Krieg der Systeme
CD rennt, DAT kommt. Die Video-CD wird uns im nächsten Frühjahr beglücken, wenig später dann der Satelliten-Funk und Musik aus der Datenbank. Eine Bestandsaufnahme von Franz Schöler.
Bangemachen gilt nicht. Wir werden weiterhin Schallplatten, Cassetten und UKW-Radio hören. Und nachdem so manch schönes Stück schon auf CD erschienen ist, auch den Player mit den silbrigen Scheiben füttern.
Nur: Daß die vertrauten Techniken veraltet seien und daß wir eigentlich dauernd ganz neue Geräte brauchen, versuchen uns die gar nicht so heimlichen Verführer ja immer wieder einzureden. Wenn alles nach den Planspielen der Marketingstrategen ginge, würden wir den Urlaub für die nächsten Jahre glatt streichen und in der nächsten Zeit jede Menge neuer Geräte kaufen, die in diesem Herbst in den Schaufenstern stehen: DAT-Recorder, Satelliten-Tuner und Parabolantennen für den Empfang von Musik und Bildprogrammen aus dem All, Mini-Fernseher mit farbigem LCD-Bildschirm, CD-Jukeboxen, Autoradios mit RDS-System, CD Video-Kombispieler und noch manches andere, was die Unterhaltungselektronik-Industrie jetzt massenhaft unters Volk bringen möchte. Wer das alles kaufen wollte, müßte Midas heißen oder einen mittleren Bankkredit aufnehmen. Denn eines ist klar: Die Geräte, die die schöne neue Welt der Bilder und Töne ins Haus bringen, kosten erst einmal viel Geld.
Der technische Fortschritt läßt sich ja nicht aufhalten, wie die Experten versichern. Der Sprung von der Postkutsche zum Daimler muß irgendwann mal kommen. Von Innovationen lebt schließlich auch diese
Branche. Sonst würden wir womöglich immer noch Dampfradio hören und das „magische Auge“ leuchten sehen, Schellack-Platten abspielen und auf die Bequemlichkeit von Infrarot-Fernbedienung verzichten müssen. Das „audiovisuelle Kommunikationszentrum im Wohnzimmer“ haben die Strategen schon lange versprochen — und mit ihm die Segnungen von Digitalisierung und Computertechnik.
Der Umbruch vollzieht sich aber dann doch meist in Raten, und neue Geräte-Generationen können die alten allenfalls nach und nach verdrängen. Meist stehen sie sowieso jahrelang in friedlicher Koexistenz nebeneinander, und nur weniges wandert umgehend in den Müll, weil es hoffnungslos veraltet ist. Wie es mit dem Fortschritt in den verschiedenen Bereichen der Unterhaltungselektronik im Moment aussieht, soll hier umrißartig beschrieben werden.
Das zentrale Abspielgerät des Hi-Fi-Fans, der Plattenspieler, wird immer noch eifrig benutzt. Hunderte Millionen dieser Spieler stehen schließlich in den Haushalten weltweit, und die tun nach wie vor ihren Dienst. Die Propheten des Fortschritts verkündeten zwar anläßlich der Einführung der CompactDisc vor Jahren das baldige Ableben der schwarzen Scheiben. Von Agonie oder gar Koma kann keine Rede sein. Das sieht im einzelnen so aus:
Die 17 cm-Single erlebte in den letzten Jahren einen drastischen Popularitätsverlust, der Umsatz ging zuletzt in den USA um 25 Prozent zurück. Nachgerade dramatische Einbrüche sind in Europa vor allem dort zu verzeichnen, wo hunderte von Kommerzsendern übers Land verteilt rund um die Uhr die aktuellen Single-Hits spielen, beispielsweise in Italien oder Frankreich. Dort kann man Nr. 1 der Hitparaden werden mit einer Single, von der nur noch ein Zehntel dessen verkauft wird, was vor fünf Jahren für die gleiche Plazierung notwendig war. Schlechte Zukunftsaussichten also für die kleinen Scheiben. Die „Maxi“, eine Verkaufsspezialität des deutschen Raums, hat die kleine Konkurrenz wertmäßig längst überholt, hat aber — den Absatzzahlen nach zu urteilen —ihren Höhepunkt schon wieder überschritten.
