Bob Dylan – Live 1975: The Rolling Thunder Revue
Folk-Rock: Zum ersten Mal offiziell auf CD: Dylans musikalischer Wanderzirkus.
Alle paar Jahre durchforsten akribische Menschen die Archive des ältesten Plattenlabels der Welt, um ganz besondere Schätze zu heben. Unter dem Logo „The Bootleg Series“ veröffentlichte Columbia in lockerer Folge bislang vier Teile eines Historien-Puzzles ihres – neben Tony Bennett und Barbra Streisand – am längsten unter Vertrag stehenden Künstlers: Bob Dylan. Nach der 3-CD-Box [Rare And Unreleased] 1961-1991 (Vol. 1-3] und der Doppel-CD LIVE 1966: The Royal Albert Hall Concert [Vol. 4] trägt das Label den Fanwünschen nach noch nicht Gehörtem Rechnung. Unter dem Titel Live 1975: The Rolling Thunder Revue (The Bootleg Series Vol. 5] liegt ein weiteres Glanzstück aus Dylans Fundus vor. Lange Zeit waren diese Konzertmitschnitte nur auf soundtechnisch erbärmlichen Bootlegs erhältlich, sie gelten unter Dylan-Aficionados als heilige Relikte. Teil 5 der Serie kommt mit 22 Tracks, einem 56-seitigen Booklet mit ausführlichen Linernotesvon Dylan-Spezialist Larry „Ratso“ Sloman und raren Farbfotos.
Als am 30. Oktober 1975 in Plymouth, Massachusetts, die „Rolling Thunder Revue begann, war der Mythos, der sich Jahre später um diese Tour bilden sollte, noch nicht zu erahnen. Konträr zum Geist des damaligen Rockbiz entsprang die Idee, eine archaische Truppe wie einen Wanderzirkus durchs Land ziehen zu lassen, um dort Halt zu machen, wo es gerade gefällt. Dylan umgab sich dabei mit einem Staraufgebot: Alte Bekannte, junge Talente und Freunde wie Joan Baez, Ex-Byrd Roger Mc-Guinn, Bowies ehemaliger Gitarrist Mick Ronson sowie die Dylan-Spezies Bob Neuwirth, Allen Ginsberg und dessen Lover Peter Orlovsky teilten sich mit Stagemanager Jaques Levy, Journalist Larry „Ratso“ Stoman, der Lyrikerin Anne Waldman und dem Romancier und Schauspieler Sam Shepard Bühne und Bett. Dazu gesellten sich Akrobaten, Artisten und Filmleute.
Doch die „Rolling Thunder Revue“ war nicht nur als Gesamtkunstwerk angelegt, sondern verfolgte auch einen gruppentherapeutischen Zweck. Der Tross wollte den Beweis erbringen, dass auch auf Tour ein „normales Leben möglich sei, wenn man die Zwänge des Showbusiness einfach ignorierte. Doch für Dylan stellte das Unternehmen, bei dem rund einhundert Personen von Auftrittsort zu Auftrittsort kutschiert wurden, noch etwas ganz anderes dar, versuchte er doch im Wirrwarr des Spektakels, seinem eigenen Mythos zu entkommen und die drohende Scheidung von Ehefrau Sara zu verdrängen. Dylan erschien vor seinem Publikum als eine Mischung aus Troubadour und Vaudeville-Artist. Brav reihte sich der Protest-Heilige mit schwarzen Kajalaugen, weiß gepudertem Gesicht, schulterlangen Locken und blumenumkränztem Trilby-Hut bei den bis zu vierstündigen Shows öfter mal ins zweite Glied, überließ Joan Baez, Roger McGuinn, Joni Mitchell oder sonstwem das Rampenlicht.
Die Tracks auf Live 1975: The Rolling Thunder Revue (The Bootleg Series Vol. 5) stammen wie schon auf Hard Rain nicht von einer Show, sondern entstanden bei vier Auftritten in Worcester [19.11.75]. Cambridge (20.11.75), Boston {21.11.75) und Montreal (4.12.75). Angeführt wird das Line-up von Musical Director und Bassist Rob Stoner. Sämtliche Songs – ein Mix aus Evergreens, Raritäten und Fanfavoriten wie „A Hard Rains A-Gonna Fall“ und „Knockin‘ On Heaven’s Door“ – profitieren von der frischen Arrangierkunst. Schon der Opener „Tonigbt I’ll Be Staying Here With You“ von Nashville Skyline und die Calypso-Tango-Version von „It Ain’t Me, Babe“ ziehen den Boden unter den Füßen weg. Der straffe Auszug aus Desire kommt höchst inspiriert: Das mexikanisch angehauchte „Romance In Durango“, das kraftvolle „Isis“, die Ballade „Oh. Sister“. die verzweifelte Liebesode an Gattin „Sara“ und die fast schon gerappte Freiheits-Hymne für den wegen Mordes 711 Unrecht im Gefängnis einsitzenden Boxer „Hurricane“ Rubin Carter schlagen Funken. CD zwei beginnt rein akustisch mit „It’s All Over Now, Baby Blue“. „Love Minus Zero/No Limit“ und dem Jahrhundertsong „Tangled Up In Blue“. Einziges Manko: Mit gut 50 Minuten auf jeder CD ist die Spielzeit ziemlich knapp bemessen. Die der limitierten Auflage beigefügte DVD mit den Videos zu „Tangled Up In Blue“ und „Isis“ plus einer weiteren Audioversion der Ode an die ägyptische Göttin ist da nur ein schwacher Trost. www.bobdylan.com