Rock’n’Roll in Reinkultur


Für sein neues Album "Acme" beschritt Jon Spencer zwar neue Wege, doch der Chef der Blues Explosion liefert nach wie vor die perfekte Show.

Mister Spencer, neue Platte, wie fühlt es sich an, ist es noch Rock ’n‘ Roll oder ist es schon ein Job?“ – „Es ist ein Job.“ – „Aber ein guter Job, oder?“ – „Nein, ein Scheißjob.“ Der Hoheprieser des abgefuckten Rock lacht nicht. Müde sieht er aus, genervt, blaß und krank. Letzteres ist er auch. Hat sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen, seine Show in Amsterdam abgesagt, wo er jetzt mit Tee und letzter Kraft seinen leidigen medialen Verpflichtungen nachkommt. Ihm zur Seite: die Blues Explosion, Russell Simmons und Judah Bauer, die an Schlagzeug und Baß musikalisch bedeutsam, als Gesprächspartner allerdings Totalverweigerer sind. Schön ist das nicht. Aber auch nicht überraschend. Denn die Blues Explosion ist Jon Spencer und damit immer noch dem Prinzip „Fuck You“ verschrieben. Auch wenn Spencer unter vier Augen längst zugänglich, um nicht zu sagen freundlich geworden ist, mit Mikro und Band geht es darum, zu repräsentieren. Und repräsentiert werden soll nicht die nette Band von nebenan, sondern der coolste Scheiß, den der Rock ’n’Roll je gesehen hat und der allenfalls in den Stones der wilden Jahre eine Entsprechung findet. Da wurde auch nicht rumgelabert. Andererseits schreiben wir 1998, und nicht nur seit „Exile On Mainstreet“ sind ein paar Jahre vergangen, auch Spencers Anfänge in New York bzw. Washington liegen fast eine Generation zurück. Damals war Spencer der unerträglichste Despot weit und breit, von der Kritik musikalisch geliebt und menschlich gehaßt. Zehn Jahre Provokation später ist der eitle Punk ein – sagen wir – sehr selbstbewußter Künstler, und zwischen dem unglaublich kaputten Garagenrock seiner ehemaligen Band Pussy Galore und den kunstvollen Gebilden der Blues Explosion liegen nicht nur ein paar Spuren mehr. Klar, noch immer ist Blues der Vater und Rock’n’Roll die Maxime, aber innerhalb dieser gar nicht mal so kleinen Klammer zeigen Komposition, Dynamik und Experiment einen Willen zum Fortschritt, der die Blues Explosion über tausend andere Garagenbands erhebt. Und natürlich der unbedingte Wille zur perfekten Rockshow. Auch wenn der Teufel allein weiß, was perfekt ist – näher als Jon Spencer kommt diesem Ziel im heutigen Musikgeschäft niemand. Stil und Strom, enge Hosen, enge Hemden, spitze Schuhe, spitze Schreie, Hüftschwung. Im Vergleich dazu können Platten nur Polaroids im Erinnerungsalbum sein: ungefilterte Mitschnitte roher Blues Explosion-Power. Bis jetzt. Für „Acme“ begegnet Spencer der Problematik von Progression ohne Energieverlust mit einer guten Idee: erst schnell und direkt aufnehmen, dann das rohe Material an verschiedene Produzenten geben. Die Wahl der Knopfdreher zeigt dabei, wie sehr „er die Nase im Wind hat: Sonic Youth-Mitarbeiter Nick Sansano, die Digital-Terroristen Alec Empire und Techno Animal sowie der heißgehandelte HipHop-Produzent Dan Nakamura. Das Ergebnis ist Soul, Gospel und HipHop auf der einen, Industrial und Noise auf der anderen Seite, mal geschüttelt, mal gerührt. Immer hochprozentig, immer Blues, fast immer Explosion. Vom ursprünglichen Material, das das Trio mit Steve Albini aufgenommen hat, ist wenig geblieben. Vorgespielt hat Spencer dem Gott der reinen Gitarrenlehre das fertige Ergebnis noch nicht. Aber er gibt auch einen Scheiß darauf, ob es Albini gefallen würde. Schließlich ist er Jon Spencer, Mister Rock’n’Roll himself. Ja, es ist ein mieser Job. Aber einer muß ihn ja machen.