„No Elvis, Beatles or the Rolling Stones in 1977“: Die 25 Punk-Singles
The Stranglers – (Get A) Grip (On Yourself)
Die erste Stranglers-Single-ein polternder Bastard aus Pub Rock, Punk und „New Wave“: einfache Synthesizer-Melodie, Hugh Cornwells hektischer Sprechgesang (Hallo, Eddie Argos), der bald zum Markenzeichen werden wird plus ein Saxophon, das wie ein gar nicht so fernes Echo aus Glam-Rock-Zeiten klingt. Ob die Stranglers Punk waren oder nicht, beschäftigt die Gelehrten, diese Zeile aus „(Get A) Grip (On Yourself)“ ist es auf jeden Fall: „The worst crime that I ever did was play some rock and roll.“
Buzzcocks – Spiral Scratch
Dass Howard Devoto und Pete Shelley vor ihrer Sex-Pistols-Epiphanie Velvet Underground, Brian Eno und deutsche Elektroniker verehrten, ist unüberhörbar. Die Mischung aus diesen Einflüssen machte die erste Punk-Independent-Platte (auf dem Band-Label New Hormones) auch zur ersten Post-Punk-Platte-schroff, kalt, roh produziert und voll beeindruckender Text-Bilder „I’m living in this movie / but it doesnt move me“), wurden die vier Tracks zur Formatvorlage für ein Genre.
The Damned – Neat Neat Neat
Nach Captain Sensibles eröffnender „Come On Everybody“-Bassline holpern sich The Damned auf ihrer zweiten (von Nick Lowe produzierten) Single in nicht einmal drei Minuten durch diese hektische, aufgedrehte Punk-Rock-Hymne. Brian James‘ Gitarrensolo in der Mitte des Songs ist, ähem, bemerkenswert.
Devo – Mongoloid
Motorischer Beat, hypnotisches Riff, bedrohlicher Synth-Einsatz, irritierender Text, hysterisch-kontrollierter Gesang-die ehemaligen Prog-Rocker definierten gleich mit ihrer ersten (auf dem eigenen Booji-Boy-Label erschienenen und von Stiff neu aufgelegten) Single den Stil, den man damals (in Abgrenzung zum rüpelhaften Punk)“New Wave“ nannte. Die B-Seite „Jocko Homo“ enthielt den fundamentalen Slogan der „Devolution-Philosophie“(und späteren Albumtitel): „Are we not men? We are Devo!“ 1978 wurden beide Songs mit Brian Eno neu aufgenommen, aber die Originale knallen besser.
The Clash – White Riot
„White Riot entstand als Kommentar auf die ’76er Rassenunruhen in Notting Hill. Der Song war kein Aufruf zu einem Rassenkrieg – wie damals von manchen Leuten irrtümlich angenommen wurde. Die erste Single von The Clash, ein schneller Drei-Akkord-Song, ist vielleicht das archetypische Punk-Lied. Auf der B-Seite „1977“ erinnerte Joe Strummer an den kulturpolitischen Auftrag von Punk: „No Elvis, Beatles or The Rolling Stones in 1977″
Dead Boys – Sonic Reducer
Wie Devo kamen die Dead Boys aus Ohio und entstanden aus den Überresten von Rocket From The Tombs (denen auch Pere Ubu entsprangen, deren Sänger David Thomas Miturheber von „Sonic Reducer“ war). Ihre erste Single war und blieb die Essenz der Band – ein trotziger, kaputter, schriller und bis an die Grenze der Selbstzerstörung brutaler, aber superspaßiger Aufschrei, der einer der größten Punk-Evergreens wurde. Tausendfach gecovert und gesampelt (u.a. von den Beastie Boys), klingt er heute so wild und aufregend wie damals.
Radiators – From Space Television Screen
Im Januar 1975(als Greta Garbage & The Trashcans) gegründet, waren die Radiators From Space nicht nur die erste irische, sondern eine der ersten Punkbands überhaupt. Ihre erste Single bringt auf den Punkt, was Punk im Grunde war:ein klassischer Chuck-Berry-Rock’n’Roller, in mörderischer Geschwindigkeit runtergerotzt und an der Grenze zum Hundegebell „gesungen“. Später wurden die Radiators (ohne Space) trotz mäßigem Erfolg eine der einfalls- und einflussreichsten irischen Popbands.
The Jam – In The City
Auftritt: Paul Weller. Der Mod-Punk von der ersten The-Jam-Single beantwortete den offensiven Nihilismus und den Antischick des Punk mit dem deutlichen Bezug zum Britpop der 60er-Jahre (vor allem die frühen Who). The Jam verpassten „In The City“, einer Hymne an die Jugend, ein vom Sound her zeitgeistiges 1977er Update – etwa beim Eröffnungs-Gitarrenriff, das sie sich vom Sex-Pistols-Song „Holidays In The Sun“ ausgeliehen hatten.