Achtbar gehalten hat sich insbesondere hierzulande die LP, die bei Pop fast keine, bei Klassik schon etwas größere Einbußen erlebt. Klassikfans sind offenbar einmal betuchter und zum zweiten eher bereit, auf die knisterfreie CD umzusteigen.
Die Qualität der Abspielgeräte für schwarze Scheiben ist kaum noch zu steigern. Da passiert in den Forschungslabors auch praktisch nichts mehr, was diese Technik noch einmal aufwerten würde. Einen letzteren größeren Schritt taten da die Software-Leute: Mittlerweile benutzen auch die meisten der „Großen Zwölf unter den amerikanischen Schneid-Studios die Kupferfolien-Schneidtechnik der Teldec („DMM“) für die Schallplattenüberspielung.
Die digitale Alternative gibt es mittlerweile in vier Versionen, nämlich die herkömmliche Audio-CD und in drei Formaten (mit 12, 20 und 30cm Durchmesser) CD Video. Zum analog gespeicherten Bild präsentiert man hier digitale Tonqualität. Was nach ersten Erfahrungen dazu führt, daß der phänomenale HiFi-Ton das Bild in seiner Wirkung oft förmlich „erschlägt“. Großbild-Fernseher womöglich mit hochauflösenden 1125 Zeilen, die das Musikerlebnis adäquat ergänzen würden, kosten als Prototypen noch ein Vermögen und sind schätzungsweise nicht vor Ende der 90er Jahre käuflich.
Weil man den CD Player — anders als bei CD Video — nicht größer machen, sondern noch miniaturisieren möchte, will Sony eine 8cm-CD mit bis zu 20 Minuten Spieldauer auf den Markt bringen, sobald die — per Adapter — auch auf den zig-Millionen bisher verkaufter Player abspielbar ist. Ob dies neueste CD-Format wirklich ein wesentliches Bedürfnis befriedigt, sei dahingestellt. Bei bandförmigen Tonträgern geht die Entwicklung in die umgekehrte Richtung: Die Digital-Cassette bietet bis zu zwei Stunden Aufnahme- und Spieldauer.
Die bespiel- und löschbare CD wird, wie auf der Berliner Funkausstellung im September vertraulich zu hören war, in etwa anderthalb Jahren erst einmal in der Computer-Technik eingesetzt werden. Die erfolgreich erprobten Trägermaterialien (sogenannte „Seltene Erden“) sind allerdings im Vergleich zu Magnetband noch zu teuer, als daß man schon bald mit konkurrenzfähigen „Leer-CDs“ rechnen könnte. CD als Aufnahme-Medium wird vielleicht binnen zwei bis vier Jahren kommen, wenn der Standard weltweit normiert ist, technische Probleme gelöst sind und das ganze System von den Kosten her halbwegs erschwinglich ist. Einen schier beispiellosen Erfolg konnte bei allen Musikliebhabern innerhalb der letzten 25 Jahre die Philips-Erfindung der Compact-Cassette verzeichnen. 1963 wurde sie als NoFi- und LowFi-Produkt eingeführt. Inzwischen werden weltweit zwischen 700 und 800 Millionen Cassettenrecorder benutzt und jährlich mehr als drei Milliarden Cassetten verkauft — rund zwei Milliarden vorbespielte und 1,2 Milliarden „leere“. Im größten Musikmarkt der Welt, den USA, stellen MusiCassetten etwa 60 Prozent aller konfektionierten Tonträger, und dort tüfteln die Techniker immer noch, wie man die klangtechnische Qualität trotz massenhafter Schnellduplizierung verbessern könnte.
Die hunderte Millionen „analoger“ Cassettenrecorder, die das Geschäft der Plattenindustrie wie auch der Musik-Piraten wesentlich förderten, bedeuten allein schon von ihrer enormen Verbreitung her, daß dies System nicht so rasch abgelöst wird. Vom sich selbst einmessenden Nobelgerät bis zum tragbaren Mini-Recorder reicht qualitativ mittlerweile das Spektrum. Die Metallbeschichtung der Bänder konnte so weit verbessert werden, daß das größte prinzipielle Manko dieser Technik — das schmale Band wird mit ganzen 4,76 cm pro Sekunde transportiert — in seinen Auswirkungen vielfach nicht mehr auffällt. Das Kosten/Nutzen-Verhältnis ist bei diesem bespielbaren (!) Tonträger so auffällig günstig, daß die Hersteller der Analogcassette noch ein langes Leben voraussagen.
