Fury In The Slaughterhouse
Seit 13 Jahren ist Kai Wingenfelder Sänger von Fury In The Slaughterhouse. Aber erst jetzt greift seine Band nach den Sternen. Zur Feier von neuer Platte und neuer Firma kochten Fury für ME/Sounds ein Festessen.
DER MHGEN I knurrt. Aber Koch und Küche sind unauffindbar. Wo, bitte, geht’s zu Gero Drnek? In diesem verwinkelten Hinterhof irgendwo in Hannover gibt es natürlich kein Namensschild an der Tür auf dem steht: „Hier bitte klingeln bei Rocktar“. Schließlich weist ein Nachbar den Weg, und endlich befinden wir uns uns im Reich des Keyboarders von Fury In The Slaughterhouse: eine spartanisch, aber liebevoll eingerichtete, große Drei-Zimmer-Wohnung, dessen Wohnzimmer mittels Durchreiche mit der Küche, dem Herzstück des heutigen Tages, verbunden ist. Denn auf dem aktuellen Promotionplan für Gero Drnek (39) und Fury-Frontmann Kai Wingenfelder (40) findet sich der Vermerk „Kochen für ME/Sounds“. Es gibt Begrüßungskaffee, und während Gero schon am Herd zugange ist („wenn ich kochen darf, ist das ein ähnlich kreativer Prozess wie Musik machen, nämlich, mit dem, was du gerade da hast, etwas Leckeres oder Angenehmes zustande zu bekommen“), probiert Sänger Wingenfelder vordem Spiegel seinen nagelneuen Cowboyhut mit Zebramuster an. „Dieses Jahr ist einfach das Jahr der Cowboyhüte, scheiß auf die Baseballmütze!“ grinst der Hüne mit der Glatze. Dass Wingenfelder heute mit von der Partie ist, ist übrigens alles andere als selbstverständlich. Hatte er sich doch lange Zeit geweigert, überhaupt mit der Journaille zu kommunizieren, „weil es immer Leute gibt, die dir das Wort im Munde umdrehen und den Scheiss schreibt,der ihnen am meisten Geld einbringt.“ Heute, ja heute aber will Wingenfelder reden, denn: „Wir haben uns bei der Arbeit an der neuen Platte wirklich den Arsch aufgerissen. Zudem ist ein Großteil von dem, was wir da fabriziert haben, auf meinem Mist gewachsen. Das würde ich schon gerne kommentieren.“
WÄHREND GERO SICH DER ZITRONENBUTTER FÜR DEN ERSTEN
Gang widmet und Kai diesseits der Durchreiche an einer gemopsten Stange rohen Spargels knabbert, meldet sein Handy SMS. Ein erfreutes und triumphierendes „Yes!“. Gute Nachrichten? Kann man wohl sagen. Die neue Single („Are You Real“) bekommt Powerplay bei einem wichtigen Radiosender. Ach? So etwas lockt solch alte Hasen noch hinter dem Ofen hervor? Bei dem Bekanntheitsgrad, den Fury In The Slaughterhouse mittlerweile erreicht haben, könnte man annehmen,dass derlei Kram sie bestanfalls am Rande interessiert und nurmehr mit einem müden Lächeln quittiert wird. Weit gefehlt.“‚Are you real‘ ist eine schwierige Nummer. Zu hart fürs Formatradio“ findet Kai. „Deswegen freut es mich umso mehr, wenn wir damit in die Rotation kommen. Denn das heißt, dass sie das Lied auch tagsüber spielen und nicht nur abends, wenn die Leute eh nicht Radio hören, sondern vor dem Fernseher hocken. Bisher wurden unsere Singles nie dann gespielt, wenn sie herauskamen, manche Songs dafür später rauf und runter. Das war bei uns immer so.“ Passt irgendwie gar nicht so recht zusammen. Einerseits wird der Band immer wieder der abstruse Vorwurf gemacht.zu sehr im Mainstream zu schwimmen, andererseits werden die angeblich so konsensfähigen Stücke dann doch nicht gespielt.
