Zu Hause schmeckt’s am besten


Was passiert, wenn einer, der mit seiner Musik für die Unterdrückten Partei ergriffen und für Frieden und Menschlichkeit gekämpft hat, plötzlich weltweit zum gefeierten Superstar aufsteigt? Wird er genauso großkotzig wie die Rockgiganten, die offenbar ohne Rolls Royce-Wagenpark, englische Herrenhäuser und Hollywood-Villen nicht mehr existieren können? Hermann Haring reiste nach Jamaika und schaute nach, was mit Bob Marley los ist, seit er weltweit Goldene Schallplatten kassiert und die Hitparaden anführt.

Hinter dem großen Haus an der Hope Road 56 in Kingston steht der BMW. Den hat Bob Marley schon lange, weil kein Weg daran vorbeiführte: „Car spoke to me“, hat er mal listig gesagt, „BMW – Bob Marley & Wailers!“ Daß dieser Wagen hier steht, ist eigentlich ein Wunder. Denn im Dezember 1976 fielen hier die Schüsse der bis heute nicht gefaßten Attentäter, die Bob Marley töten sollten. Er ging dann, leicht verletzt, ins Exil und lebte fast eineinhalb Jahre lang in London, Miami und on the road. Im April 1978 kehrte er zurück, und seitdem lebt er wieder im Haus an der Hope Road, das früher ein Büro der Plattenfirma Island Records gewesen war und das Island-Boß Chris Blackwell ihm vor einigen Jahren geschenkt hatte.

Die Rastas und die Reggae-Musiker treffen sich hier, klönen miteinander, spielen Fußball und rauchen die großen Kaya-Tüten. Außerdem leben in diesem Haus – neben Bobs Familie und einigen engen Vertrauten – etliche Leute, die einfach jung sind, Jamaikaner und arbeitslos. Bob füttert sie durch. Hier und in der näheren Umgebung soll es rund 30 von ihnen geben. Them belly full, but we’re hungry – Bob nimmt ernst, was er mal gesungen hat.

Als ich zur Hope Road komme, sitzt der Rastaman mit seinem Sohn, mit dem Reggae-Star Big Youth und noch ein paar anderen Freunden auf der Treppe vorm Haus und ißt aus einer Pappschachtel. McDonalds auf jamaikanisch könnte das sein, oder eher ein Salat, denn Marley ernährt sich ja vorwiegend vegetarisch und gesund. Ihm schmeckt es jedenfalls, und er ist auch sonst bester Laune, lacht viel, freut sich über unseren Besuch. Ich habe ihn noch nie so gelöst erlebt wie an diesem Tag.

Bob Marley lebt in Frieden mit seiner Umwelt, denn die hat ihn wieder aufgenommen. Damals, als er im Exil war, schworen sogar die Taxifahrer auf Peter Tosh, weil der im Lande geblieben war und sich als Straßenkämpfer von der Polizei verprügeln ließ. Jetzt aber singen sie selbst in den Ghettos wieder Marleys neuen Song „Rastaman Live Up“, der auf Platz eins der jamaikanischen Hitparade steht. Diese Single gibt es nirgendwo sonst auf der Welt ein echter roo/s-Song, der kaum etwas mit Platten wie „Kaya“ oder „Babylon By Bus“ und sehr viel mit frühen Wailers-Alben wie „Catch A Fire“ gemein hat. Bob Marley hat auch musikalisch seine Wurzeln wiedergefunden. Zwar wohnt er uptown, dort, wo Kingston fast schon wieder wie eine normale Stadt aussieht, aber die Wellblechhütten sind nicht weit entfernt,und der Wind trägt oft Staub von dort herüber.

Einen Teil des Geldes, das Bob in jüngster Zeit verdient hat, hat er in ein eigenes Aufnahmestudio gesteckt. Auch das Studio liegt im Haus an der Hope Road, und deshalb spielen unter und zwischen der teuren Elektronik auch Kinder. Am Mischpult sitzt übrigens ein freundlicher Junge aus Indonesien, den Bob als technischen Leiter eingestellt hat und der lächelnd zugibt, daß es ihm zwischen all den Rastas an nichts fehle. Marleys nächste LP ist hier bereits in Arbeit, und der Produzent ist ein Weißer – Alex Sadkin. Er hat die jüngste Third World-LP unter Dach und Fach gebracht, und mit Marley verkuppelt hat ihn Chris Blackwell. Blackwell, selbst gebürtiger Jamaikaner, setzt auf die kreative Kraft kultureller Konfrontationen – der renommierte Jamaikaner Karl Pitterson produziert just zur selben Zeit auf den Bahamas die neue LP von Blackwell-Schützling Robert Palmer.

Es gibt noch einen Platz im Haus an der Hope Road, an dem man Marleys Tantiemen wiederfindet. In einem Anbau nämlich ist ein brandneuer Plattenladen entstanden. Hier verkaufen Bob Marleys Angehörige Bob Marleys Platten. Außerdem auch noch die Scheiben anderer Interpreten des Tuff Gong-Labels, das Bob gehört. Und schließlich auch die aktuellen Hits aus den jamaikanischen Chartssowie T-Shirts, Rasta-Anstecknadeln und einige Paar ziemlich geschmackloser Schuhe. Als ich mich hier umschaue, fällt mir ein, daß ich eigentlich mal wieder bei Rod Stewart in Londons Gasoline Alley Fish ’n‘ Chips kaufen müßte. Aber im Ernst: die Sache mit dem Plattenladen hat in Jamaika Tradition. Erfolgs-Produzent Joe Gibbs zum Beispiel hat mitten in Kingston ein großes Geschäft, und Big Youth verkauft seine Scheiben höchstpersönlich in einem kleinen engen Laden in einer Seitenstraße. Falls sich also jemand für „Rastaman Live Up“ interessiert: schickt doch einfach drei US-Dollar für Platte und Porto in einem dicken Brief an Tuff Gong International, 56 Hope Road, Kingston 6. Jamaika. Ich weiß nicht, ob das klappt. Vielleicht klaut jemand bei der Post das Geld, oder die Rastas verstehen nur Bahnhof und besorgen sich für die drei Scheine ’nen dicken Joint. Aber vielleicht schicken sie euch auch ’ne tolle Platte.