Annas Mütter
Der „Fall Bachmeier“ ist vor allem ein Fall für die Medien. Es war schon sensationell genug, daß ein Sexualtäter, der sich hatte kastrieren lassen, erneut ein Sexualverbrechen beging.
Der „Fall Bachmeier“ läuft jetzt auch in den Kinos. Und das gleich doppelt. Auf das Wettrennen um die Gunst des Publikums ließen sich in Hamburg Hark Böhm („Nordsee ist Mordsee“) und in München Burkhard Driest ein. „Der Fall Bachmeier – Keine Zeit für Tränen“ nannte Böhm seinen Film, in dem die Österreicherin Marie Colbin die Hauptrolle spielt. „Annas Mutter“ betitelte Burkhard Driest seinen Film, mit dem er als Regisseur debütiert. Die Hauptrolle spielt Gudrun Landgrebe. die durch „Die flambierte Frau“ über Nacht zum Star geworden war. Hark Böhm, der einmal Strafverteidiger werden wollte, sich dann aber auf das Filmemachen konzentrierte, hatte den Prozeß gegen Marianne Bachmeier als Gerichtsreporter verfolgt. Böhm: „Das geschah in den ersten Lebenswochen meiner Tochter Lea. Ich war ein in Euphorie schwelgender Vater. Ich wollte verstehen, warum eine Mutter den Mörder ihres Kindes tötet. Aber zehn Monate nach der Tat. und ausgerechnet im Gerichtssaal? Das konnte und wollte ich nicht verstehen. Weshalb diese Tat zu dieser Zeit?“
Um Antworten auf diese Frage zu finden, besuchte Böhm Marianne Bachmeier in der Untersuchungshaft. Bei den Dreharbeiten zum Film assistierte Marianne Bachmeier sogar als Beraterin. Doch eine halbdokumentarische Rahmenhandlung, in der sie auch selber auftrat, wurde in die Endfassung des Films nicht aufgenommen. Böhm wollte „unnötige Vorurteile, die durch die bisherige Berichterstattung entstanden sind“, nicht wieder mobilisieren. Deshalb heißt die Hauptfigur in
Hark Böhms Film auch „Marie Seil bach“.
„Keine Zeit für Tränen“ Aber was war das gegen die Tatsache, daß Marianne Bachmeier zehn Monate danach den Mörder ihrer siebenjährigen Tochter Anna im Gerichtssaal mit sieben Schüssen tötete?
Burkhard Driest nannte seine Hauptfigur „Marianne Grünwald“. Auch er hätte gern mit Marianne Bachmeier zusammengearbeitet, aber die wollte von dem vermeintlichen „Vergewaltiger“, der freilich vor Gericht freigesprochen worden war. nichts wissen. Driest. der in seinen bisherigen 24 Drehbüchern immer Männergeschichten erzählt hatte, wollte einmal eine Frauenfigur in den Mittelpunkt stellen. Im „Fall Bachmeier“ sah er den idealen Stoff.
„Ich wollte die Figur im Verhältnis zu ihrer Zeit zeigen, wie sie darauf reagiert, eine Figur, die nicht lockerläßt, die immer wieder sinnlichen Kontakt zum Leben sucht.“
Wie bei Böhm entstehen auch bei Driest die Konflikte daraus, daß Marianne bei ihrem starken Drang zur Selbstverwirklichung (sie macht u. a. eine Kneipe auf) ihre Tochter zwangsläufig vernachlässigt. So wird sie durch den Tod des Kindes völlig aus der Bahn geworfen.
Während die Regisseure in der Öffentlichkeit ihre potentiellen Zuschauer immer wieder aufforderten, sich doch auch unbedingt den Film des jeweils anderen anzuschauen, entschlossen sich die Verleiher dazu, die Filme zwei Monate früher als geplant in die Kinos zu bringen. Hark Böhm machte, zumindest terminmäßig, das Rennen: „Der Fall Bachmeier- Keine Zeit für Tränen“ erschien eine Woche vor Driests „Annas Mutter“ in den Kinos-allerdings mit weniger Kopien.
Marianne Bachmeier konnte an den Premieren nicht teilnehmen – sie verbüßt derzeit ihre Haftstrafe. Ein Gnadengesuch, in dem sie bat, die Reststrafe von vier Jahren auf Bewährung auszusetzen, wurde abgelehnt.