„DRS IST HRLT DIE SHCHE MIT DEM PROPHETEN IM EIGENEN
schreibt, ist ein Vollidiot. Konsens heisst doch, nirgendwoanecken, everybodies darling sein zu wollen. Aber das sind wir ja gar nicht. Irgendein Punk findet die Musik eh scheiße und irgendein Grufti auch, also was soll das? Es gibt ein paar Leute, die mögen das, was wir machen, und es gibt eine Menge Leute, die mögen es nicht. Wir könnten jetzt als Band auch beliebig den Stil wechseln, um irgendwem zu gefallen dann hätten wir andere Feinde. Ich mache die Musik, die mir Spaß macht, und wenn jemand der Meinung ist, das ist Konsens, dann ist mir das egal.“
„WRS IST DENN KONSENS?“ SCHHLTET CHEFkoch Gero sich ein. „Ist es das, worauf sich die Masse der Bevölkerung geeinigt hat? Und falls ja, muss es dann zwingend falsch sein? Muss man denn unbedingt Oppositionist sein? Nur weil viele Leute etwas mögen, muss es doch nicht zwangsläufig schlecht sein. Und nur weil irgendeine Sache keiner mag, muss sie nicht gut sein. Ich kann dazu nur sagen, was ich unserem ehemaligen Bassisten auf einen Brief hin geantwortet habe: ‚Was stört’s die stolze Eiche, wenn sich ein Schwein dran schabt.'“ Spricht’s und widmet sich wieder genüßlich dem Spargel, bevor er den Tisch abräumt und sich auch partout weder beim Abwasch noch beim Pilze schnibbeln helfen lassen will. Dann der zweite Gang: Rucolasalat mit gebratenen Pilzen und einer Vinaigrette mit Walnüssen. Während sich alle möglichst elegant am bekanntermaßen schwierig in den Mund zu befördernden Rucola zu schaffen machen, lassen sich Küchenmeister Gero und sein Sänger über die Frage aus, auf welcher Hierarchie-Ebene innerhalb der deutschen Musikszene sich ihre Band so ansiedelt. Während Kai selbstbewußt die „Champions League“ als Standort angibt, backt Gero lieber kleinere Brötchen: „Gutes Mittelfeld, würde ich sagen. Das ist aber eine ganz gefährliche Gegend. Da kannst du dich nicht halten — es geht nur rauf oder runter.“ Im Falle von Fury sollte der weitere Weg nach oben durchaus zu bewältigen sein. Denn vor einiger Zeit hat die Band einen lukrativen Vertrag mit der renommierten Plattenfirma EMI abgeschlossen.Zudem hat man bereits rund drei Millionen Platten verkauft. Bekommt man da nicht eher das Gefühl, Star zu sein statt Mittelfeldspieler? „Wir sind bestenfalls Mini-Stars“, stapelt Gero ebenso sympathisch wie überzeugend tief und sinniert weiter: „Ab einem gewissen Bekanntheitsgrad, um den wir uns immer ganz gut herumdrücken konnten, wird es schwierig, ganz normale Dinge zu tun — zum Italiener an der Ecke gehen, dein Privatleben behalten. Ich glaube, Star sein ist scheiße. Das möchte ich gar nicht. Auf keinen Fall.“
UND ORNN FUGT GERO NOCH EINEN SRTZ RN, der die Denkweise des lukullisch veranlagten Keyboarders ziemlich treffend charakterisiert:“Lieber bekannt und wohlhabend als reich und berühmt.