Paul McCartney – Von hinten nach vorne komponiert
Die Wings proben, definitiv. Machen sie es nur aus Spaß, oder bereiten sie eine Europa-Tournee vor? Paul McCartney wollte sich in seinem Exclusiv-Interview für den ME zu diesem Punkt noch nicht festlegen. Also befragten wir ihn zu seiner sensiblen, einfachen, schönen Solo-LP McCARTNEY II und anderen wichtigen Dingen…
Musik Express: Warum hast Du Dich nach zehn Jahren entschlossen, wieder eine Solo-LP aufzunehmen ?
Paul McCartney. Ursprünglich wollte ich nur so aus Spaß Zuhause ein paar Aufnahmen machen; für den persönlichen Gebrauch. Mir fiel wieder ein, wie erholsam es damals war, MCCARTNEY einzuspielen, wie frei ich daran arbeiten konnte. Darum habe ich mich entschlossen, es diesmal ähnlich zu machen, alle Instrumente selbst zu spielen. Nach BACK TO THE EGG, dem letzten Wings-Album, brauchte ich mal einen Wechsel. Ich wollte einiges loswerden und Dinge verwirklichen, die ich auf anderen Alben, glaube ich, bisher nicht gemacht habe.
Musik Express: Es lag also nicht daran, daß die Wings Dich zur Zeit eventuell langweilen oder daß Du unter irgendeinem Druck stehst?
Paul McCartney: Nein, ich stand auch nicht unter Druck. Es ist nur so: wenn du immer mit der Gruppe arbeitest und dann mit Produzenten und Technikern, wird alles so hochgeschraubt und du nimmst die Dinge so ernst, mißt ihnen zuviel Bedeutung bei. Es ist manchmal wie in der Schule, wo du um gute Zensuren kämpfst. Davon wollte ich mich diesmal befreien. Außerdem arbeite ich gern so. Du kannst machen, was du willst; kommen und gehen, wann du willst. Viele Leute hätten keine Lust so zu arbeiten, aber mich erinnert es an die Zeiten, als ich noch mit der Gitarre vor dem kleinen Kassettenrecorder saß und anschließend die Harmonien drauf sang. Ich habe immer gern so komponiert. Von der Möglichkeit, mir eine große Bandmaschine zu mieten, träumte ich schon mit 15. Zweimal habe ich’s auch gemacht: das erste mal für MCCARTNEY und jetzt für diese Produktion.
Für mich ist das ein großes Hobby, darum wäre diese LP auch fast nicht veröffentlicht worden. Es war ein Privatvergnügen. Darum habe ich bei der Produktion auch im Gegensatz zu sonst einiges einfach außer acht gelassen, weil ich mir immer gesagt habe: ,Das macht nichts, das wird ja sowieso keine Platte!‘ Aber dann hat jemand vorgeschlagen, das alles zu veröffentlichen, und ich dachte: .Warum nicht?
Musik Express: Wie machte sich nun der Unterschied zu Deinen sonstigen Produktionen bemerkbar?
Paul McCartney : Alle songs bis auf „Waterfalls“, was ich schon hatte, wurden von hinten nach vorn komponiert. Also anstatt einen Song zu schreiben und ihn dann einzuspielen, nahm ich diesmal zuerst auf und versuchte dann herauszufinden, was für ein Song das eigentlich ist. Ich fuhr mit dem Motorrad ins Studio und nahm irgendetwas auf, was für mein Empfinden gut klang. Eine Drum-Spur, eine Baßlinie meinetwegen oder irgendetwas, was mir an dem Tag Spaß machte, das bildete dann den Rahmenfür den Song. Nach ein paar Tagen habe ich mir’s wieder angehört, ein wenig Gitarre dazu gespielt und schließlich dann Melodie und Text ausgearbeitet. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich sonst tue. So wußte ich nie, wie ein Titel sich entwickeln würde, und das hatte in sich schon etwas Befreiendes. Musik Express: Das Album hört sich an wie eine hervorragende Auswahl von Demo-Bändern. Die direkte Atmosphäre der Au/nahmen blieb erhalten.
