Serie Jugendkriminalität


Diese Serie basiert auf Interviews mit jugendlichen Straftätern. Namen, Ort und Zeit wurden von der Redaktion bewußt geändert, um die Anonymität zu erhalten.

Peter steht an der Theke und stiert stumpfsinnig in sein Bierglas. Muffig wie immer war er aus der Werkstatt nach Hause gekommen, hatte seine Tasche in die Ecke geknallt und mürrisch sein Abendbrot runtergeschlungen. Wie immer fiel die Gabel klirrend auf den Tisch, als seine Mutter ihn bat, erstmal das dreckige Arbeitszeug auszuziehen (er kam immer so nach Hause), ehe er sich an den Tisch setzt. Obwohl er weiß, daß es wieder ein Heidentheater gibt, wenn sein Vater das Chaos entdeckt, schmeißt er sein Zeug in die Ecke, reißt irgend etwas aus dem Schrank, zieht sich um und verschwindet wieder in Richtung Kneipe. Seine Mutter indes macht sich wieder auf einen tobenden Familienvater gefaßt, dem es trotz aller Strenge aber auch nicht gelungen ist, den 17jährigen Sohn von seinen abendlichen Sauftouren abzuhalten.

Heute morgen war es mal wieder soweit. Peters Meister hatte provozierend auf die Uhr gesehen, als der verschlafen an seinem Arbeitsplatz erschienen war. Der Anpfiff war böse: „Du kannst dich darauf verlassen, morgen ist ein Brief bei deinem Vater! Du kannst sehen, wo du deine Lehre weitermachst. Hier herrscht Ordnung!“ Er hatte noch irgend etwas von Unzuverlässigkeit und Aufsässigkeit gemurmelt, und Peter hat gekocht, den ganzen Tag. „Werkzeugmacher, Scheiße! Was kann ich dafür, wenn mich mein Alter nach der Schule in irgendeinen Betrieb steckt. Selbst Schuld, wenn ich nicht so klarkomme, wie er sich das vorstellt“. Peter grübelt noch immer über seinem Bier. Wütend, wenn er an das Theater zu Hause denkt und wütend darüber, daß er sich nicht widersetzen kann, daß er seine Meinung nicht vertreten kann. Die Ohrfeigen für seine Widerworte hatte er eines Tages satt gehabt, also demonstriert er seine Ablehnung nur noch durch passive Aufsässigkeit und totale Unzugänglichkeit.

Der erste Schlag

Selbstmitleid, Wut über die anderen und sich selbst bringen ihn innerlich wieder zum Kochen. Er faucht nach seinem Schnaps, den er vor einigen Minuten bestellt hat. „Wohl wieder gute Laune, wie?“ grinst ihn sein Nachbar an. Peter kann den Typen nicht leiden. Sein Selbstbewußtsein geht ihm an die Nieren. Wie kann ein Mensch nur so selbstsicher sein! Und die dämlichen Weiber lassen sich natürlich gerne von diesem Affen anmachen . . . „Halt die Fresse,“ brummt er, beugt sich wieder über sein Glas. Doch der Typ ist sauer. „Nimm dich zusammen,“ sagt er und packt Peter am Arm, und der schlägt zu. Blind vor Wut prügelt er auf ihn ein. Das war der erste von vielen unbedeutenden Anlässen, bei denen Peter unter Alkoholeinfluß die Kontrolle über sich verlor und seine Aggressionen ablud. Das war auch die erste Begegnung mit der Polizei. Er hatte nämlich gefährlich zugeschlagen. Der Junge lag blutend auf dem Boden, unfähig aufzustehen.

Peter stand schockiert und fassungslos daneben. Polizei, Krankenwagen – all das bekam er nur wie in Trance mit. Auf dem Polizeipräsidium saß er noch immer schweigend und stierte vor sich hin, unfähig sich zu erklären, sich zu rechtfertigen. „Verstockt und trotzig“ hieß es später.

