The Singles


Nach der fashion ruled jetzt die art bei Chicks On Speed. Oder überall auf der Welt. „Art Rules“ (Chicks On Speed Records/Hausmusik/Indigo], vom neuen, demnächst erscheinenden COS-Album, ist ein hübsch Sequencergetnebener Euro-Disco-Trash-Track. Der „Rock Mix“ (von A Scholar and Physician mit Douglas Gordonl rockt mit upfront Gitarren. Und bei“.Christopher Just’s Hard One“ handelt es sich um ein hardrockendes Techno-Brett. Das Ganze kommt im postfeministischen Artwork: Frau in sehr engen Shorts greift sich in die Arschritze. Freilich sehen Chicks On Speed „den Kunstbetrieb“ genau so differenziert wie „die Modewelt“. Was uns aber noch mehr freut als differenzierte Betrachtungen-. Nicht nur die Art kommt bald zurück, sondern auch der 90er-Jahre-Euro-Disco-Trash.

Wir befinden wir uns wieder in der Phase des Jahres, in der man – ob man will oder nicht – an allen Ecken mit dem ganz und gar fürchterlichen Wham!-Song „Last Christmas“ konfrontiert wird. Erdmöbel, die Kölner“.Popband mit eigenständigem Profil“ iPressetextl hat jetzt eine locker-luftige deutsche Version von „Last Christmas“ (Sony BMG) aufgenommen. Wobei nicht ganz klar ist, ob Zeilen wie“.Weibnachten ist mirdoch egal. Ich bin drei Karat Kaugummiautomat“ ironisch oder post-ironisch zu lesen sind. Weil: Weihnachten ist mir nämlich nicht egal. So.

Über Lee Hazlewood nur Gutes. Beim Antikriegssong „Baghdad Knights“ IBPX 1992/Sony BMG] handelt es sich um die erste Single aus dem Album CAKE or death. Ein Retro-Schlager mit einer schönen Gitarren-Hookline, aufgeblasenen Bläsern, James-Last-Chorälen und Flötengeflöte straight out of the sixties. Über Lee Hazlewood nur Gutes.

..Dominator“ von Human Resource aus Rotterdam war in der Gründer- und Hochzeit des Rave eine Dancefloor-Hymne. Zehn Jahre danach nimmt DJ Hell den Track und macht mit „Dominator (Is Hell The One And Only Dominator? – DJ Hell Remixl“ (International Deejay Gigolos/Rough Tradel eine oldschoolige. verdrogte Großraum-Rave-Beschallungshymne. „Gude, Laune, Alder.‘ Die 12-lnch kommt ohne B-Seite. Das finden wir gut.

Liverpool war eine halbe Saison lang die heiße Musikphänomen-Stadt, bevor sie von der heißen Musikphänomen-Stadt Sheffield abgelöst wurde. Marlowe kommen aus Liverpool. Die Single „Cigarettes And Npveltys“ (Probepuls/Rough Trade] kann sich nicht entscheiden, ob sie Syd-Barrettisierter Coldplay-Pop sein will lim Titelstück) oder doch lieber hymnischer Ami-Rock lauf der B-Seitel. Und wir können uns nicht entscheiden, ob wir das gut finden sollen oder nicht.

Dass Peter Björn And John nicht reihenweise Hits wie das Pfeif-Wunder „Young Folks“ raushauen würden, war uns realitätsnahen, nüchternen, objektiven Musikjournalisten von Anfang an klar. Von Anfang an. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei „Lefs Call It Off“ IWichita/Cooperative Music/V2/ Rough Tradel, die auf dem Schreibtisch als formschöne Vinylsingle liegt, um ein eingängiges Sixties-Pop-Liedchen, bei dem wieder einmal der alte Grundsatz gilt: Handclaps sind das neue Pfeifen.

Die beiden Australier, die sich The Presets nennen, waren 2006 auch so ein Fall des Nicht-daran-vorbei-kommen-Konnens für alte, die ein Herz für elektronisch generierte, elektropoppige Musik haben, deren Wurzeln in den 80er-Jahren stecken. „I Go Hard I Go Home“ (International Deejay Gigolo Records/ Rough Tradel ist die zweite Single aus dem Album BEAMS und hat mit dem fast zehnminütigen „Hell Berlin Mix“ einen Remix, den Fachleute gemeinhin „ein Brett nennen. Wie sich hier nach circa vier Minuten das fieseste Acid-Gequietsche in den ohnehin rastlosen Track reinschiebt, ist schon die höhere Kunst von Musiknachbearbeitung.

DJ Hell remixt zehn Jahre alte Tracks, und Patrick Pulsinger veröffentlicht mit „Dogmatic Sequencies III“ [Disko B/Hausmusik/Indigo] den dritten Teil einer 12-lnch-Reihe, deren letzter vor zwölf Jahren erschienen ist. Das kann man jetzt komisch finden, oder aber auch als weiteres Indiz werten für die lange prognostizierte Wiederkehr des 90er-Jahre-Techno. Der Wiener Produzent kommentiert vier Tracks lang vom heutigen Standpunkt aus die Geschichte des Früh-90er-Techno und baut ein paar hübsch-komische Acid-Spielereien und Aphex-Twin-Manierismen mit ein. Patrick Pulsinger so upfront wie selten zuvor. Und saugut.

Viele Exe hier in der vorletzten Besprechung. Schon toll, dass Ex-Afghan-Whig Greg Dulli in die aktuelle Version von The Twilight Singers Ex-Screammg-Tree Mark Lanegan, Singer/Songwriter Joseph Arthur und Ex-Afghan-Whig Rick McCollum eingebaut hat. Noch toller aber sind die beiden Coverversionen, die die EP „A Stitch In Time“ (One Little Indian/Rough Tradel zu bieten hat. „Live With Me“ von Massive Attack in einer majestätisch großen Indie-Rock-Version von fast schon Cure’sehen Ausmaßen. Und „The Ride“ von den neuseeländischen Folk-Soul-Reggae-Hip-Hoppern Fat Freddy s Drop als dunkel dahinrock’n’grollender Song mit allerhand Schichten von Gitarren und giftigen Soli.

Nachdem sich Wycetf Jean in den vergangenen Wochen für seine Verhältnisse relativ rar gemacht hat, darf man gerne wieder Tonträger, die mit seiner Beteiligung entstanden sind, verhandeln. „Dangerous“ von Ying Yang Twins Featuring Wyclef Jean (TVT/Edel) ist so einer. Die beiden Rapper aus Atlanta (D-Roc und Kaine) haben die Single des Monats eingespielt, including elektropoppender Synthiesprenkel als Wahnsinns-Hookline, schweren Rockgitarren und allerlei Schätzen aus der Rockzitatenkammer („Black Betty“ von Ram Jam, „Maneater von Hall & Oates] und einem Wyclef, der herumröchelt und keucht und faucht wie Tom Waits kurz vor der Explosion.