The Singles
Es scheint ein guter Jahrgang zu werden für Englisch singende, ähem, Singer/Songwriter aus Deutschland. Simon Konrad aus Frankfurt am Main nennt sein Projekt Cargo City. „When I Sleep…EP“ (Schallbau) hat fünf Songs lang Piano-plus-Gitarrenwohlklang, bei dem teilweise aus der Not (kein Schlagzeuger) eine Tugend (ein charakteristischer Drumcomputer-Sound) gemacht wird. Das alles liegt irgendwo zwischen Roman Fischer und Ben Folds, wenn wir uns mal so weit aus dem Fenster lehnen dürfen.
Als kleine Zwischendurch-Aufwärmübung wenden wir uns gleich Dogtooth zu, vorher aber erstmal Sniff’n’The Tears. Die britische Band hatte 1978 einen Monsterhit mit „Driver’s Seat“, einem Song, der sich auch nach massivem Fernsehreklameeinsatz als unkaputtbar erwies und heute noch die – unter Alkoholeinfluss anspruchsfrei gewordene – frühmorgendliche Partycrowd rocken kann. Dogtooth (wer zum Teufel?) erinnern mit ihrem „Driver’s Seat“ (Delicious Garden Recordings- Download only) an die Unsitte aus den 90er-Jahren, alte Gassenhauer „tanzbar“ zu machen. Wenn Sie ein bisschen Fußballer-Iro-Arschgeweih-Tussi-Landdisco-Flair in ihr Wohnzimmer holen wollen, begeben Sie sich direkt in den iTunes-Store, gehen Sie nicht über das Geschmacksfeld.
Die neue 7-Inch der Editors, „Smokers Outside The Hospital Doors“ (Kitchenware/PIAS/Rough Trade), gibt’s in zwei Konfigurationen. Einmal als „Limited Edition“ I (schön auf durchsichtigem Vinyl) und einmal als unlimitierte (nicht ganz so schön auf schwarzem Vinyl), obwohl in Zeiten rückgängiger Tonträgerverkäufe auch die unlimitierte Version nicht für ewig zu bekommen sein wird. Beide Singles verleiten mit je einem Non-Album-Track auf den B-Seiten zum Kauf. „The Picture“ ist ein pathetisches Soundgemälde, wie Interpol auf Muskelrelaxantien, „Some Kind Of Spark“ dann ein eher typischer Editors-Song, also Interpol, ca. 2004.
Kommen wir zu Fink (UK), die durch das eingeklammerte „UK“ in ihrem Bandnamen nicht nur ihre Herkunft zu erkennen geben, sondern sich auch von Nils Koppruchs leider nicht mehr existenter Band Fink zu unterscheiden wissen. „Trouble’s What You In / This Is The Thing“ (Ninja Tune/Rough Trade) ist Singer/Songwriter-Folk von den Rändern des Universums. „This Is The Thing“ ein wehmütiger Country-Blues. Sechs Tracks auf der CD, zwei auf der 7-Inch.
Die Lobeshymnen (von [N]ME bis MTV) über Konstantin Groppers Projekt Get Well Soon zu repetieren, sparen wir uns jetzt, sondern kommen gleich zur EP „All That Keeps Us From Giving In“ (Kaiserlich-Königlich – Download only). Wie der 25-Jährige Mannheimer in den vier Songs Singer/Songwriter-Zeugs, Vaudeville, komische Frauenchöre, Tango, elektronische Texturen und Countryrock zu fett (aber nicht überladen) instrumentierten, atmosphärisch dichten Kompositionen zusammenfügt, ist eine Klasse für sich. Auch weil für Gropper-im Gegensatz zu vielen anderen-das Nach-außen-Tragen der Leiden des jungen Songwriters kein alleiniges Qualitätsmerkmal darzustellen scheint. Freilich klingt seine Stimme manchmal wie die von Thom Yorke. Aber das ist ja nicht unbedingt die alterschlechteste Referenz.
Auf dem weiten Feld des Americana hat es sich Samuel Beams „Band“ Iron Arid Wine auf dem wahrscheinlich nicht unbedingt weniger weiten Sub-Feld zwischen Calexico und Jason Molinas Magnolia Electric Co. niedergelassen und es sich bequem gemacht. Nicht ganz so freundlich wie Calexico, nicht ganz so desperat wie Molina, arbeitet Beam an einem komisch instrumentierten, semi-elektronischen Future-Space-Folk. Die EP „Boy With A Coin“ (Sub Pop/Cargo) ist die Vorhut des Albums The Shepherd’s Dog, das Ende September erscheinen soll.
Achtung: Sheffield schon wieder. Jon McClure, der „Reverend“ in Reverend And The Makers, war früher Mitglied der Band Judan Suki, in der auch die beiden Arctic Monkeys Alex Turner und Matt Helders herumtaten. Gut, ne? Die Debütsingle „Heavyweight Champion Of The World“ (Wall Of Sound/PIAS/Rough Trade) hat zwei Lieder lang seltsam-guten Indie-Electro-Funk-Rock plus „The Last Resort“, ein Gedicht McClures, rezitiert vom Performance-Poeten John Cooper Clarke. Schön.
Auch schön: die Verpackung der 7-Inch „Prinz von Homburg“ (Para Pop/X-Mist) der, ähem, Pfälzer Punkband Trend. Das Cover entpuppt sich als ein ausklappbares Siebdruck-Poster. Es wurde gestaltet vom kanadischen Künstlerkollektiv Seripop. Wir hören 80er-Jahre-informierten, hektischen Klapper-Punkrock, wie wenn Die Goldenen Zitronen und Gang Of Four sich zu einer „Supergroup“ des Post-Post-Punk zusammengeschlossen hätten. Das funktioniert.
Die EP „Lunar One“ (Lucky Number/Rough Trade) von Seventeen Evergreen stellt ein gefundenes Fressen dar für alle ange-Nerd-eten Hobbymusikologen und Referenzforscher. Was das Duo aus San Francisco in den fünf Tracks dieser EP aus den Untiefen der Popmusikgeschichte hervorkramt und zu eigenen Songs zusammenschweißt, geht auf keine Kuhhaut: angepsychter Indiefolkrock (The Jesus & Mary Chain). Psychedelia (von den frühen Pink Floyd bis zu den späten Spacemen 3), Minimalmusik (Steve Reich), Glam-Rock (der frühe Brian Eno), oldschoolige (der mittlere Brian Eno) und newschoolige cinematographische elektronische Musik (Boards Of Canada). Wir sind wieder beeindruckt.
Eine neue Giftigkeit versprühen die Yeah Yeah Yeahs auf der EP „Isis“ (Dress Up/Fiction/Polydor/Universal). Oder handelt es sich dabei nicht doch eher um eine ältere Zwischen-Album-1-und-2-Giftigkeit? Denn die fünf „neuen“ Songs (drei davon waren vorher nur auf der Live-DVD „Tell Me What Rockers To Swallow“ zu haben) entstanden bereits im Jahr 2004 während der Tour zum Album Fever To Tell. In „Rockers To Swallow“ wird der massive PIL-FLOWERS-OF-ROMANCE-Drumsound mit abgehackten Stakkato-Gitarrenriffs und Karen Os Geschrei zu einem tribalen Weirdo-Gerocke. „Down Boy“ bietet dann Zuckerbrot und Peitsche an, zwischen psychedelischer Subtilität und Indie-Gestampfe. Wir sind schon wieder beeindruckt.