Billy Idol: Montreal, The Forum


Wer glaubt, ein schwerer Motorradunfall und fünf darauffolgende Beinoperationen haben den bösen Buben des Rock’n’Roll bühnen- beziehungsweise lendenlahm gemacht, der kennt Billy Idol aber schlecht. Der rammelt sich auch mit und auf einem Krückstock durch einen lauwarmen Set, daß es des Publikums und seine eigene Wonne ist. Warf sich der Sänger vor drei Jahren bei seiner „Whiplash Smile“-Tournee noch beckenkreisend auf den Bühnenboden, als gelte es, die ewige Jungfrau ins Himmelreich einzuführen, so vollführt Billy The Handicapped Kid jetzt das gleiche Kunststück mit einer gigantischen etwa 17 Meter langen aufblasbaren Gummipuppe, deren lila Strapse allein schon länger sind als der ganze Billy.

Von dem Augenblick an, als Idol zum Auftakt seiner Welttournee 1990/91 vor 7500 Fans im Forum von Montreal mit Krückstock auf die Bühne humpelte, wurde indes schmerzhaft deutlich, daß er mit mehr als nur dem Handicap der Unfallfolgen zu kämpfen hatte. Seine physische Energie auf der Bühne war früher eben doch mehr als nur ein marginaler Bestandteil seiner Anziehungskraft. Denn jetzt richtet sich das Ohrenmerk unvermittelt auf Idols Gesang, und der war selbst in den allerbesten Tagen kaum mehr als durchschnittlich und an diesem Abend gar lasch wie ein schlapper Penis.

Das hinderte Billy freilich nicht, voll in den Gig einzusteigen. Doch schon im vierten Song, „White Wedding“, wies seine Stimme bedenkliche Kratzer auf und in „Flesh For Fantasy“, dem achten der insgesamt 13 Songs plus zwei Zugaben, verabschiedeten sich die Stimmbänder vollends für den Rest des knapp 105 Minuten langen Konzerts. Weitaus schmerzlicher jedoch als Billys wildes Bühnengewerbe aus besseren, weil gesünderen Tagen vermißte man seinen langjährigen Gitarristen Steve Stevens.

Was bleibt? Ein mit bewundernswerter Energie und sehr, sehr vorsichtigen Hüpfern vorgetragenes Potpourri von Hits wie „Cradle Of Love“ und „Eyes Without A Face“, „Sweet Linie Sixteen“, „Mony Mony“‚ (mit Billys obligatorischem Griff an den eigenen, kleinen ‚Mony‘) und, der beste Song des Abends, „Pumping On Steel“ von der neuen LP Charmed Life.

Doch jeder kritische Rezensent hat die Rechnung ohne das einstimmige Urteil der 7500 Fans aus Montreal gemacht. Die schwangen ihre geballten Fäuste in begeistertem Einklang in die Luft und demonstrierten in totaler Zustimmung, daß Billy Idol tatsächlich seinem Namen gerecht wird. Weder das dilettantische Scheinwerferlicht noch die technischen Probleme und ebenso wenig die Tatsache, daß Billy immer mal wieder seine Texte vergaß, vermochten die allgemeine Begeisterung zu trüben. Ein Idol-Fan ist nun mal ein Idol-Fan – ganz gleich, was der Rest der Welt davon halten mag.

Ein unsichtbares und doch allgegenwärtiges Gespenst schwebte freilich dennoch über diesem Abend: Die Frage, ob die „Charmed Life“-Toumee nicht vielleicht doch die letzte von Billy Idol ist. Only time and Billy will tell – und der Zahn der Zeit.