Blue Rodeo


Sommer ’95: ein staubiger Highway in der Wüste New Mexicos, ich rolle Richtung Westen. Über mir, wie ein fetter Pickel am makellos blauen Firmament, ein Hubschrauber mit Cops, die penibel das Einhalten der Höchstgeschwindigkeit überwachen. Eine Büchse Heinecken und dazu diese Musik: Harp, Klavier, Baß, Drums mit Besen. Sehr melancholisch. Und diese Gitarre: fängt verhalten an, steigert sich langsam, wütet schließlich orgiastisch – am Ende glaube ich fast, Neil Young zu hören. Sensationell. Wie heißt die Band? Blue Rodeo? Nie gehört! Der Song: ‚Five Days in May‘. In LA besorge ich mir die beiden letzten Alben.

Heute, ein Jahr später, bekomme ich diese superbe kanadische Band endlich live zu sehen. Und dann sowas: auf der Bühne ein müder Haufen, sechs Mann mit dem Charisma von Gesamtschullehrern, die den paar Gästen lustlos ein paar süßliche Countryballaden in die Ohren träufeln. Symptomatisch der triste Höhepunkt: Kim Deschamps schläft hinter seiner Pedal Steel Guitar ein. Ich seh’s genau: Die Augen verengen sich zu Schlitzen, ein letztes Aufbäumen, die Pupillen verdreht, nun sind die Lider ganz verschlossen. Der Kopf fällt im Zeitlupentempo nach vorn, das behaarte Kinn ruht auf der Brust. Plötzlich eine zuckende Bewegung, und der Kopf sitzt mit schreckgeweiteten Augen wieder vertikal zwischen den Schultern. Nicht zu fassen. Was ist mit dieser Truppe los?

Für ihre sieben Alben, allesamt von makelloser Erhabenheit, kassierte die Band um Greg Keelor und Jim Cuddy in Kanada jeweils Platin, in diesem Jahr wurden sie dort als „Beste Band“ ausgezeichnet. Und dann eine solche Enttäuschung. Aber ich verzeihe ihnen, wenn das nächste Album nur halb so gut wird wie ‚Nowhere To Here‘ von ’95.