“ Mit dieser Aussage bringt Gero Drnek zudem auf den Punkt, wofür seine Band von vielen so sehr geliebt wird: Fury In The Slaughterhouse, das sind bei aller Professionalität die netten Jungs von nebenan geblieben — keine Skandale, keine Randale, keine Allüren. Auch glamouröses Auftreten gehört nicht gerade zum Repertoire der Furys. Vielleicht ist ja gerade das ein Grund dafür, dass die Musiker aus Hannover von manchen Menschen weniger respektiert werden als einige ihrer pöbelnden Kollegen. Sind Fury am Ende einfach zu nett, zu normal? „Mag sein, aber ich finde nun mal, Rock’n’Roll ist kein Freifahrtschein für schlechtes Benehmen“, meint Gero bedächtig. „Die, die so etwas machen, sind renitente Menschen, die immer noch nicht abgelegt haben, in Opposition zu ihren Eltern zu stehen. Die immer noch sagen, wenn ich Bock habe, meine Füße auf den Tisch zu legen, dann mache ich das eben. Das ist doch armselig! Da hab ich nur Mitleid.“ Kein Mitleid dagegen muss man mit jenen haben, denen Maitre Gero weitere Köstlichkeiten auftischt. Als Hauptgericht gibt’s Hühnchenbrust mit grünen Bandnudeln und gemischtem Gemüse auf Trüffel in Madeirasauce. Ein Traum. Und im Hintergrund singt Van Morrison. Zwischen genussvollen Essensgeräuschen und Lob für den Koch greift Kai Wingenfelder den Gesprächsfaden wieder auf und konkretisiert seine Gedanken zum Thema „Star, ja oder nein“ an einem markanten Beispiel: „Wenn du als Vorletzter bei Big Brother rausgewählt wirst und keine Ahnung von nix hast und der’Stern’dich auf die Titelseite packt und ich Idiot das auch noch kaufe, dann bist du ein Star. Aber ob das so erstrebenswert ist, wage ich zu bezweifeln. Ich möchte gar nicht der Star sein, der auf der Straße erkannt wird. Ich hätte viel lieber Bekanntheit auf einer anderen Ebene.“
WORUM ES EIGENTLICH GEHT, DRRUBER SIND sich Gero und Kai einig: Sie haben einfach die Nase voll davon, Hunderttausende von Platten zu verkaufen und trotzdem als Band vergleichsweise wenig bekannt zu sein. „Wir waren sechs Jahre lang für alle deutschen Zeitungen die Newcomer des Jahres. Da ist doch wohl irgendwann mal was falsch gelaufen. Ich habe im Lauf der Zeit viele Leute getroffen, die sagten, Fury In The Slaughterhouse? Kenne ich nicht. Nie gehört. Und dann spielst du denen eine Platte vor, und sie kennen jedes Lied“, erzählt Kai Wingenfelder leicht genervt. „Wenn jemand den Namen Fury In The Slaughterhouse hört, wäre es schön, wenn er zwischen dem Namen und unserer Musik eine Verbindung herstellen könnte. Aber wir waren eben nie eine Band, auf die sich die Medien gestürzt haben und von der man weiss, wie die einzelnen Mitglieder aussehen.“ Das soll sich in Zukunft ändern. Denn das neue Management von Fury In The Slaughterhouse schlägt auch in puncto Optik einen anderen Kurs ein. Man legt großen Wert auf eine komplett neue Visualität; sowohl, was die Videoästhetik angeht, als auch, was das Erscheinungsbild der Band betrifft. Statt Jeans, Sweatshirt und Baseballmütze gibt es jetzt viel Existenzialistenschwarz oder auch Kais neue Cowboyhüte und seine unsäglichen, Augenkrebs verursachenden Stiefel aus Rochenleder in Weinrot mit Orange und Silber („die sehen furchtbar aus und geil“, so der stolze Besitzer). Dann sind die Teller leer und die Bäuche voll. Kai pendelt zwischen Wohnzimmer, Küche und Computer, wo er die Fury-Homepage (www.fury.de) durchclickt, zeitweilig in einen (nicht sehr prickelnden) Chat mit zwei Fanmädels einsteigt und sich danach noch schnell die überwiegend wohlwollenden Meinungen zur neuen Single durchliest.
