Mando Diao: Gegen die eigene Revolution


Mit HURRICANE BAR beenden Mando Diao ihre Sturm-und-Drang-Phase - und wollen sich jetzt am eigenen Schopf aus dem unüberschaubaren Sumpf der vielen guten Schwedenbands ziehen.

Sehr beruhigend: Stockholmer können mit 20 Zentimeter Neuschnee an einem Dienstagmorgen auch nicht besser umgehen als südlichere Großstädter. In ihren Volvos rutschen sie unkontrolliert zur Altstadt hinunter, vorbei an Fußgängern, die staksend ihre Halbschuhe in kalten Matsch tauchen. Wo sich die Stadt nicht bewegt, wie im kleinen Park vor dem Hotel Rival, sieht das gefrorene Nass allerdings so gut aus, dass man die Kinder aus Bullerbü zur Schneeballschlacht herbeikutschieren lassen möchte. Zeit dafür gäbe es, denn im siebten Stock des Hotels, in der eleganten Honesty Bar, sitzt bisher nur ein Gitarrenrocker und trinkt Ramlösa-Mineralwasser. Es müssen aber zwei sein, denn die schwedische Band Mando Diao kämpft auf der Bühne wie beim Interview mit einer Doppelspitze, mit Björn Dixgard und Gustaf Noren. Und Gustafeben, der Blonde, ist bisher nicht aufgetaucht. Im Frühstücksraum des Rival erfährt man, über den Graved Lachs gebeugt, dass er erst in den frühen Morgenstunden mit grünem Gesicht eine hiesige In-Kneipe verlassen habe. Dort hatte sich die Band nach ihrem gestrigen Gig getroffen.

Warum die Suff-Verspätung eine erfreuliche Nachricht ist, muss kurz erklärt werden. Dieses gestrige Konzert, Mando Diao plays Stockholm, war nämlich nicht: Heimspiel, Hexenkessel, Höschenhagel. Es wirkte vielmehr: kühl, kurz und kalkuliert. Ohne Vorband bestiegen Mando Diao zu etwas abgewetzten Fanfarenklängen eine Bühne im baumhohen Prunksaal des alten Konzerthauses Nalen, erbaut 1882, für Nichtraucher. Umrahmt von Samt, Jugendstilgold und dorischen Säulen zogen die fünf Jungs genau eine Stunde lang an ihren Gitarren, gaben nach 40 Sekunden Applaus eine kurze Zugabe, und danach formte das schüchterne Publikum wunschlos eine gerade Schlange an der Garderobe. Die Bierbar war da schon wieder abgebaut, und um viertel vor elf deutete nichts mehr daraufhin, dass hier gerade die höchstdotierte Rockband Schwedens ihre eigene Hauptstadt beehrt hatte. Keine rotzfrechen Groupies, keine betrunkenen Jungmänner – nicht mal richtiger Schmutz war auf dem ehrwürdigen Parkett zurück geblieben.

Hinten in der Garderobe, backstage bei Mando Diao, war die Band bereits frisch geduscht, trank Mineralwasser aus kleinen Plastikflaschen. Drummer Samuel Giers setzte blinzelnd seine abgelegte Brille wieder auf und guckte wie ein Konfirmand. Seine Kollegen hielten sich gerade und lächelten verbindlich. Da war man angereist, die Band zu sehen, die mit ihrem wuchtigen Debütalbum „Bring ‚em In“ mühelos das Erste-Klasse-Ticket für eine halbe Welttournee gelöst hatte und von deren Konzerten in Japan die Kunde ging, Tausende seien teils betend, teils zerstört vor der gerockten Bühne in den Staub gefallen. Und dann erlebte man sozusagen in ihrem Wohnzimmer das Gegenteil von einer HURRICANE BAR. Mit eben diesem fabelhaften Ort hatte ja der Titel des neuen Albums gelockt. Aber: Nix Hurricane, bestenfalls ein müdes Windchen, das an diesem Abend wehte. Deswegen also machte am nächsten Morgen das Gerücht von der Verspätung klammheimlich gute Laune. Wie hätte man denn sonst auch dagestanden, daheim, wenn von Mando Diao nichts Aufregenderes zu berichten gewesen wäre, als dass der Vater des Schlagzeugers in Erlangen studiert hat? Lange Gesichter hätten die gemacht, die im „BRING’EM IN“-Sommer allen anderen The-Bands die Freundschaft aufgekündigt hatten, um nur noch einem Heim zu dienen, oder vielmehr den zweien, die jetzt endlich nebeneinander in der Honesty Bar sitzen.

