Ramones: Vier Teddybären von der Müllkippe


Amerikas beste und erfolgreichste Punk-Band hat sich immer noch nicht bis nach Deutschland getraut. England war bislang stets die europäische Endstation für die Ramones. Aber dennoch sprießen auch hierzulande ihre Fans scharenweise aus den Großstadt-Gullys. Vielleicht, weil die Ramones die ganze Punk-Bewegung nicht so verbissen sehen wie manche ihrer englischen Vettern und nie vergessen, daß Rockmusik eine Menge mit gewitzter Unterhaltung zu tun hat. Oder anders gesagt: Johnny, Joey, Dee Dee und Tommy Ramone kommen aus Amerika, und da sind die Beach Boys nie weit.

Die Ramones haben nie einen Hehl daraus gemacht, wem sie sich verbunden fühlen. Nicht Peter Frampton, nicht den Disco-Brüdern, nicht den Luftschmitzen und all den anderen Gewitterfliegen, die Amerika in den siebziger Jahren unsicher gemacht haben. Sondern dem unverfälschten, aufregenden Power-Pop der frühen sechziger Jahre, wie er sich in immergrünen Songs wie „Let’s Dance“, „California Sun“, „Do You Wanna Dance“ oder „Surfing Bird“ ausdrückt. Und siehe da, genau diese vier Titel gehören auch zum festen Repertoire der Ramones und tauchen auf ihren drei bislang eingespielten LP’s auf. Allerdings haben sie sich etwas verändert: Die Texte werden nicht gesungen, sondern nuschelig hingerotzt, an den Rhythmus hat jemand einen Raketentreibsatz gehängt, und die Gitarren scheppern wie eine Herde blechener Mülltonnen, die ein Verstörter zur Kippe treibt.

Damit dürfte wohl endgültig klar sein, daß die Ramones keine Beach Boys-Revival-Band sind, sondern waschechte Schmuddelkiner aus dem New York der späten siebziger Jahre. Die „Ramona“ von der sie auf ihrer dritten LP berichten, ist daher auch kein Petting-Mädchen, mit dem man an lauen Sommerabenden im Cabriolet in die Hügel hoch über dem Strand von Malibu fährt. Nein, diese Ramona drückt sich auf einer Zeichnung auf dem Innencover an einer Hausecke herum, umgeben von Ruinen mit abbröckelnden Mauern und zugepappten Fensterhöhlen. Solch drastische Bilder aus dem New Yorker Alltag (nur ARD-Mann Werner Becker sieht das in „New York, New York“ immer ganz anders) durchziehen fast alle Songs der Ramones: „Yeah, I Wanna Be Well. LSD, golly gee, DDT, wowee!“ brüllt da ein Mann im besten Alter, während Jackie und Judy nach Frisco abhauen, um sich einer Terroristenorganisation anzuschließen („Judy Is A Punk“).

In „Havana Affair“ freut sich ein Zeitgenosse, daß er für sein Vaterland („Horray for the USA!“) als CIA-Mann ein paar schmutzige Aufträge in Kuba erledigen darf. Der Song „53rd & 3rd“ erzählt von einem Massenmörder, der mit der Rasierklinge an der Straßenecke lauert und für seinen Job bestens ausgebildet wurde: „I was a Green Baret in Vietnam…“ Mit abgrundtiefem Humor schließlich demontieren die Ramones das Klischee von der glücklichen amerikanischen Mittelstandsfamilie, die das Fernsehen in unzähligen Serien hochleben läßt: „We’re a happy family“, singen sie, „me, mom and daddy, sitting here in Queens“. Und dann kommt’s raus, fällt die Maske: Daddy lügt und liebt Männer, das Baby frißt Fliegen, die Mutter schluckt haufenweise Pillen, und die halbwüchsigen Kinder verkaufen Daddy’s. Hasch-Vorräte, um an Geld zu kommen.

Wie also hält man sich in solch einer Umwelt über Wasser? Klar doch: man versucht, trotzdem noch ein bißchen Spaß zu finden, ehe alles in Trümmer fällt: „Chewing out a rhythm on my bubble gum, the sun is out and I warn some“, heißt es in „Rockaway Beach“, einem der besten Ohrwürmer der Ramones. Das ist die Überlebensphilosophie der Großstadt-Kids, und daß sie von den Ramones richtig formuliert wird, zeigt ihr rasch waschender Erfolg. Ihr erstes Album („Ramones“) erregte nur in New York größeres Aufsehen. Ihr zweites („Leave Home“) steckte bereits die Nase in die US-Hitlisten. Ihr drittes („Rocket To Russia“) warf zwei Hitsingles ab, kletterte bis Platz fünfzig und wurde rund 300.000mal verkauft.

Die Zeit ist reif für vier Jungs aus New York, die so lieb und gammelig aussehen wie Teddybären von der Müllkippe. Mit ihrem Schlachtruf „Gabba, Gabba, hey!“ werden sie hoffentlich auch bald bei uns auftauchen, um die Leute in wahre Pogo-Exzesse zu treiben. Stoppen kann die Ramones ohnehin niemand mehr, weil sie einfach zu gut sind. Ihre Musik ist ein Spiegel ihres und unseres Lebens, ihre Songs haben Charme, sind einfach, aber nicht simpel, und gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Wer „Rockaway Beach“ oder „Sheena Is A Punk Rocker“ einmal ohne Vorurteile hört, wird spüren, wie lebendig der urwüchsige, ehrliche Rock hier ist. Die Ramones sind ein echtes Ding und nicht aus Plastik wie so vieles, was aus den USA kommt.