Heartbreakers – Chinese Rocks
Mit den New York Dolls war Johnny Thunders den Punks vorangeritten, mit den Heartbreakers hinkte er hinterher – wegen Heroin, Desorganisation und anhaltendem Pech. Als ihre erste Platte erschien, war die Band so gut wie am Ende und zerstritt sich über den bescheidenen Mix vollends. „Chinese Rocks“, geschrieben von Dee Dee Ramone (mit zwei Zeilen von Ex-Heartbreaker Richard Hell), blieb (neben „Born To Lose“) der bekannteste Song der Band. Die Single verkaufte sich 20.000 Mal, dann ging das Label pleite.
Sex Pistols – God Save The Queen
Nach dem 1976er „Anarchy In The U.K.“die zweite 7-Inch der Sex Pistols und die erste von drei großartigen Singles im Jahri977. In der simplen, aber effektvollen Drei-Akkord-Hymne speit Johnny Rotten zum 25-jährigen Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. Gift und Galle, bezeichnet deren Regentschaft als „fascist Regime“ und gibt der „Bewegung“ am Schluss den Slogan: „No future“. Für die „A&M“-Pressung der Single werden heute bis zu 20.000 Euro bezahlt, (ko)
Ultravox! – Young Savage
Auch Ultravox! waren vom Krautrock geprägt (das ! liehen sie sich von Neu!), außerdem von Roxy Music, pumpten sich aber nach ihrem ersten Album dermaßen mit Punk-Energie voll, dass die zweite Single förmlich zu explodieren scheint. „Anything goes when no-one knows your name“, war vielleicht auch eine selbstironische Anspielung auf den kommerziellen Misserfolg der Band, die zu den wichtigsten Post-Punk-Vorreitern zählt.
Sex Pistols – Pretty Vacant
Hinter all dem Krach versteckt sich der Pop. Nicht nur, dass Steve Jones das Gitarrenriff am Anfang von Abba ausgeliehen hat („S.O.S.“), „Pretty Vacant“ (B-Seite: ein in die Länge gezogenes Cover des Stooges-Songs „No Fun“) mit seiner catchy Melodie und dem Chorgesang ist ein veritabler Popsong. Die Ode an den Nihilsmus der Punk-Generation war die erste Single der Sex Pistols, die nicht von der BBC auf den Index gesetzt wurde.
Johnny Moped – No One
Ihre Geschichte wäre längst ein Buch wert, und irgendwie waren I Johnny Moped und seine Band (der auch mal Captain Sensible und Chrissie Hynde angehörten) eine Art abseitiges Zentrum der Londoner Punkszene. Leider (oder zum Glück) fehlte ihnen jeglicher kommerzielle Geist, drum gingen sie nach Ende der „ersten Welle“ langsam unter und als Kuriosität in die Geschichte ein.
The Adverts – Gary Gilmore’s Eyes
In einer Zeitung, die er in der U-Bahn gefunden hatte, las Adverts-Sänger TV. Smith die Geschichte des amerikanischen Mörders Gary Gilmore, der auf seinem Recht bestand, hingerichtet zu werden, und verfügt hatte, dass nach seinem Tod die Netzhaut seiner Augen für Transplantationszwecke freigegeben werden. Aus der Geschichte machten The Adverts einen catchy Punksong.
999 – I’m Alive
Halsbrecherisches Tempo, hysterischer Kreischgesang, Gitarren wie Eisenstangen, neongrelle Farben-999 waren auf den ersten Blick ein Punk-Abziehbild, hatten aber weit mehr Substanz als der Großteil der Konkurrenz. Ihre erste Single kommt einer spontanen Selbstverbrennung näher als sogut wie jeder andere Rocksong. Wer dabei still sitzen kann, ist tot.
The Lurkers – Shadow
Man nannte sie die „britischen Ramones“ die Gabba-Gabba-Holzköpfigkeit, beiden US-Vorbildern Teil des Konzepts, lebten die Lurkers real. So gut wie alle ihre Platten klangen gleich tumb, brachial und rasant. Höllischen Spaß machen sie trotzdem, zumindest in kleinen Dosen, und die erste Single ist ein nicht totzukriegender Klassiker des Primitiv-Rock.