Die digitale Konkurrenz hat es im letztgenannten Punkt schon schwerer. Auf Grund der Technik, der Kosten und der mangelnden Bequemlichkeit blieb die digitale Bandaufzeichnung bislang Domäne der Profis und das Amateur-Hobby einer winzigen Minderheit. Daß der Digital Audio Tape-Cassettenrecorder (Kürzel: DAT), der jetzt auch bei uns eingeführt wurde, ähnlich rasch Anklang findet wie die digitale Schallplatte, nehmen selbst optimistische Gerätehersteller nicht an.
Die technische Überlegenheit des DAT-Systems ist meßbar: keine Tonhöhenschwankungen, die bessere Rauschfreiheit, verbesserte Klirrund Dynamik-Werte, dazu ein Bedienungskomfort, der den analoger Recorder weit in den Schatten stellt.
Der Punkt ist nur der: Solange der DAT-Recorder nicht jegliches Programm digital aufnehmen bzw. kopieren darf, ist er in seinem Nutzungswert eingeschränkt. Geräte, die das können, gibt es zwar. Sie werden aber weder in Europa noch in Nordamerika im Laden verkauft. Auf Drängen der Plattenindustrie haben fast alle Geräteanbieter auf den CDkonformen 44,1 kHz-Digitaleingang verzichtet und in ihre DAT- Recorder eine Kopiersperre eingebaut. Ein Bauteil schaltet die Aufnahmefunktion des Recorders sofort ab, wenn es Kopierschutz-Codes im zu überspielenden Programm erkennt — was derzeit bei CD der Fall ist, genauso gut aber auch künftig bei Satellitenfunk-Material passieren könnte, dasman mit demselben technischen Trick gegen Kopieren schützen kann.
Benutzen kann man die teuren und vorerst in geringen Stückzahlen importierten DAT-Recorder nur über den „analogen Umweg“ des Verstärkers — mit gewissen Qualitätseinbußen. Es sei denn, man macht sich sachkundig oder läßt vom Fachmann die eingebaute Kopiersperre mit Lötkolben und Kabel überbrücken. Dann nämlich schiebt bei vielen Geräten der Recorder den digitalen Datenstrom auf das winzige Cassettchen, ohne dumm und stumm rumzustehen. Ob und wann das demnächst jedes DAT-Gerät darf oder nicht darf, werden Politiker und Verwaltungsbürokraten entscheiden.
Bislang haben Politiker — die Ministerpräsidenten dieser Republik nämlich — entschieden, daß der anstehende digitale Satelliten-Tonrundfunk nur bis 18 Uhr abends ausgestrahlt werden soll. Was einer Brüskierung nicht nur der Geräteindustrie, sondern mehr noch aller Gebühren zahlenden Rundfunkhörer gleichkommt, denen in ihrer abendlichen Freizeit die Qualitätsvorteile des Digitalfunks vorenthalten werden.
Was das alles für den Musikliebhaber bedeutet, läßt sich kurz so resümieren: Die Zahl der angebotenen Tonträger hat sich binnen weniger Jahre mit den diversen CD-Formaten und DAT verdoppelt. Die Digitalisierung hat einen qualitativen Sprung ermöglicht. Die Zahl der (in Digitalqualität zu empfangenden) Sender wird sich bald verdoppeln, verdreiund verfünffachen! Private und öffentlich-rechtliche Programmanbieter werden in zunehmend harter Konkurrenz weiterhin überwiegend das Musikmaterial ausstrahlen, das die Plattenindustrie produziert. Die zunehmende Zahl der Sender“Schienen“ im Verbund mit der immer perfekteren Übermittlungs- und Aufzeichungstechnik bedeutet möglicherweise ähnlich wie bei der Fernseh- und Video-Industrie, daß der Bedarf an Musikprogramm noch wächst, während gleichzeitig der Verkauf vorbespielter (!) Tonträger zurückgehen oder auf hohem Niveau stagnieren könnte. In den USA praktiziert man darum neuerdings Musikvertrieb schon ganz anders: Der Kunde kommt in den Laden, läßt sich seine aktuellen Lieblingsaufnahmen auf eine Cassette überspielen, die er dann gegen entsprechendes Entgelt mit nach Hause nehmen kann. Die Vision von der Musik-Datenbank, die man anzapft und gegen Gebühr zur Überspielung gewünschter Musik nutzt, nimmt also langsam Konturen an.