Gustaf murmelt was von Hangover und hält sich den Kopf, Björn lümmelt auf der Chaiselounge, als hätte er das in einem Iggy-Pop-Seminar gelernt. Er hat sehr blaue Augen und einen kleinen Schönheitsfleck über der Lippe, den nicht mal ein hyperaktiver Hautarzt entfernen wollen würde. So gut sieht er aus. Dass sie die „attraktivste Band der Welt“ seien, hat auch mal jemand geschrieben, genauso wie „die beste Band der Welt“ und die „coolste Band der Welt „sowieso. Dass sie besser sind als The Who, haben sie bekanntermaßen selber in die Welt trompetet, und deswegen sollen sie jetzt gleich mal erklären, ob selbige Selige auch ein derart schlappes Heimspiel gegeben hätten: „Für Stockholm war das ein sehr gutes Konzert. Aber wir durften nicht so laut spielen, wie wir wollten, das war irgendwie verboten. In kleinen Städten gehen die Leute noch mal anders ab, da sind wir quasi der Höhepunkt des Jahres. Hier sind wir eher Mainstream“, sagt Gustaf, um sich für den Rest des Interviews weitgehend der Genesung zu widmen. Aus einer dieser kleinen Städte, dem düsteren Borlänge, stammen Mando Diao auch; dort spielten Gustaf und Björn als Teenager schon vor sieben Jahren zusammen, und zwar Trip-Hop, wie er damals von Tricky populär gemacht worden war. Erst als Schlagzeuger Samuel und Bassist Carl-Johan Fogelklou dazustießen, entdeckten sie ihre Vorliebe für den Rock’n’Roll, und damit begann auch das Profil-Problem: „Viele Leute schätzen unser Verhältnis zum Rock ’n‘ Roll heute falsch ein,“ sagt Björn. „Sie vergleichen uns mit den Bands aus den 6oern und sagen, wir würden sie nachmachen. Aber das stimmt nicht. Für uns ist das, was wir machen, neu. Ich bin jetzt 23. Für mich ist Rock’n’Roll erst knapp zehn Jahre alt.“

Aus diesem Grund fiel die Wahl des Produzenten für das neue Album auch auf Richard Rainey, der bis dahin vor allem durch seine Zusammenarbeit mit U2 aufgefallen war: „Richard ist viel jünger als die meisten Produzenten, er hält unsere Musik, wie wir, für neue Musik und sucht darin nicht dauernd die Vergleiche zu früheren Bands.“ Wie jung Mando Diao sind, merkt man erst so richtig, wenn sie über ihre musikalische Sozialisation berichten: Nirvana, ein bisschen Stone Roses, dann volle Breitseite Britpop, bis zum letzten The-Verve-Album.“ „Ja und danach übernahm schon Mando Diao das Ruder“, sagt Björn zufrieden und hat dabei nicht eine Schneeflocke Ironie im Haar. Bigmouth strikes again. Er sagt dauernd solche Sätze, in denen sich knabenhafter Narzissmus und Unsicherheit auf das putzigste paaren. „Das Hervorragende an Mando Diao ist, dass bei uns Melodie und Energie zusammenkommen. Soundtrack Of Our Lives haben nur Melodie, und The Hives haben nur Energie. Beide sind weg vom Fenster!“

