Johannesburg by Bus


Auf einer Tour, die halb Konzert-, halb Bildungsreise war, erlebten Seeed zwei Seiten von Südafrika: "Die Gegensätze sind sehr krass."

„Das Reisen bildet sehr; es entwöhnt von allen Vorurteilen des Volkes, des Glaubens, der Familie, der Erziehung“, schrieb vor gut 200 Jahren Immanuel Kant. Schickt das Goethe-Institut Musiker aus Deutschland nach Sibirien, Südamerika oder Südafrika, geht es um nichts anderes: „Wir bemühen uns, Klischees zu überwinden“, erklärt Pressesprecher Klaus Krischok. „Unter dem Oberbegriff ‚Marke Deutschland‘ wird im Ausland auch Musik erwartet. Das muss aber nicht Bach und Beethoven sein.“ Und da man das hehre Ziel verfolgt, „im Ausland ein umfassendes und aktuelles Deutschlandbild zu vermitteln „, hat man sich in Absprache mit dem Deutschen Entwicklungsdienst entschlossen, die multikulturelle Dancehall- und Reggae-BandSeeedaus Berlin im November für ein großes Konzert und mehrere spontan organisierte Sessions nach Kapstadt und Johannesburg einzuladen. „Dass das Goethe-Institut so einen Act wie Seeed überhaupt verpflichtet, war mir neu“, meint Seeed-Saxophonist Moritz Delgado. „Die haben sich wohl für uns entschieden, weil sie gedacht haben:,Okay, wie erreichen wir junge Leute in Südafrika? Bestimmt nicht mit einem klassischen Streichertrio.'“ Die Rechnung ist aufgegangen die Reise hat offenbar bleibende Eindrücke bei allen Beteiligten hinterlassen: „Es war eine interessante Erfahrung, in Afrika zu sein. Ich fand persönlich letztendlich ziemlich krass, was ich von dem Land in den elf Tagen mitbekommen habe“, sagt Delgado. Allerdings: am anderen Ende der Welt Musik zu machen, war auch cool. Da kennt uns ja kaum jemand. Reggae ist da aber ziemlich groß, und wir kamen gut an.“ Parallel zu den Auftritten hatten Seed auf der im November sommerlichen Südhalbkugel vor allem häufig Gelegenheit, die eigenen vorgefassten Meinungen zu überprüfen. „Ich war mit Informationen vollgepumpt, wie gefährlich es dort sein soll“, berichtet Delgado kopfschüttelnd. „Aber ich hab das anders empfunden. Selbst in den Townships kam mir untertags gar nichts gefährlich vor. Wenn du da alleine nachts unterwegs bist, dann schätzen dich vielleicht Leute als reich ein und nehmen dir das Geld ab mehr aber auch nicht. Wenn viel Reichtum neben großer Armut ist, dann gibt es halt Trouble.“

Staunen fast alle Touristen auf dem Weg vom Flughafen nach Kapstadt über das Nebeneinander von Wellblech-Baracken und eingezäunten Villen und Golfplätzen, werden sie doch selten so tiefe Einblicke in die Kultur Südafrikas erhalten, wie das den Mitgliedern von Seeed veTgönnt war: Die Band trat für eine Dancehall-Session bei einer „Ghetto Bash“-Party in dem armen Township Guguleto an und besuchte ein Gefängnis und ein Jugendhaus mit Betreuungsstätte für AIDS-Kranke. „Das war für mich das Beeindruckendste“, sagt Delgado. „Die Kinder und Jugendlichen haben sich über unser Kommen unglaublich gefreut. Das ist sehr selten, dass in so einer krassen Armengegend eine ganze Horde weißer Jungs aufläuft.“

Zurückgekehrt sind Seeed zum einen mit der Erkenntnis, dass ihre Musik auch dort gut funktioniert, wo man den Namen der Band noch nie gehört hat, zum anderen mit vielen bereichernden Erfahrungen. „Für uns war das musikalisch gar nicht so entscheidend“, so Delgado. „Hauptsächlich war das eine faszinierende Reise. Ich war noch nie an einem Ort, wo so schweinemäßig reiche Leute neben solcher Armut leben. Die Gegensätze sind da sehr krass.“

Seeed arbeiten derzeit an einem neuen Album, das im Sommer 2005 erscheinen soll. www.seeed.de