Angst vor Gesang?
Selbst eingefleischte Elektroniker müssen die nicht ha- ben. Mouse On Mars lassen nun auch klar vernehmliche Stimmen zu. Sie schmelzen sie ein.
Musik ist wie Hefeteig. Darfs etwas Süßes sein? Oder Flammkuchen, deftig mit Speck und Emmentaler? Oder vielleicht einfach nur ein bisschen mehr von allem? Dann schneide man vom Teig ein Stück ab und lasse den Pilz seine Arbeit tun. Mouse On Mars verfahren seit Jahren so wie Muttern in der Küche. Doch es sind Sounds, die sie kneten, zuschneiden und zu immer neuen Kreationen verbacken. Die neueste hat soeben den Ofen verlassen. RADICAL CONNECTOR heißt das achte Album nach einer Dekade gemeinsamen Schaffens – und das nächste Album der Kölner, das auch in den USA und Japan seine Freunde finden wird.
„Die Platte ist fertig“, sagt Jan St. Werner, eine von zwei Mäusen. „Davon trennen wir ein Teilchen ab und verwenden es live.“ Das Prinzip Hefeteig funktioniert in den Clubs zu zweit, in größeren Hallen ist die Band dabei, die Werner und Andi Toma auch schon auf der Tour zum Vorgänger idiology begleitet hat. Werner freut sich drauf: „Wir haben jetzt seit etwa zwei Jahren nur dieses Zweier-Ding gemachtes wird wieder Zeit für die Band.“ Ein Hoch der fortgeschrittenen Technik, die eine derart personalreduzierte Arbeitsweise möglich macht. Nebenwirkungen allerdings sind unausweichlich; Werner beschreibt sie als eine ziemlich perfide Form der Bewusstseinsspaltung: „Wir müssen ständig unterschiedliche Rollen einnehmen. Zum Beispiel: Einer ist der Ton-Ingenieur, einer der kiffende Kreative. Wenn der zu sehr abdriftet, muss der Ton-Ingenieur zum Manager werden, der zum Musiker sagt: „Wir haben doch was ausgemacht: einfacher, nicht so frickelig. Wem sollen wir das denn verkaufen?’Musiker zankt also mit Manager, Manager geht raus und kommt als Produzent wieder rein, der den Musiker beruhigt. Danach tauschen wir die Rollen und machen weiter.“
Werner ist es dennoch nicht überdrüssig: „Wir können ja nichts anderes. Und es hört nicht auf, Spaß zu machen.“ Doch dieser Spaß will befeuert werden. Die Mäuse sind nicht zuletzt deshalb eine eigene Marke, weil sie Wiederholungen vermeiden. Nach dem sehr krachigen 99er-Album niun niggung zeigte schon idiology (2001), wie es die Mars-Mäuse künftig quietschen lassen wollen: back to the roots, die im Rock verwachsen sind, und dahinter weiter hinein ins unbekannte Electricland. „Wir wollten diesmal einerseits eine sehr kompakte Platte machen und andererseits überraschen“, beschreibt Werner die Zielvorgabe.
Das Ergebnis überrascht tatsächlich: Auf Idiology nur angedeutet, ist Gesang jetzt ein Fixstern am bandeigenen Firmament. „Dadurch, dass wir die Vocals immer weg gelassen haben, bekamen sie auch eine Wichtigkeit“, sagt Werner. “ Wir haben uns irgendwann gefragt, ob wir eigentlich Angst haben vor Gesang.‘ ‚Über Remix-Arbeiten tasteten sich Werner und Toma heran: Die menschliche Stimme sollte „richtig in die Musik reingeschmolzen werden‘, also weit weniger dominant wirken als in einer Mainstream-Produktion. Das gelingt auf radicAL CONNECTOR zwar nicht bei jedem Track, eröffnet aber gerade im Misslingen ungeahnte Perspektiven, etwa beim sehr eingängigen, weil melodisch-melancholischen „Send Me Shivers‘, zu dem Sonig-Labelkollegin Niobe (ihr Album trägt den Titel TSETSE) verträumte Vocals eingesungen hat.
Mouse On Mars in den Charts? Das war‘ doch mal was. Ohnehin ist der klassische Song mit Strophe und Refrain ja längst wieder salonfähig, auch jenseits der Charts. Andi Toma winkt allerdings gleich ab, auch wenn er unbewusste Einflüsse gar nicht abstreiten mag. „Man ist ja immerauch ein Teil der Zeit“, sagt er. „Aber eigentlich interessiert uns nicht, was aktuell läuft. Unsere Musik entsteht aus dem jeweiligen Moment heraus, einen anderen Einßussgibt es nicht. „Wie beim Hefeteig. Ist er erstmal angerührt, ist er sich selbst genug. „Wir weiden unsja ständig selbst aus“, sagt Toma. „Wenn wir zu zweit zusammensitzen, fällt uns immer was ein.“ Das muss nicht immer Musik sein, auch wenn der Bezug allzeit besteht: Da gab es im Frühjahr „Doku/Fiction – Mouse On Mars reviewed &. remixed“, eine Ausstellung in Düsseldorf, die den zehnten Band-Geburtstag statt mit der üblichen Remix-CD mit bildnerischen Mitteln feierte. Da ist die Arbeit an Sonig, dem eigenen, in Köln beheimateten Label, auf dem nun auch radical connector erscheint. Und da ist auch noch so was wie Privatleben, für das Familienvater Toma gerne „zwei, drei Tage in der Woche“ freihalten würde. Gegenwärtig klappt das nicht. Denn nicht nur Musik, auch Arbeit ist wie Hefeteig. Sie wird mehr und mehr und mehr.