Nach drei Jahren Schwerstarbeit im Studio liefern Leftfield ihr neues Album Rhythm And Stealth ab
Nach fünf Jahren kommt das neue Album genau auf den Punkt: Neil Barnes und Paul Daley können sich sicher sein, den letzten großen Bumms dieses Jahrtausends zu setzen. Nicht Prodigy, nicht die Chemical Brothers. Was nur angemessen ist, schließlich waren sie auch die ersten im Elefantengroove. Sie sind Leftfield und haben, wie die britische Presse nicht müde wird zu betonen, mit „Leftism“ seinerzeit das „größte Dance-Album aller Zeiten“ produziert. Größe definiert sich hier ganz eindeutig über Sound. Irgendwo zwischen Postpunk-Sentiment, Handbag-House, trancigem Techno und kickender Perkussion haben sie einen eigenen Sound geschaffen und damit ganz nebenbei Englands Tanzgewohnheiten definiert. Kein Wunder, daß ihr Name nicht nur als musikalisches Genre, sondern auch als Synonym für Abweichung und Andersartigkeit gebraucht wird: Leftfield Techno, Leftfield Drum’n’Bass, Leftfield Jazz. Auf den Lorbeeren ausruhen ist da nicht möglich. Jetzt muß es neu bewiesen werden, und sei es nur den tausend Epigonen. „Wenn du den Fernseher anmachst, und alles, was du hörst, klingt wie dein letztes Album, dann zwingt es dich, einen großen Schritt nach vorne zu machen. Aber ohne deine Identität aufzugeben.“ Wie anstrengend ein solcher Spreizgang ist, steht Paul DaJey ins Gesicht geschrieben. Paul: „Es gab Druck, den es beim ersten Album überhaupt nicht gab. Wir haben die Erwartungshaltung der Leute deutlich gespürt. Da liegst du dann und denkst ‚Scheiße, vielleicht haben sie recht, vielleicht war ‚Leftism‘ das Beste, was wir je hinbekommen können‘. Wir sind nicht so selbstbewußt, daß wir sagen ‚alles, was wir machen ist brillant‘. Wir haben ziemliche Zweifel an uns.“ Deswegen haben Neil Barnes, der im verdunkelten Hotelzimmer seine Sonnenbrille niemals abnimmt, und Paul Daley, Typ Vertrinkender Kumpel‘, für 53 Minuten und 25 Sekunden Rhythmus and Stealth drei Jahre im Studio verbracht. Was dem Album die Schwere eines hundert Jahre alten Rotweins gibt – aller Rhythmik zu Trotz. Paul: „Unsere Platte ist dunkler als die davor. Das hat aber nichts damit zu tun, daß wir keine uplifting Tracks mögen. Ganz im Gegenteil. Aber das ist nicht unser Weg.“ Ihr Weg, zumindest der momentane, heißt Reduzierung, heißt Techno, Elektro – ein wenig HipHop, aber kein wildes Sampling, kein Eklektizismus. Selbst die afrikanischen Perkussion-Momente des ersten Albums sind verschwunden und das zu einer Zeit, in der Afrobeat in aller Munde ist. Sie waren die ersten, sie haben es gemacht, das muß reichen. Eitelkeit ist den beiden ebenso fremd wie übetriebener Aktivismus und Mitteilungsdruck. So ist das, wenn der große Erfolg erst weit über dreißig kommt. Das Koordinatensystem ist längst errichtet, durchdrehen weitgehend ausgeschlossen. Ladism der gemütlichen Art. Man findet eigentlich alles gut und am besten den Pub, in den sie seit zwanzig Jahren gehen. Leftfield leben in einer Nick Hornby-Welt, aufgehängt zwischen den Konstanten Nachbarschaft und Plattensammlung. Denn sie hören und sammeln immer noch viel. „Das ist Teil des Jobs, sich die neuen Sachen anzuhören. Sonst macht du möglichweise Musik, die völlig veraltet ist“, erklärt Paul. Die neuen Club-Tracks sind zwar interessant, machen aber auch Arbeit, weil sie immer mit der eigenen Musik verglichen werden. Und daran will Paul nun wirklich nicht immer denken. Ganz schön viel Streß dafür, daß Leftfield Unterhaltungsmusik produzieren. Gibt es denn wenigsten ein paar vereinzelte Sachen, die an diesem Lob wirklich Spaß machen? „Ja“, niknik beide, „in Hotels sitzen und trinken“.