Paul McCartney: Ja, wenn du ständig mit stark produziertem, klinischem und hochgestochenem Material zu tun hast, denkst du dir schließlich: .Vielleicht ist das gar nicht mehr das, worauf es ankommt. Vielleicht kommt es mehr auf das Feeling an.‘ Darum habe ich gegen die Technologie gearbeitet, mehr hin zum Gefühl in der Musik. Darum gibt es hier und da ein paar Unebenheiten. Es war schon eine verrückte Art zu arbeiten. Ein Techniker würde mir nicht glauben, wie ich es gemacht habe. 18 Tracks habe ich insgesamt eingespielt, und ich hatte nie den Eindruck, daß es Arbeit war. Das heißt jedoch nicht, daß jedes weitere Album jetzt genauso entsteht Möglicherweise will ich das nächste Mal wieder professioneller arbeiten, denn die Art habe ich jetzt von der Seele und würde nun gerne perfektionieren, was ich auf diesem Album versucht habe. Musik Express: Hast Du befürchtet, daß die Kritiker auf dieses Album negativ reagieren würden ? Paul McCartney: Ja, so war’s. Normalerweise bin ich immer ziemlich ängstlich, wenn ich eine Platte veröffentliche – wegen der Kritiker und ihrer Reaktionen. Ich kenne die guten Passagen dieser LP, aber ich weiß nicht, ob die Kritiker sie ebenfalls schon bemerken, wenn sie das Album die ersten paar Male anhören. Sie beziehen sich ja meistens auf das, was du vor dieser Produktion gemacht hast. Sie können kaum zehn Jahre vorausdenken und sagen, Ja, das war schon ein verrücktes Soloalbum, aber es lief ganz gut.‘ So bist du immer am kämpfen. Ich dachte schon auf die Kritiker, wollte aber, ich täte es nicht. Musik Express: Als bekannt wurde, daß Du ein Solo-Album vorbereitest, gab es die Vermutung, daß dies ein Versuch wäre, den Kritikern mal wieder eine positive Stellungnahme herauszulocken, nachdem sie an den vergangenen zwei Wings-Alben kein gutes Haar gelassen hatten.
Paul McCartney: Oh nein, so steigere ich mich nicht darein.
Als „Hi Hi Hi“ damals nicht gespielt werden durfte und ich danach „Mary Had A lttle Lamb“ veröffentlichte, hieß es: Jetzt macht er Kinderlieder, damit er nicht aus dem Radio verbannt wird. Aber das war nicht der Grund, das gilt auch für dieses Album.
Musik Express: Die Kritiker reagierten negativ auf das Instrumentalstück „Frozen Jap“
Paul McCartney: …yeah, ich verstehe jetzt auch warum.
Musik Express: War das eine unterschwellige Hache gegenüber den Japanern, weil sie Dich einsperrten, nachdem sie Dich mit Drogen erwischt hatten ? Ist das nicht ein wenig rassistisch und beleidigend?
Paul McCartney: Wenn ich versucht hätte, beleidigend zu sein, wäre das bestimmt härter ausgefallen. Ich hätte alles mögliche tun können, hätte einen Text dazu schreiben können. Aber das war nicht meine Absicht. Außerdem ist das auch überhaupt nicht rassistisch. Das Gegenteil ist der Fall, denn ich hatte die Japan-Tour vor mir. Wenn ich rassistisch wäre, wäre ich schon einmal gar nicht nach Japan gegangen. Musik Express: Was meinst Du?
Paul McCartney: Ich habe das Stück im Sommer vergangenen Jahres aufgenommen. Das war also vor meiner Festnahme in Japan. Der Titel hat also nichts mit abfälligen Bemerkungen über Japan zu tun. Es war ein Arbeitstitel. Ich suchte nach einer Zeile, die ähnlich wie „The Frozen Landscape Around Mount Fuji“ klang, um diese Winterpostkarten zu beschreiben. Aber mir fiel nichts entsprechendes ein, darum habe ich mir zur Erinnerung „Frozen Jap“ notiert. Ich habe Jap“ geschrieben, weil wir die Japaner hier so nennen. Musik Express: Du hättest das aber nach Deiner Rückkehr aus Japan ändern können. Du hättest wissen müssen, daß das Ärger gibt.
Paul McCartney: Ich habe es für Japan geändert. Es heißt dort jetzt J^rozen Japanese“. Nach meiner Festnahme veröffentlichte ich die Meldung über mein neues Album zusammen mit einer Aufstellung der Titel. Und was passierte, war, daß eine japanische Zeitung den Titel Jrrozen Jap“ entdeckte, zwei und zwei zusammenzählte und meinte:, Aha, er wurde hier eingesperrt, und er haßt uns, und er versucht uns zu beleidigen.‘ Aber das war beileibe nicht meine Absicht. Wegen dieses Aufschreis habe ich beschlossen, J^rozen Japanese“ daraus zu machen. Naja, ein paar Japaner fühlten sich durch die Bezeichung Jap* getroffen, weil das ein diskriminierender Begriff aus alten Kriegstagen ist. Aber in meinen Augen ist das absolut nichts Verächtliches. Wenn sogar ein Japaner eine Bekleidungsfirma in England aufmacht und das Unternehmen Jap“ nennt, dann schließe ich eigentlich daraus, daß er diesem Wort damit den Stachel genommen hat Aber langer Rede kurzer Sinn, ich habe es geändert. Es sieht zwar nun so aus, als ob ich versucht hätte, etwas Böses zu tun. Es ist eine peinliche Situation für mich.
Musik Express: Wie hast Du eigentlich reagiert, als Du gemerkt hast, daß Du festgenomen warst?
Paul McCartney: Als sie mit den Handschellen kamen, dachte ich ,Diesmal habe ich’s wirklich versaut, ich habe die Familie und die Band mit hinheingezogen.‘ Weißt du, ich habe mein Leben lang eine Menge angestellt, aber diesmal war es nicht so, als ob ich in der Schule für irgendetwas bestraft wurde.
