Sonnenrot Festival Geretsried
Draußen im Grünen: Das kleine 2-Tage-Festival außerhalb Münchens mit seinen heimlichen und unheimlichen Höhepunkten.
Wer am Samstag gegen 18 Uhr als Unwissender im Publikum vor der Zeltbühne des Sonnenrot Festivals steht, mag sich ein bisschen wundern über die Anziehungskraft der Münchner Band Fertig los!, die als nächste auf dem Zeitplan steht. Das Zelt ist – bei gefühlten 60 Grad Celsius – so voll, dass fast gar nichts mehr geht. Haben wir da was verpasst? Nein, reden wir nicht lange herum: Fertig los! können krankheitsbedingt nicht auftreten, Sportfreunde Stiller spielen stattdessen einen „Geheimgig“. Weil sich nur noch eine Handvoll Menschen vor der Hauptbühne aufhält – da rockenrollen sich gerade Gods Of Blitz einen ab – und im Zelt vor dem Auftritt immer wieder „54,74,90,2010“ skandiert wird, ist davon auszugehen, dass der Geheimgig mittlerweile nicht mehr ganz so geheim ist. Ein paar tausend Menschen werden in der folgenden Stunde den Sportfreunden so nahe kommen wie in nächster Zeit nicht mehr.
Das erste Sonnenrot Festival im Sommer 2004 war eine Leistungsschau des deutschen Liedgutes. Die Erweiterung der zweiten Ausgabe hin zu einer neuen The-Band-Internationalität (The Sounds, The Cinematics, The Bishops) leidet ein bisschen unter der Absage von The Futureheads ein paar Tage vor Beginn. Im Grunde bleibt Sonnenrot aber ein kleines, feines Festival mit dem Schwerpunkt auf nationale Acts: Madsen erwecken nach zwei Alben und unzähligen Konzerten am Samstag den Eindruck der gewachsenen Liveband, die Spaß an der Sache hat. Sebastian Madsen entwickelt sich mehr und mehr zu einem Entertainer mit Thees-Uhlmann-Qualitäten („Hallo, wir sind Sportfreunde Madsen“), und die Band gibt mit „99 Problems“ eine Coverversion des Jay-Z-Songs. Mando Diao, die zwei „Slots“ später spielen, vermitteln das genaue Gegenteil. So lustlos hat man die Schweden selten gesehen. Freilich wird die Gleichgültigkeit vom Publikum bereitwillig als Coolness missverstanden, und – natürlich sind selbst die bocklosesten Mando Diao immer noch für eine 1-A-Mimikry-Retro-Rock’n’Roll-Show gut. Fragen Sie den Literaten, Musiker und DJ Thomas Meinecke, der hat sich vom ordnungsgemäßen Zustand der Schweden ganz vorne an der Bühne überzeugt.
Den un-heimlichen Höhepunkt des Festivals gibt’s bereits am Freitagabend mit Tocotronic, die noch vor Disco-Clown Jan Delay auf die Bühne gehen. Seit ein paar Jahren – so scheint’s – haben Tocotronic -Auftritte per se Ereignischarakter – so dass erbsenzählerische Einwände (bei „Gegen den Strich“ hat sich Dirk von Lowtzow versungen etc.) zu vernachlässigen sind. Altes („Drüben auf dem Hügel“, „Ich verachte euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“) und Neues (allein fünf Songs des aktuellen Albums Kapitulation) werden zu einer epischen Breitwandigkeit verbunden, die magische Qualität besitzt. Am Ende dann, bei „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ die Neil-Young-Feedback-und-Noise-Gedächtnisorgie, bei der von Lowtzow ein wenig unbeholfen versucht, seine Gitarre zu misshandeln. Tocotronic inszenieren zum Abschluss ihres Auftritts die vermeintlich „authentische“ Rockshow, die im Grunde auch nur Inszenierung ist. Das passt dann perfekt zum Format „Rock-Festival“.
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