Pet Shop Boys: Schelme im Schafspelz
Das Ende der Glückssträhne wurde ihnen schon mehrfach vorhergesagt - zuletzt, als sich die Studiofüchse erstmals aufs dünne Eis der Bühne wagten. Doch Neil Tennant und Chris Lowe strafen vorlaute Kritiker immer wieder Lügen. ME/Sounds-Mitarbeiter Hanspeter Künzler sprach mit den unscheinbaren Schelmen.
Von ihren Singles verpaßten bloß zwei Frühwerke die Top 10 der britischen Charts – und dies nur ganz knapp („Love Comes Quickly“ kam auf 19, „Opportunities“ auf 11). Zu ihrem Bekanntenkreis gehören Frank Sinatra und Liza Minelli. einmal schlugen sie gar die Gelegenheit aus, sich mit Lady Di zur Tafel zu setzen (Neil: „Liza Minelli war sprachlos: Warum wollt ihr nicht mitkommen? Wir sagten: Auf königliche Familie machen wir nicht…“).
Nun versucht mir der mittlerweile distinguiert angegraute Neil Tennant zu erklären, warum die Pet Shop Boys sich bei ihrer hitträchtigen Arbeit jedes Mal eine strikte Frist setzen müssen: „Sonst würden wir nie fertig“, meint er. „Wenn du mal mit den Remixes angefangen hast, geht das Herumbosseln erst richtig los. “ Ob das wohl ein Überbleibsel aus Neils Zeit als Redakteur der Pop-Postille Smash Hits sein könnte – Schreiberlinge tun ja bekanntlich alles im letzten Moment?
„Sein“, entgegnet Neil mit einem Tonfall, als wäre ihm jemand auf die Zehen getreten, „es ist eine grundsätzliche Unsicherheit. Es passiert mir ständig. Es passierte mir heute morgen: Da habe ich schon ein Taxi bestellt und will mich noch kurz zurechtmachen. Jetzt paßt mir auf einmal nicht mehr, was ich anhabe. Also rasch die Hosen gewechselt. Nun sehen aber die Schuhe schrecklich unpassend aus. Ah – der Pullover wird für heute zu warm sein. T-Shirt her – oder etwa ein Hemd? Schließlich habe ich wieder genau das an, womit ich anfing. Nur hat untere/essen das Taxi auf meine Rechnung eine Viertelstunde gewartet, und ich bin nervös und völlig daneben. Wäre das Taxi zu spät gekommen, hätte ich keine Zeit zum Nachdenken gehabt, wäre das nicht passiert.“
Ihrer Medienabstinenz zum Trotz haben die Pet Shop Boys aufregende 18 Monate hinter sich. Da waren zuerst die Vorbereitungen für ihr Live-Debüt. Es kostete Nerven. Neil: „Ich war überrascht, wie all unser Publikum war, und wie bunt gemischt. In Schottland bestand das Publikum vornehmlich aus Familien. Mit verschränkten Armen saßen sie da, die Eltern, und fanden die Sache offensichtlich ganz widerlich. So sparten wir den Penis dann aus …“ Selbiger Penis hätte zwischen den Schenkeln eines zwei Meter langen, tanzenden Riesenbabies hängen sollen, das dazu noch in einem fluoreszent grünen Büstenhalter auf der Bühne erschien.
Die Pet Shop Boys-„Konzerte“ waren eine Kostüm-Show, welche die schummrige erotische Symbolik der üblichen Rock-Show ins Schwül-Groteske übersteigerte, wobei die begleitenden Filme des britischen Experimental-Regisseurs Derek Jarman allein schon hätten eine Show bestreiten können. Im Gegensatz zum Pet Shop-Film „It Couldn’t Happen Here“, erschienen im Sommer ’88, wurde das Live-Spektakel überall positiv aufgenommen.
Und schon planen die Boys eine nächste Tour. Neil: „Wir gingen deswegen so lang nicht auf Tour, weil wir eine präzise Vorstellung davon mitten, was wir auf der Bühne tun wollten. Und weil wir uns das lang nicht leisten konnten. „Die Band hatte schon 1986 einmal eine komplette Tour gebucht, aber im letzten Moment festgestellt, daß das Geld nicht reichte.
