Mein Freund, der Raum


Wenn Roisin Murphy von der Arbeit an ihrem Soloalbum Ruby Blue berichtet, kann man richtig neidisch werden. Oder skeptisch. Nach einer Plattenaufnahme, wie wir sie kennen, klingt das alles jedenfalls nicht, was sie da erzählt. Als die eigenwillige Frontfrau von Moloko sich mit dem Produzenten Matthew Herbert zusammentat, wußte sie selbst nicht, was sie erwartet.

„Matthew hatte ein paar Moloko-Remixes gemacht, die ich großartig finde“, berichtet sie. „Ich wollte unbedingt mit ihm arbeiten. Er ist ein Sampling-Genie. Er hat schon hunderttausend Hühner auf einer Farm aufgenommen und daraus einen Song gemacht. Er sampelt einfach alles, was ihm vors Mikrofon kommt.“ Entsprechend ungewöhnlich gestaltete sich die Arbeit am Album. „Als wir uns für die ersten Aufnahmen verabredeten, bat er mich, ein ‚Objekt‘, egal welches, mit ins Studio zu bringen.“ Sie wunderte sich, vermutete dahinter jedoch lediglich einen etwas ungewöhnlichen Weg, sich Inspiration zu verschaffen. „Ich brachte meine Notizhefte mit“, erklärt sie, „das sind sehr hübsche, Collagen-artige, künstlerische Hefte, in die ich Erinnerungen und persönliche Dinge einklebe. Er begutachtete sie und sagte: „Ganz hervorragend. Würdest du bitte nun mit ihnen dort hinübergehen und sie gegen das Mikro schlagen?“ Ich muß ziemlich dumm geguckt haben.“ Miss Murphy lacht heiser. Auf diese Weise entstanden die Rhythmussektionen der Songs.

Sie schleppte immer weitere Gegenstände und seltsame Instrumente ins Studio, durch Herumexperimentieren wurden damit Geräusche erzeugt, die schließlich zu Musik wurden. „£5 war wie auf dem Spielplatz“, erzählt sie und strahlt: „Von der Haarspraydose über meine Lieblingsschuhe bis hin zu einer afrikanischen .Tongue Drum’waren meiner Phantasie keine Grenzen gesetzt.“ Als sie eines Tages keinen neuen Gegenstand parat hatte, mußte der Flur im Studiogebäude herhalten: „Wie die Kinder sprangen wirherum, benutzten den Wasserspender, horchten auf den besonderen Klang des Raumes. Ein anderes Mal nahm Matthew die Geräusche auf, diemein Körper undder Raum darum beim Tanzen verursachten. Es ist erstaunlich, wiesehr der Klang vom Raum um ihn herum abhänet.“

Durch diese Erfahrung habe sie ein völlig neues Bild des Begriffes „Akustik“ bekommen: „Es kommt nicht darauf an, ohne Verstärker und Elektronik auszukommen, so wie bei der Akustikgitarre“, erläutert sie. „Sobald ein Ton sich nicht durch ein Kabel, sondern im freien Raum bewegt, steuert dieser Raum ebensoviel zum Klang bei wie die Geräuschquelle.“

All das War ihr neu und für Moloko bislang kein Thema gewesen: „Ich dachte, bei einer Band gehe es um die Personen, die die Instrumente bedienen. Diesmal habe ich auch eine Art Band im Rücken, nur besteht diese aus Haarspray dosen, Schuhen, Papier und vielen anderen Dingen. Die,Objekte‘, die Matthew forderte, haben genauso viel zum Klang beigetragen wie meine Stimme und dieBläser, die wirüber die Songs gelegt haben. Trotz aller Technik ist das wahrscheinlich die organischste Platte, die ich je aufgenommen habe.“ Auch für den sexy Klang ihrer Stimme fühlt sie sich nicht allein verantwortlich: „Der Raum, in dem ich sang, war winzig. Ich arbeitete ohne Kopfhörer, alles war sehr direkt.“

Wenn man sie so reden hört, könnte man fast Angst bekommen, daß sie zu verschwinden drohte hinter all den Objekten, in den Räumen, Kammern, Fluren. Wären da nicht ihr großes Selbstbewußtsein und die Eigenständigkeit ihrer Arbeit als Künstlerin. Die Stücke schrieb sie zu Hause, alleine. „Ich nahm unsere Aufnahmen mit und schrieb die Texte und Melodien dazu. Ich kann das nicht gut vor anderen Leuten.“ Zu Hause schrumpften die Räume und Gegenstände um sie herum auf ihre ursprüngliche, funktionale Form zusammen. „Keine Angst, ich bin nicht durchgedreht“, sagt sie und grinst, „ich habe nur eine andere Sichtweise aufmeine Arbeit und Mittel erlangt. Ich fühle mich keineswegs von diesem Schrank dort drüben beobachtet oder gar beeinflußt.“

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