, wie es sie eigentlich nur früher gegeben hat, die letzte Rockband, die einzigen, die größten, die geilsten und ich denke mir, seid ihr eigentlich noch bei Trost? Sie sind stinklangweilig und egal! Nur weil der Sänger an seinem Pimmel auf der Bühne rumspielt, rohes Fleisch frisst und sich mal bei Twitter ausgeloggt hat? Das finden wir 2022 aufregend? Deshalb fallen wir alle in Beatlesmädchenohnmacht?
Ich will eigentlich nicht in die alte Kerbe hauen. Über die Hängengebliebenheit von Musikjournalismus wurde schon oft geredet, aber come on. Hier sind wir in der vielfältigsten Ära der Musikgeschichte. Wir haben Bands wie Wet Leg, Dry Cleaning, Big Thief, The Linda Lindas, Meet Me @ The Altar, First Aid Kit, Beach House und natürlich auch Florence + The Machine, Paramore, Yeah Yeah Yeahs, Haim, Wolf Alice und Warpaint. Aber wir fallen immer noch auf diese alten Jungsposen rein, werden ganz benebelt und hören gar nicht mehr hin? Und mit „wir“ meine ich wirklich auch meine Generation. Denn es sind nicht nur die alten Boomer, die ihr business as usual machen, sondern auch junge Menschen steigen auf den Train der Superlative. Es kann nur die eine Band geben, und sie ist natürlich eine aus Männern. Weil alles andere nur eine Nische sein kann, egal wie erfolgreich. Weil Bands mit Frauen drinnen nicht für alle Menschen Identifikationsfiguren sein können. Lieber identifiziert man sich stattdessen mit Durchschnittlichkeit. Die Musik von The 1975 ist hingerotzt, öde und klingt wie die schlechteren Backstreet Boys. Es ist quiet quitting – der Soundtrack. Und der Sänger ist nicht besser als die Typen, die oberkörperfrei in die U-Bahn kommen und erstmal Klimmzüge machen, damit alle gucken. Ich krieg echt zu viel, ich muss aufhören, Leute, hört bitte auch auf, lasset ab von The 1975, jetzt reißt euch doch mal zusammen!
Trauer der Woche: Backstreet Boys und Aaron Carter
Wenn schon Jungsband, dann das Original. Bei ihrem Konzert am vergangenen Samstag in London haben die Backstreet Boys mal wieder bewiesen, dass sie nicht nur ein paar der fähigsten Entertainer, sondern auch dufte Typen sind. Einen Tag vorher war Aaron Carter, Nick Carters Bruder, im Alter von 34 Jahren gestorben und sie gedachten ihm liebevoll und authentisch. Von diesem Konzert gibt es noch mehr Videos, mehrere Male bricht Nick in Tränen aus, die anderen „Boys“ lassen das aber zu, tätscheln ihn und sich gegenseitig, fallen sich immer wieder in die Arme, sie sind einfach lieb.
Aaron Carters Tod ist furchtbar. Ich weiß noch, wie er damals auftauchte, er war ungefähr in meinem Alter und ein Star, es war merkwürdig, aber ich hab es natürlich nicht in Frage gestellt. Er hatte die gleiche Frisur wie ich – meine Geschwister nannten mich deswegen eine Zeit lang Aaron Carter –, er hatte auch viele Geschwister, genau wie ich, einfach ein Kind wie man selbst. Zusätzlich machte er eben Musik und ein paar Videos, spielte ein paar Konzerte, warum auch nicht?
Ich stieg natürlich noch mal in mein BRAVO-Archiv, um was Schönes zu finden. Aber tatsächlich war der Anblick der Cover und das Lesen der Artikel einfach nur furchtbar aus heutiger Sicht. Dieser Junge war neun Jahre alt. Als Neunjähriger musste er ständig Interviews geben, in denen er über seine Familie und Konflikte in dieser Familie reden sollte, er musste aufwändige Videodrehs mit romantischen und teilweise sogar sexualisierten Storylines drehen, er wurde daraufhin zu seinem Liebesleben befragt, er musste durch die ganze verdammte Welt touren, in einer Halle vor 10.000 bis 20.000 Menschen stehen. Ich meine: Was zur Hölle? Ich war vor Kurzem das erste Mal hier in der Lanxess-Arena als Besucherin und da stand ein Mädchen mit ihrem Vater neben mir, sie musste ihm die ganze Zeit erklären warum der da vorne (Kendrick Lamar) so nuschele, sie war vielleicht vierzehn Jahre alt, total aufgeregt auf den hintersten Plätzen – und jetzt stellen wir uns mal vor, dieses Mädchen müsste da vorn auf der Bühne stehen und der Vater stünde dahinter, naja, und dieses Mädchen wäre erst verdammte neun Jahre alt.
Und was das erst mit uns allen gemacht hat, die über Jahrzehnte sahen, wie Kinder auf Bühnen und vor Kameras geschleppt werden. Berühmt sein als ultimatives Ziel – und je früher desto besser. Das erst macht einen so richtig besonders. Genial, mutig, besonders reif und so weiter. Als jüngster Sänger, der jemals soundsoviele Songs in den soundso Charts hatte, bekam Aaron natürlich auch Preise. Überhaupt Preise: Geil. Man weiß, wie Kinder- und Jugendgehirne auf Belohnungen reagieren – nämlich besonders stark. Wenn diese Belohnungen dann wegfallen, gibt es ein Problem. Plattformen wie Instagram und TikTok machen sich das heute zunutze und mit ihrem vermeintlichen Belohnungssystem Kinder und Jugendliche abhängig.
Es ist furchtbar, was diesem Jungen als Kind angetan wurde. Über den Rest kann man nur spekulieren, sollte man aber vielleicht lassen. Aaron’s Party hätte jedenfalls seine eigene sein sollen. Rest in Peace.
Streamingtipp der Woche: „King Richard“
Jemand, der es anders machen wollte, ist der Vater der Tennislegenden Venus und Serena Williams, Richard Williams, von dem der Film „King Richard“ handelt (seit Kurzem auf Netflix). Zwar hat Richard seine Kinder auch hart trainiert, unter Druck gesetzt und immer wieder Grenzen überschritten. Aber er hat eben auch dafür gesorgt, dass sie zur Schule gehen konnten und Zeit für Teenagerkram hatten. Mit seiner Sturheit hat er sich so gegen jeden Widerstand von Vertretern aus dem Profisport durchgesetzt – und am Ende Recht behalten. Der Film zeigt ein vielseitiges Porträt von Richard Williams, bei dem er nicht als heiliger Übervater dargestellt wird, sondern als einer, der Fehler macht und Leute verletzt, der nicht immer sympathisch ist, aber der auch mehr als genug Verletzungen im Leben einstecken musste. Unbedingt glotzen!
So, und nun gehe ich, und zwar aus moralischen Gründen! Genau wie derzeit viele Leute von Twitter. Zum Beispiel auch Promis, wie Sara Bareilles, Toni Braxton, Whoopi Goldberg, Gigi Hadid und Shonda Rhimes:
Auf dass zur nächsten Kolumne der ganze Scheißhaufen bereits in die Luft gegangen ist und wir uns dann auf dem Weihnachtsmarkt anschreien.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.