Letztes Jahr offerierte ein japanischer Promoter eine Garantiesumme, die Tennant als „a fuck of a lot of money“ beschreibt. „Wir hatten die Idee inzwischen begraben, jemals live aufzutreten, aber als man uns zusicherte, unsere Ideen verwirklichen zu können, schickten wir Derek gleich los, um die Filme zu machen. Wir sind nun mal nicht Tina Turner, die man anschauen geht, weil man eine gute Sängerin sehen will. Ich bin kein begnadeter Live-Sänger. Wir hatten kein brennendes Bedürfnis, auf eine Bühne zu treten. Aber wir haben ein Bedürfnis, etwas zu machen, was ich vielleicht Theater nennen würde.
Als wir dann zum ersten Mal das Set begutachteten, waren wir ziemlich abgetörnt: ‚Juck, das schaut ja doch aus wie eine verdammte Rock-Show.‘ Eine etwas andere Art von Rock-Show, aber doch eben eine Rock-Show. Bei der nächsten Tour weiden wir einen Schritt weitergehen. Es wird keine Rock-Show mehr sein, sondern Theater. „
Nachdem sie im Studio schon mit Dusty Springfield gearbeitet hatten, erschien im vergangenen Sommer RESULTS. laut Tennant „ein Pet Shop Boys-Album, gesungen von Liza Minelli“. Minelli war vom jungen Tennant angehimmelt worden, als er 1972 von Newcastle nach London übersiedelte: „Ich war ein großer Bowie-Fan. Bowie, Roxy Music und der Film ‚Cabaret‘ gehörten alle irgendwie zusammen. Es war eine An göttliche Dekadenz.“
In einer weiteren Co-Produktion taten sie sich im letzten Winter mit New Orders Bernard Sumner und Johnny Marr zur Gruppe Electronic zusammen, die mit „Getting Away Wilh In auf Anhieb einen Hit buchte, unterdessen genug Material für eine LP eingespielt hat und unlängst in Los Angeles als Vorgruppe von Depeche Mode einsprang, nachdem The Jesus And Mary Chain von den Stadtvätern als personae non gratae deklariert worden waren.
Der Gig war eine runde Sache, „aber es ist kaum zu glauben, wie lahm die Kollegen in Manchester sind“, beklagt sich Neil im nachhinein. „Einmal kam Bermird zu mir und sagte – so ganz tranig sagte er’s: „Mann, ihr arbeitet ja sooo professionell und schnell‘. Dabei hatten wir einfach gearbeitet, wie man halt so arbeitet.“
Inzwischen steht mit BEHAVIOUR das nächste hundertprozentige Pet Shop Boys-Album ins Haus. Eingespielt wurde es mit dem Produzenten Harald Faltermeyer, unter gelegentlicher Mithilfe eines Streichorchesters und von Angelo Badalamenti. der sonst David Lynchs Filme klanglich illustriert. Chris: „Wir haben diesmal viel mehr mit Rhythmen experimentiert, die Tempi sind langsamer, subtiler geworden, die Strukturen komplexer.“ Neil:“.Früher war’s so, daß Chris mit einer komplizierten Melodie kam. Ich vereinfachte sie dann, bis die Worte paßten. Diesmal gab ich mir Mühe, seine Melodien möglichst unverändert zu belassen. „
Auf Faltermeyer war man durch „Axel F.“ gestoßen, und weil ihnen sein Name als Programmierer von Billy Idols LPs aufgefallen war. Tennant: „Weil wir diesmal nur mit einem einzigen Produzenten arbeiteten ist die Stimmung der LP geschlossener. Er halte all diese alten Moog- und Arp-Synthesizer. Programmieren macht mehr Spaß als Sampline.“
Und woher kam der Album-Titel?
Neil: „Der Titel, der sich von den Umständen her aufgedrängt hätte, wäre ‚The Pet Shop Boys Seriously‘ gewesen. Nur war uns Phil Collins leider zuvorgekommen. Und als wir’s uns dann recht überlegten, meinten wir, es hätte allzu sehr den peniblen Unterton von Popstars, die plötzlich verlangen, ernstgenommen zu werden. Und das ist ja nun auch nicht gerade der Fall …“