Pink Floyd


Pink Floyd — Roger Waters: eins zu null. Man hätte zu diesem Abend in Montreal sämtliche Richter einladen sollen, die von Waters mit der unangenehmen Aufgabe betraut worden sind, festzustellen, ob und wer sich in Zukunft Pink Floyd nennen darf. Denn was das verbliebene Trio Nick Mason, David Gilmour, Richard Wright mit ihrer Begleitband drei Stunden lang aufs Publikum prasseln ließ, war eindeutig und unzweifelhaft Pink Floyd. Sogar die aufgeblasenen Schweine flogen wieder — nicht mehr grimmig und böse, sondern verschmitzt grinsend. Innerhalb von drei Stunden wurden 80 000 Tickets verkauft und zu dem Zeitpunkt stand die aktuelle Floyd-LP A Momentary Lapse Of Reason noch gar nicht in den Läden. Kein Wunder, daß Waters seinen Anteil an dem Markenzeichen haben will. Drei ausverkaufte Nächte, pro Abend 50000 Besucher.

Mit dem Erlöschen der Lichter wabern die ersten Bombast-Töne von „Echoes“ (aus der 1971er LP Meddle) durch die Halle. Auch dem letzten Paar Ohren im hintersten Winkel wird schlagartig klar, was ein 360-Grad-Mix ist: Die Lautsprecher stehen nicht nur vorne an der Bühne, sondern sind ringsrum im ganzen Raum verteilt. Pink Floyd haben alles aufgefahren, was sie zu bieten haben: vier mobile Scheinwerfer-Einheiten erzeugen buntes Lichtermeer, dazwischen schneiden messerscharfe Laserstrahlen und natürlich die legendäre riesige Spiegelkugel aus „Dark Side Of The Moon“. Genesis wären vor Neid erblaßt. Außerdem gab’s genug Flüssigeis, um damit ganz Kanada abdecken zu können.

Drei Jumbo Jets waren nötig, um den ganzen technischen Schnickschnack herbeizuschaffen. Die Crew (Gilmour: „Diese Leute kann man längst nicht mehr Roadies nennen“) umfaßt 58 Mann — inklusive eines Fachmanns für Explosionen, der zum x-ten mal den malerischen Absturz des Flugzeuges inszeniert, das sich irgendwie noch aus den „Dark Side Of The Moon“-Zeiten retten konnte. Und das aufgeblasene Schwein aus der 77er Animals-Tour schwebt bei „One Of These Days“ zaghaft durch die Luft. Das Programm besteht zur einen Hälfte aus den Songs der neuen LP („On The Turning Away“ wird bestimmt zum neuen Floyd-Klassiker: Feuerzeug-verdächtig!), zur anderen Hälfte aus den alten Mega-Hits. Gilmour: „Wir haben versucht, alle reinen Roger Waters-Kompositionen rauszulassen“; wenn sie dann doch kamen, übernahm Gilmour entweder den Gesangspart oder spielte stattdessen ein Gitarrensolo. Tatsächlich überschneidet sich die Pink-Floyd-Show nur in einem Punkt mit Roger Waters‘ Inszenierung seiner aktuellen „Radio K.A.O.S.“-Tour: „Welcome To The Machine“ wird bei beiden von demselben Gerald Scarfe-Zeichentrick untermalt.

Dem Publikum heute abend ist das wurscht. Die meisten sind eh zu jung, um alte Pink Floyd-Klassiker noch mit Roger Waters erlebt zu haben. Außerdem sind sie viel zu sehr damit beschäftigt, Wortfetzen aufzuschnappen, um möglichst gleich mitsingen zu können. Und während ihnen für den Schluß der Show, „Another Brick In The Wall“, fast die Puste wegbleibt, sitzen ihre Eltern zu Hause, um sich genüßlich und in aller Ruhe A Momentary Lapse Of Reason auf CD anzuhören.