UJRHREND HRUSMRNN GERO MRL EBEN DEN Abwasch erledigt und dafür sorgt, dass auch noch die Nachspeise möglichst schnell leckere Formen annimmt, kommt das Gespräch nun doch noch auf den lukrativen Wechsel der Band zu EMI, jener großen Plattenfirma, bei der am 29. Mai auch das neue Album „Homeinside“ (Besprechung auf Seite 66) erscheint. Internationale Plattenfirma, neues Image – schielen die Furys erneut auf den US-Markt? „Nee, nicht mehr“, wehrt Kai sofort ab, „wenn es passiert – gerne, aber es muss nicht sein. Wir haben es ja schon mal richtig versucht in Amerika, zur Veröffentlichung von ‚Mono‘, und haben es nicht geschafft. Auch weil wir den Tour-Aufwand nicht betreiben konnten, der dafür nötig gewesen wäre. Hätten wir noch zwei Monate lang getourt, hätte es wahrscheinlich geknallt. So sind wir bei 125.000 verkauften Platten nach Hause gefahren.“ Momentan denkt Kai Wingenfelder aber weniger über neuerliche Auftritte in den Staaten nach als vielmehr darüber, ob es nicht viel netter wäre, „ein paar kleine Tourneen in Europa zu machen. In Ländern, in denen wir noch nicht waren – Griechenland, Italien,Türkei, Russland.“ Aber zurück zur neuen Platte.“Wie schon gesagt, wir sind Meister im Unbekanntbleiben“, kommt Gero auf ein scheinbar unabänderliches Fury-Spezifikum zurück. „Das ist insofern schlecht, als wir uns viel größere musikalische Freiheiten erlauben könnten, wenn wir bekannter wären, mehr Platten verkaufen würden, unsere Gesichter öfter in der Zeitung wären. Man könnte dann auch mal etwas weniger kommerzielle Wege gehen. Wenn du die Sicherheit hast, dass Leute deine Platten toll finden, allein dadurch, dass du bekannt bist, dann kannst du auch sagen, wir machen jetzt mal das, worauf wir alle Bock haben, wovon wir jetzt aber noch sagen, dass es im Moment kommerzieller Selbstmord wäre.“
Hört man da so etwas wie Frust über den musikalischen Kurs von Fury heraus? „Na ja, nee, wir stehen alle hinter dem, was wir machen. Das kann man vorzeigen, ohne dass man rot werden muss. Aber natürlich sind wir auch einem gewissen Druck ausgesetzt und müssen unser Produkt so abliefern, dass es verkauft werden kann – ein großer Name würde da einfach ein bisschen freier machen.“
BEIM NAHCHTISCH (Z I EGENFRISCHKRSE, Apfelscheiben mit Roquefort und Apfelkompott mit Calvados, Blätterteigröllchen, dazu ein Weihnachtströpfchen Schwarzriesling und die neue Santana-Platte) nimmt Kai Wingenfelder dem von Gero Gesagten etwas die Schärfe: „ich persönlich bin äußerst glücklich mit der neuen Platte. Es ist unser erstes Album bei einer Major Company. Klar hat man da viel Geld und viel Verantwortung im Nacken, denn die Erwartungen waren auf allen Seiten sehr groß. Es war eine lange Reise über vier Produzenten und fünf Studios, bis das Album endlich fertig war. Aber es hat sich gelohnt. Wir haben angefangen,dann alles in die Tonne getreten, wieder angefangen, wieder alles in die Tonne getreten. Wir hatten viel Zeit herauszufinden, was wir eigentlich wollen und wie wir da hinkommen. Und diese Zeit brauchten wir merkwürdiger Weise auch. Nach dreizehn Jahren stellt sich eben so eine leichte Müdigkeit ein.
RUCH FURY-MÜDIGKEIT? DENKT MAN NACH dreizehn Band-und fast 40 Menschenjahren über die Zeit nach der Band nach? Gero: „Klar machen wir uns alle Gedanken darüber, was kommt, wenn es Fury mal nicht mehr gibt. Da überlegt man sich schon mal, ganz nebenbei, was man anderes machen könnte und möchte.“ Ein Satz, den Kai nicht unkommentiert stehen lassen mag:“Solange man aber noch Spaß daran hat, solange eine musikalische Weiterentwicklung möglich ist, macht das Ganze auch noch Sinn. Sobald man aber anfängt, sich selbst zu reproduzieren, sollte man sich überlegen, ob es nicht noch etwas anderes gibt, womit man auch sein Geld verdienen kann. Etwas, was noch ein Herausforderung darstellt. Ich finde nicht,dass es eine Herausforderung ist, das auszuschlachten, was man sich irgendwann mal aufgebaut hat, nur damit noch ein paar Mäuse über den Tisch gehen. Ich möchte nicht mit 53 noch auf der Bühne stehen und „Time To Wonder“spielen. Das wäre mir peinlich. Dann hätte es alles verloren, was es mir mal bedeutet hat.“