„“Hello, Rock am Ring. It feels good to be back!“
Die Überschrift zum Bericht über Deutschlands größtes Rockfestival lieferte Metallicas James Hetfield. Die Berichterstattung übernahm ein Konsortium aus fachkundigen Autoren. Aber lesen Sie selbst!
FREITAG The Dresden Dolls: Das erste Highlight kommt am Nachmittag. Während die meisten noch mit Stangen, Heringen und angeblich selbstaufblasenden Luftmatratzen beschäftigt sind, spielen The Dresden Dolls einen fantastischen Auftritt. Zu zweit auf der Alternastage sehen Amanda Palmer und Brian Viglione ein wenig verloren aus, klingen aber kraftvoll wie ein ganzes Orchester. Präzise kommen die Songs aus den beiden Alben, und nach dem furiosen Finale Black Sabbaths („War Pigs“) gibt es für diese Uhrzeit erstaunlich enthusiastischen Applaus, (lin) Morrissey: Eine Lektion in Sachen Stil gibt Stephen Patrick Morrissey der Ringrocker-Gemeinde. Mit großer Besetzung, überdimensionalem Gong und [u.a.] den Songs aus dem grandiosen ringleader of the tormentors demonstriert der in einen Smoking gewandete Wahlrömer gelassen die Kunst, in Würde zu altern (da paßt es ins Bild, daß rund um seine Garderobe diverses Spielzeug wie Flipper und Playstation auf seinen Befehl hin vorübergehend abgebaut werden mußte). Die Band setzt die üppigen Arrangements diszipliniert um, während Morrissey zwischen den Songs das frierende Volk mit ironischen Sentenzen wie Thank you for not throwing anything“ auf Distanz hält. (cst) Jamiroquai: Jay Kay macht in den Garderoben eine kleine Szene. Nachdem er sich mit Tunnelblick und gesenktem Kopf seinen Weg durch den Aufenthaltsbereich gebahnt hat, knallt er so beherzt die Garderobentür zu, daß sie fast aus den Angeln fliegt. Wie ein beleidigter Dreijähriger tritt er immer wieder von innen gegen die dünnen Wände. Als Jamiroquai später auf der Bühne stehen, ist von der Aufregung nichts mehr zu spüren. Jay Kay trägt seinen „lustigen“ Hut und führt die Band gewohnt souverän durch ein Set mit zahlreichen Klassikern. Ilin] Art Brut sind im kleinen Club am besten. In mittleren Hallen scheitern sie kläglich. Die Club Stage ist vergleichbar mit einer mittleren Hallle und, oh Wunder, Art Brut rocken das Festvial. Thees Uhlmann steht im Publikum und flippt aus. Argos chantet: „Tomte -Top Of The Pops“. Es ist nach Mitternacht. Von den Babyshambles, die am nachmittag hätten spielen sollen, ist weit und breit nichts zusehen. Eddie Argos kommentiert: “ I will never say again, stay away from Pete Doherty. Which is quite easy cause he’s staying away from you.“ Warten wir ab. (KO) Babyshambles: 2.30 Uhr. Ein Kleinbus hält hinter der Club Stage. Pete Doherty schwebt heraus, dreht sich im Kreis und tänzelt die Bühnenrampe hoch. Er sieht aus wie eine lebende Leiche: abgemagert, die Hautfarbe von einem eher ungesunden Gelb. Die Babyshambles stehen mit elfstündiger Verspätung dann doch noch auf der Bühne. Sie beginnen mit „Janie Jones von The Clash. Der Auftritt pendelt zwischen Genialität und Mist, mit der Tendenz zum Mist. Doherty zündet sich ständig Zigaretten an, die er nach ein paar Zügen auf den Bühnenboden wirft, ins Publikum, auf den Kopf eines Security-Mannes. Er versucht die deutsche Nationalhymne zu improvisieren. Als das nach ein paar Versuchen nicht klappt, winkt er ab und geht über in eine holprige Version von „Killamangiro“. In der ersten Reihe stehen Dutzende von 15jährigen Mädchen, die sich die Höschen naß machen. „Fuck Forever“. Nach einer Stunde entschwebt Doherty in den Kleinbus. (ko) Guns N‘ Roses: Axl Rose und seine gecasteten Musiker nehmen den Zuhörer mit auf eine Zeitreise. Der surreale Auftritt beginnt eine Stunde nach Mitternacht und dauert bis 3.30 Uhr. Axl singt fast ausschließlich seine Hits aus den 80ern, die inklusive der quäkenden Stimme auch genau so klingen wie in den 8oern. Über die Zeit bis zur Veröffentlichung von Chinese democracy könnte bei Rock am Ring 2007 ein Duett hinwegtrösten. Cher soll wieder im Kommen sein, und sie könnte mit Axl singen: „If I Could Turn Back Time.“ (mf) SAMSTAG „Bushido“ Gelöt und Gemörtel auf allen Bühnen. Geschminkte Schlagzeuger, synchron moshende Gitarristen und grunzende Sänger. Die Indie-Kids schlafen aus, auf den Zeltplätzen herrscht rege Betriebsamkeit. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht des Tages: Bushido hat abgesagt. Sein Auftritt am Freitag im Park, erzählen die Leute nicht ohne Hanne, sei eine Katastrophe gewesen. Das Metal-Publikum, konfrontiert mit einem Berliner Gangster-Rapper, hatte laut Augenzeugen so lange mit „Geldstücken, Bechern und Steinen“ geworfen, bis Bushido die Menge als „schwul“ bezeichnet hatte. (in) Metallica: Wer neue Songs hören will, wartet vergebens. Metallica nennen ihre Mini-Weltour „Escape From Studio 2006“. Wenn Janes Hetfield mal nicht auf unoriginelle Weise das Publikum animiert {..Hello Rock am Ring („It feels good to be back“), dann sagt er auch mal was wie: „Vor 20 Jahren hoben wir MASTER OF PUPPETS veröffentlicht, und deshalb spielen wir das Album“. Ein Scherz? Nein! Es folgt ein für Fans acht Stücke langer Ohrenschmaus, der leider beweist, daß Metallica mit dem Kopf noch in den 80ern stecken. (mf) SONNTAG Kaiser Chiefs: Die Herren Rockstars ziehen es am frühen Nachmittag vor. backstage Billard zu spielen, anstatt am MUSIKEXPRESS- Bus Autogramme zu geben. Fair enough. Entsprechend vorurteilsbeladen begibt sich der Rezensent zur Hauptbühne, um ihren Auftritt so richtig zu verreißen. Das gelingt aber leider nicht, weil die Band selbst zur Unzeit in der Lage ist, die Bühne so richtig auszufüllen. Sänger Ricky Wilson legt sogar eine kleine Crowdsurf-Einlage hin. (ko) Sportfreunde Stiller: Als nachmittags auf der Hauptbühne die Sonne durchbricht, hat das vielleicht auch mit dem gemütserwärmenden Gastspiel der Sportfreunde Stiller zu tun: Die drei aus Bayern verblüffen einmal mehr mit der Leichtigkeit, mit der sie ihren Boys-From-Next-Door-Charmeauch in größten Bühnendimensionen an den Mann/die Frau bringen. Musikalisch ist das alles schlicht, aber treffsicher – und die Menge kennt auch schon jede Zeile ihrer aktuellen Fußball-Hymne „54. 74. 90, 2006″… (cst] Juliette & The Licks: Der Platz vor der Alternastage füllt sich überraschend schnell, als Juliette & The Licks zu spielen beginnen. Sie bieten eine perfekt inszinierte Rockstar-Show, mit fliegenden Haaren, röhrender Stimme und exaltiertem Gepose. Immer wider sucht Lewis Kontakt zum Publikum, das ihr begeistert zujubelt. Und nach 45 Minuten zeigt der Applaus, daß die singende Schauspielerin nicht nur grundsympathisch ist, sondern auch ordentlich rocken kann, (mk) Franz Ferdinand: Bob Hardy trägt eine Sonnenbrille. Breitbeinig und regungslos steht er auf der Centerstage und begutachtet das Bild, das sich ihm bietet: Zehntausende drängeln sich vor der Bühne, hunderte Meter weit. Die Sonne steht tief. Hardy grinst und läßt das markante „Jacqueline“-Baßriff los. und die Menge wogt hin und her. hüpft und tanzt. Wir befinden uns mitten in einem furiosen Set von Franz Ferdinand, die offensichtlich Spaß daran haben, auf der riesigen Bühne einen Hit
nach dem anderen herauszujagen. Alex Kapranos hat zwar ab und an Schwierigkeiten, die richtigen Töne zu treffen, aber bei dem Spektakel, das die Schotten da veranstalten, interessiert das genau niemanden. (bw) Depeche Mode: Dave Gahan tanzt wie ein Junger, und Martin L. Gore wird in diesem Leben wohl keiner Cooler mehr. Menschen, die bei mehr als einem DEMO-Konzert waren, sagen über den Auftritt am Ring: ein solides Ding, aber nicht mehr. Für Premierengäste mufi es aber der Hammer gewesen sein. Weil der Schreiber zur ersten Kategorie gehört, gab es in der bereits bekannten PLAYING THE
Angel-Setlist nur eine Überraschung. Oepeche Mode kramen ein Stück aus ihrer Zeit als Synthie-Popper hervor: „Photographic“. das ähnlich wie „A Question Of Time“ nur live in Fahrt kommt – dafür aber richtig. (mf) Pharrell sorgt derweil auf der Alternastage für Kontrastprogramm: In einem leuchtend grünen Sweatshirt, Jeans und großen grünen Gummistiefeln turnt er grinsend über die Bühne und sucht im Unterschied zu Gore und Gahan zwischen den Songs stets den Dialog. Auch wenn sein Soloalbum wieder und wieder verschoben wurde – die Mischung aus Funk, Rock und ein bifichen HipHop funktioniert hervorragend. Die Laune der Zuschauer, die auf und ab hüpfen, mitsingen, Pharrell, vor allem auch sich selbst bejubeln, steigt während des druckvollen Sets beständig. Hin) Goldfrapp: Ein seltsam distanziertes Konzert. Die Band spielt so perfekt, und Alison singt so makellos, daß kein Unterschied zu den Platten erkennbar ist. Und trotzdem hat der Auftritt seine Momente LStrict Machine‘, „Ooh La La“), wo der Funke endlich das tut, was er tun soll. Doch plötzlich ist es vorbei, und man fragt sich: War das jetzt gut? (bw) Phoenix: Die letzte Band des Festivals spielt eines der besten Konzerte des Wochenendes. Die Setlist ist gespickt mit neuen Liedern, die einfach richtige Rocksongs sind, auch das ältere Material kommt viel rougher rüber. Phoenix spielen sich in einen Rausch, bis Sänger Thomas Mars ins Publikum springt und dort weitermacht. Kaum ein Auftritt an den letzten drei Tagen hat soviel Spaß gemacht wie dieser. (bw) Die Autoren (in order of appearance): LIN: Christoph Lindemann, CST: Christian Stolberg, KO: Albert Koch, MK: Marina Krün, MF: Marc Fleischmann, BW: Benjamin Weber