Sharon Jones & The Dap-Kings
Soul Of A Woman
Daptone/Groove Attack (VÖ: 17.11.)
Ein Jahr nach dem Tod der Soul-Sängerin erscheinen jetzt die Lieder, die sie während ihres Kampfes gegen den Krebs aufnahm.
Angesichts der vielen prominenten Tode, die in den vergangenen Jahren in der Welt der Popmusik gestorben wurden, hatten wir für Sharon Jones viel weniger Tränen übrig, als sie eigentlich verdient hätte. Vielleicht war es uns irgendwann einfach zu viel. Daher muss ein kurzer Rückblick unbedingt gestattet sein: Jones verbrachte ihre frühe Kindheit in Georgia und South Carolina und zog noch als Kind mit ihrer Familie aus dem Süden nach New York, wo sie im Kirchenchor sang und auf Hochzeiten auftrat, danach allerdings, weil das Singen nicht zum Leben reichte, einen Umweg ging. Sie arbeitete als Wärterin auf der berüchtigten Gefängnisinsel Rikers Island im East River von New York und fuhr die Geldtransporter einer Bank. Für eine erfolgreiche Musikkarriere war sie, wie sie Jahrzehnte später singen sollte, „too short, too fat, too black and too old“.
Erst mit Mitte 40 – von wegen „too old“ – fand sie zurück zum Gesang, und Tausende Fans fanden zu ihr: Wer sich den klassischen Soul der Sechziger-Jahre zurück sehnte, für den war Jones im 21. Jahrhundert die erste Adresse. Mit ihren Dap-Kings hatte sie zudem eine hochtalentierte Band aufgestellt, die ihre Stimme richtig zu inszenieren wusste – und den perfekten Rahmen für ihre aufgeladenen, leidenschaftlichen Live-Auftritte schuf. Vergangenes Jahr, am 18. November, erlag Sharon Jones mit 60 Jahren ihrem Krebsleiden, wenige Tage nachdem sie in der Nacht der US-Präsidentschaftswahl einen Schlaganfall erlitten hatte. Schon ihr letztes Album GIVE THE PEOPLE WHAT THEY WANT von 2014 stand unter dem Stern ihrer Erkrankung. Jones verlor in all den Jahren jedoch nie ihren Stolz und Optimismus. So trat sie zum Beispiel während ihrer Chemotherapie stets ohne Perücke auf. Diese Widerborstigkeit merkt man auch den Songs von SOUL OF A WOMAN an.
„It’s a matter of time before justice will come“, lautet eine der ersten Zeilen auf dem neuen Album, „just a little bit of time until freedom will mean free“, heißt es etwas später. Jones singt über Gerechtigkeit auf der Welt, die Liebe und den Alltag, so wie sie es stets getan hat. Über den Tod singt sie nicht. Ein Großteil des Albums wurde zwischen den Behandlungsterminen von Jones’ Chemotherapie aufgenommen. Dass sie moribund war, hört man ihrer unerschütterlichen Stimme aber nicht an. SOUL OF A WOMAN ist nicht das Album einer Krebspatientin, sondern das letzte Zeugnis einer Frau, die im Angesicht ihres Todes immer noch genau jene positive Energie und Leidenschaft entfalten konnte, die sie stets unersetzlich machte. Es ist kein BLACKSTAR, das sich mit dem Ende auseinandersetzt, es ist vielmehr eine Ode an die schönen Seiten des Lebens.
Die erste Hälfte des Albums besteht dabei aus knackigen, schnellen Soul-Stücken wie „Sail On!“, bei denen man Jones vor seinem inneren Auge verschwitzt und glücklich über eine Bühne sprinten sieht. Gegen Ende, bei Songs wie „These Tears (No Longer For You)“ oder „When I Saw Your Face“ wird die Stimmung balladesker, und zum warmen Sound der Dap Kings gesellen sich sanfte Streicher, an die sich Jones’ Stimme schmiegt. Es sind die Höhepunkte des Albums.
Erst der letzte Song, das elegische, von einem Chor unterstützte „Call On God“ klingt ein wenig wie ein Abschiedsgruß. Doch der Schein trügt: Das Lied selbst schrieb Jones bereits 1970 als Teenagerin für ihren Gospelchor. Die hier benutzte Tonspur ist immerhin auch schon zehn Jahre alt. Jones nahm das Stück damals erneut auf, weil sie noch ein reines Gospel-Album plante, um zurück zu ihren musikalischen Wurzeln zu kehren. Der vermeintliche Abschied? Entpuppt sich als unerfüllter Zukunftswunsch.
SOUL OF A WOMAN – zumindest in der Form, wie es jetzt erschienen ist – hat Sharon Jones nie gehört. Die Rohversionen der Songs waren ihr zwar bekannt, doch sie starb, bevor die Platte fertig gestellt wurde. Was uns noch zu einem weiteren lobenswerten Aspekt führt: SOUL OF A WOMAN ist ein pietätvolles und sorgsam zusammengestelltes Posthum-Album, das nichts mit der Leichenfledderei zu tun hat, die einem sonst manchmal unterkommt. Und damit genau der würdige Abschluss, den Sharon Jones für ihre viel zu kurze Karriere verdient hat.