Alles, was mir im Kopf herumging, war: ,Wie kommst du aus der Sache heraus? Die ersten drei oder vier Tage waren beängstigend, weil keiner gern im Knast sitzt. Aber nach einer Weile bemerkte ich, daß jeder Sinn für Humor besaß. Das japanische Gericht ist für uns zunächst unergründlich. Als die Leute aber anfingen zu lächeln und mit mir zu reden, habe ich meinen Humor wiedergefunden und konnte mit den anderen Häftlingen zusammen lachen. Wir haben uns wirklich angefreundet. Es gab tatsächlich Tränen, als ich ging. Musik Express: Das hört sich an, als ob Ihr im Gefängnis gefeiert habt. Ich hörte, Du hast mit ihnen „Yesterday“ gesungen.
Paul McCartney : Ich habe alles gesungen! Und sie sangen „Enka“, einen japanischen Blues, danach sang ich „English Enka“. Es gab schon einige gute Momente dabei und einiges Gelächter. Jetzt erinnere ich mich nur noch daran, den Rest versuche ich zu vergessen. Musik Express: War es nicht ziemlich unverantwortlich, den Stoff mitzunehmen, zumal man Dir früher schonmal aus ähnlichen Gründen ein Visum verweigert hat?
Paul McCartney: Ja, ich weiß! Es war sehr dumm und ich gebe das auch zu. Aber ich bin eben so! Ich mache von Zeit zu Zeit solche verrückten Dinge, fast wie ein Schuljunge. Jeder, der einige Zei mit mir verbringt, wird dir bestätigen, daß ich manchmal so dumm und albern bin. Aber irgendwie ist es das, was mich in Gang hält. Ich bin eben nicht vernünftig. Siehst du, diese Japan-Sache war keine Arroganz meinerseits, es war reine Dummheit, und dazu bekenne ich mich auch. Es hatte definitiv nichts damit zu tun, was die meisten Leute meinten nämlich, daß ich es bewußt gemacht habe, nur weil ich Paul McCartney bin.
Musik Express: Aber genau den Eindruck hat jeder von Dir gehabt, nämlich nur weil er Paul McCartney ist, der Superstar, meint er, daß er durchkommt, wenn er das Zeug mitnimmt. „
Paul McCartney: Ich sage dir: Ich bin nicht mit dieser Einstellung nach Japan gefahren, weil ich ganz einfach nicht der Mensch bin, für den die meisten mich halten. Jeder, der einige Zeit mit mir zusammen ist, wird dir das bestätigen. Aber manchmal haben die Leuten einen falschen Eindruck von mir und das tut mir ein bißchen weh, weil sie mich so kennen sollten, wie ich im wirklichen Leben bin. Musik Express: Einige haben sogar geschrieben, daß Du wegen dieser Arroganz länger im Gefängnis hättest bleiben müssen.
Paul McCartney: Ja, ich weiß. Weil ich Paul McCartney bin, meinten sie, sei ich glimpflich davongekommen. Das liegt an meinem Image. Aber ich kann dir sagen, daß keiner gern im Gefängnis ist, und jeder darum auch versuchen würde, so schnell wie möglich wieder rauszukommen. Die Leute bezogen sich damit auf mein Image, nicht auf mein reales Ich. Sie meinen, daß du ständig nach deinem Image lebst. Aber das kannst du nicht, denn das steigt dir irgendwann zu Kopf unO macht dich verrückt. Ich bin nur glücklich, mein Leben zu leben und Songs zu schreiben. Ich denke nie an dieses Superstar-Image. Ich habe einen ganz normalen Background, diesen normalen Tellerwäscher-Background eben, und da legt man sich keine Allüren zu. Ich wollte nie ein Superstar sein und will auch nicht als größter Songschreiber aller Zeiten“ bezeichnet werden, weil ich meine, daß es da andere gibt, die besser sind. Egal wie berühmt du wirst, du bleibst in deinem Inneren doch derselbe Mensch. Musik Express: Und Du hegst wirklich keine Aversionen gegen Japan ?
Paul McCartney: Nein! Ich würde zurückgehen, wenn sie mich reinlassen würden. Die Wahrheit ist: Ich war wirklich sehr enttäuscht, nicht auftreten zu können. Ich habe nämlich darum gebeten, so etwas ähnliches wie Keith Richards machen zu können. (Keith Richards bekam nach seiner Drogen-Affaire in Kanada bekanntlich die Auflage, ein Wohltätigkeitskonzert für Kinder zu geben. Die Red.) Ungefähr: Ihr habt mich freigelassen, nun laßt mich noch ein Konzert für die Kinder geben ehe wir wegfahren!
Aber wir erhielten keine Erlaubnis dafür. Ich trage es ihnen nicht nach. Im Gefängnis habe ich in der Tat einige großartige Menschen getroffen.