So ausgeteilt wird fortwährend in jede Richtung- Stichwort genügt, egal ob Sex Pistols („Rockpopband für Betrunkene“) oder Franz Ferdinand („verquaste Intellektuelle, die niemals richtig groß werden können“) – Mando Diao strampeln sich frei. Kraft und Selbstbewusstsein dafür ziehen sie aus dem Erfolg von BRING ‚EM IN, das in Deutschland erst im Sommer 2004 erschien, zu diesem Zeitpunkt in Schweden aber schon seit zwei Jahren auf dem Markt war. „Über 170.000 mal trugen es die Leute bis jetzt aus den Läden, angelockt von Hits wie „Sheepdog“ und „Mr. Moon“. In diesem Debüt suchte man vergeblich die Einsilbigkeit vergleichbarer Bands (also der vielen, in denen, nach Mendelscher Regel verteilt, das Strokes-Gen und ein Hit steckten). Es schien, als wäre hier endlich ein Füllhorn angezapft worden, von zwei Songwritern, vielleicht sogar kräftig genug, die Rolling Stones zu beerben, mindestens aber den müde drehenden Kreisel Gitarrenrock in den Boden zu rammen. Und damit gab es schon wieder Probleme: „Die ganze Welt dachte, dass der Song ‚Sheepdog‘ symptomatisch für Mando Diao sei, das sei jetzt unser Style, aber wir gehören nicht in diese Mode. Nur weil wir im Video so aussehen, haben wir mit Garagenrock nichts zu tun. Es war nur ein gutes Lied von vielen, nicht unsere Botschaft.“ Wenn Björn das sagt, spricht aus ihm mehr als die gewöhnliche Popkünstler-Sorge, auf wenige Songs reduziert zu werden. Es geht hier um die elementare Angst einer Band, von der eigenen Revolution aufgefressen zu werden. Diese Revolution heißt Schwedenrock und kam (zuletzt einmal mehr) über Europa, mit einer Übermacht melodischer Gitarrenbands, die die schwache Aufstellung einer gewissen Popinsel ausnutzten, um mindestens einen Sommer lang zu regieren. Eine Herrschaft strahlenden Popreichtums war das, aber auch beängstigender Kurzlebigkeit. Und Kurzlebigkeit ist nichts für Mando Diao. Bei dem Wort hält Gustaf sich wieder den Kopf, und Björn holt tief Luft, um final zu erklären: „Wir haben mit all diesen anderen Bands nichts zu tun. Deswegen haben wir mit HURRICANE BAR ein Album gemacht, das eine Weiterentwicklung ist und kein zweites BRING ‚EM IN. HURRICANE BAR ist ein Pop-Album, weil wir es wollten und weil wir es konnten. Wir sind nicht nur Trend. Wir sind gut.“

Mando Diao fühlen Sich von einer Welle mitgenommen, auf der sie gar nicht surfen wollten. Begreift man dieses Unbehagen, so begreift man auch die Notwendigkeit der Band, mit „Hurricane Bar“ die Weichen neu zu stellen. Was also ist das für eine Platte, die nach vier Wochen Studio in London und vier Wochen in Stockholm fertig war? Eine Selektion zunächst. Aus 50 Liedern haben sie auswählen müssen. Es ist nun, mit 14 Liedern, ein wirklich gutes Album geworden und tatsächlich nicht der Versuch, noch mal die ertragreichen Felder des Debüts zu beackern. Die Band ist einen knappen Schritt darüber hinaus. Das heißt: Songschreiber Nummer eins, Björn, steht balladesk mit einem Fuß im neuen Pop, Rücken an Rücken mit Songschreiber Nummer zwei, Gustaf, der noch das Beste aus der Sturm-und-Drang-Zeit herüber rettet. Ein Zwitteralbum, eine Zitterpartie für dieses Gespann zweier Freunde, aber behutsam dirigiert von Produzent Rainey, der ein einfaches Mittel fand, zwischen alt und neu zu, ähem, vermitteln: das Tempo. „Wir wussten gar nicht, was Tempo bedeutet, bis wir Richard trafen. Der nervte uns so lange mit seinem beats-per-minute-Gerede, bis wir verstanden, wie wichtig ein ausgewogenes Tempo ist. Jetzt haben wir Songs auf dem Album tendenziell langsamer eingespielt. Und können auf der Bühne die Geschwindigkeit hochdrehen, wie wir wollen“, sagt Björn und beantwortet damit die Frage, die in alle Fan-Gesichter geschrieben steht, wenn der CD-Player zum ersten Mal wieder auf die Eins springt. „Keine Sorge“, schiebt Gustaf grinsend hinterher, „wir spielen immer noch sehr gerne schnell. Wer Mando Diao wirklich mag, wird dieses Album lieben. Wer es nicht mag, der war vorher auch nur in die Oberflächlichkeit verliebt.“

Und es fällt nicht schwer, diese zweite Mando-Diao-Platte zu mögen. Sie zieht ihren Reiz aus der Zusammenarbeit zweier unterschiedlicher Liedermacher, die wissen, dass sie eigentlich zu gut sind, um ihre Zukunft nur im Schatten eines knackigen Debütalbums zu fristen. Die aber gleichzeitig nicht wissen, ob ihre Kraft dafür ausreichen wird, diesem großen Schatten zu entkommen. Da ist eine Band gar nicht mit sich und der Welt im Reinen, und genau das ist in diesem Fall ausnahmsweise mal nichts, was einem Sorgen bereiten sollte.

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