Wreckless Eric – I’d Co To The Whole Wide World
Er war das vierte Rad am Stiff-Wagen, von den anderen drei Kreativköpfen des Indie-Labels fehlt hier nur Elvis Costello, Ian Dury trommelt, Nick Lowe spielt Bass und produziert). Und er blieb als einziger (fast) erfolglos: Seine Debütsingle (die sein einziger Hit blieb, abgesehen von Cliff Richards Coverversion von „Broken Doll“) trällert die ganze Welt (selbst die Monkees coverten sie), die genialischen Popsongs, die Eric Goulden danach schrieb, kennen leider nur die Eingeweihtesten, (msa)
Generation-X – Your Generation
Das erste Vinyl-Lebenszeichen des späteren „Punk-Elvis“ Billy Idol (der kurz vorher von der Gitarre ans Mikro gewechselt war) hatte mit Anarchie wenig am Huf. Idols Band wollte vielmehr die alten Pop- und Rock-Heroen (hier: The Who) vom Thron stürzen – mit derbem, aber poppigem Beat-Bubblegum-Punk, den viele als „Verrat“ empfanden (und trotzdem kauften). Die B-Seite „Day By Day“ haut mehr rein.
Sham69 – I Don’t Wanna
Jimmy Pursey und sein Rüpelhaufen kamen nicht von der Art School, sondern aus dem Fußballstadion – und so hörte sich der Straßenrock mit primitiv-politischem Anspruch auch an. Wie viel Witz, Hirn und musikalisches Gespür (wenn auch nicht immer die Mittel zur Umsetzung) Sham 69 hatten, erwies sich erst später, nach dem Top-10-„If The Kids Are United“ (Juli 1978). Ihre erste EP (mit „Ulster Boy“ und „Red London“) produzierte John Cale.
The Clash – Complete Control
Und noch eine großartige Clash-Hymne. Der autoreferenzielle Song über Manager, Plattenfirmenpolitik und die Stellung von Punk inmitten dieser Businessangelegenheiten war die Reaktion auf die Plattenfirma CBS, die ohne Rücksprache die Single „Remote Control“ veröffentlicht hatte. Der Titel geht auf Clash-Manager Bernie Rhodes zurück, der bei einem Treffen „totale Kontrolle“ über die Band gefordert hatte. „Complete Control“ wurde von Lee „Scratch“ Perry produziert. Es wardie erste Clash-Aufnahme mit Topper Headon als Schlagzeuger.
X-Ray Spex – Oh Bondage! Up Yours
Sie waren (nach den Banshees, die aber noch keinen Deal hatten) die erste Punkband mit Sängerin (Poly Sterene) – und Saxophonistin (Lora Logic). Beide schienen fest entschlossen, sich gegenseitig zu übertönen, ohne Rücksicht auf Verluste und Harmonien. Erstaunlicherweise geht der superschrille Alarmsirenenpunkrock so gut ins Ohr, dass die dritte Single „Identity“ sogar bei Thomas Gottschalk lief (in „Pop nach 8“). Ohne diese Platte hätte es „Riot Grrrls“ nie gegeben, (msa)
Buzzcocks – Orgasm Addict
Ohne Howard Devoto, dafür nun mit zwei Gitarren, waren die Buzzcocks eine andere Band-nichtweniger spannend und originell, nun aber mit eingebauter Ohrwurmgarantie: Dem skandalösen Major-Debüt (selbstverständlich mit Radioverbot belegt) folgten acht Hits in 18 Monaten.
Sex Pistols – Holidays In The Sun
Das Geräusch von Militärstiefeln im Gleichschritt und Steve Jones‘ schweres, schneidendes Gitarrenriff – nach einem Auftritt mit The Jam im Oktober 1976 von diesen für „In The City“ gestohlen – eröffnet den aggressivsten Song der Sex Pistols. „Holidays In The Sun“ war ein wütender sozialpolitischer Kommentar, der mit den Symbolen des (Kalten) Kriegs spielt. Die letzte Single der Sex Pistols, die zu ihren Lebzeiten veröffentlicht wurde.
Wire – Mannequin
Mit der Debüt-EP von Wire begannen im November 1977 die (guten) 80er-Jahre: Sie klangen von Anfang an komplett und konsequent anders als alle anderen und fanden die anfangs wenigen, die sie (einigermaßen) verstanden, vor allem deswegen in der Punkszene, weil der Rest der Welt noch weniger mit ihren minimalistischen Hagelkörnern von Songs anfangen konnte.
Plastic Bertrand – Ca Plane Pour Moi
„Plastics‘ nannte man in der Hoch-Zeit des Punk die modisch motivierten Trittbrettfahrer. Der Belgier Roger Jouret gab sich nicht ohne Ironie den Künstlernamen Plastic Bertrand. Seine französischsprachige Version des Elton-Motello-Songs „Jet Boy, Jet Girl“, der die homosexuelle Beziehung zweier Jugendlicher thematisierte, wurde weltweit (s)ein (einziger) Hit. Später haben Wir sind Helden die Melodie von „Ca Plane Pour Moi“ für ihren Song „Guten Tag“ adaptiert.