Vor dem Jugendrichter war es später immer dasselbe. Peter stand da wie ein geprügelter Hund, brachte keine Entschuldigung und keine Erklärungen für sein Verhalten heraus. Finster dreinblickend hörte er nur immer wieder dieselben Ausführungen an sich vorbeirauschen: Familie, Jobs, Arbeitslosigkeit…

Anpassungsschwierigkeiten

Peters Eltern stammen aus Rumänien. Mit ihren drei Kindern, Peter ist der Jüngste, lebten sie sechs Jahre lang in einem Aufnahmelager in einer Kleinstadt. Peters Vater, ein jähzorniger Pedant, konnte fürchterlich explodieren, wenn seine Kinder keine akkurate Ordnung hielten. Dann gab es Prügel. Die gab es sowieso ziemlich oft. Peter entwickelte sich im Gegensatz zu seinen äußerst kontaktfreudigen Geschwistern zu einem verschlossenen Außenseiter, der wie es heißt „immer wie das wandelnde schlechte Gewissen umherschlich.“ Im Grunde genommen hatte er jedoch nur ständig Angst vor neuen Schlägen und davor, schon wieder etwas falsch gemacht zu haben – sein Vater war da unberechenbar. Kontaktund Anpassungsschwierigkeiten hatten ihm schon als Kind zu schaffen gemacht. Nach der eher schlecht als recht durchkämpften Schulzeit hatte sein Vater kurz entschlossen die Initiative ergriffen und ihm eine Lehrstelle besorgt. Diskussionen gab es nicht. Peter war vor lauter Minderwertigkeitskomplexen sowieso nicht in der Lage, seine Meinung zu vertreten, lief meist verschlossen und finster dreinblickend umher und wirkte dadurch immer verstockt und aufsässig. Auch zu Hause mußte man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. Er fraß seinen Unmut täglich in sich hinein, und wenn sich wiedermal genug Wut aufgestaut hatte, genügten ihm ein paar Flaschen Bier, um sich die Aggressionen von der Seele zu prügeln.

Endlich Freunde

Drei Jahre lang lief es bei Peter so; Verschiedene Jugendstrafen wegen schwerer Körperverletzung, schlaffe Versuche, in einem neuen Job klarzukommen, Kündigung, Terror zu Hause, wo er oft untätig herumlungert> neue Schlägereien, Jugendstrafe und so weiter.

Und dann schien plötzlich alles bestens zu gehen. Ein Freund seines Vaters brachte ihn nach der letzten Haftverbüßung in einer Schiffswerft unter. „Den Umständen entsprechend gefiel es mir doch ganz gut,“ erklärt Peter. „Zum erstenmal habe ich dort auch Kontakt gefunden. Ich habe mich mit Kollegen angefreundet und abends getroffen.“ Peter lächelt ein wenig schief: „Wirgingen immer in eine Diskothek, da habe ich auch meine Frau kennengelernt – meine geschiedene Frau, besser gesagt.“

Peter wird Familienvater

Susanne hieß sie und arbeitete als Helferin in einem Kinderheim. „Meine Eltern waren unheimlich froh, daß ich jetzt endlich jemanden hatte, ich mußte sie immer mit nach Hause bringen. Als sie mir sagte, daß sie ein Kind bekommt, habe ich mich richtig gefreut. Auch meine Eltern haben komischerweise kein Theater gemacht. Sie haben eine riesige Hochzeitsfeier veranstaltet und meinten, ich hätte jetzt endlich Halt gefunden.“

Als das Kind kam, war Peter 20, seine Frau ein Jahr älter. Peter sonnte sich einige Wochen lang in seiner Rolle als Familienvater, war dem ganzen Drum und Dran aber nicht gewachsen. Geldprobleme, die Belastung, Verantwortung zu tragen – das war alles noch nichts für ihn. Seine Kneipenbesuche wurden regelmäßiger, da gab es plötzlich auch noch andere Mädchen, und die ganze Familie konnte ihn mal, ebenso der Job. . . Eines Tages hatte Susanne die Koffer gepackt und war mit dem Kind ausgezogen. Die Scheidung ging schnell über die Bühne.

Rückfall

„Vielleicht besucht sie mich mit dem Kind doch einmal hier,“ hofft Peter. „Hier“ ist die Haftanstalt. Dieses neue Versagen hatte er nicht mehr verkraftet. Sinnlos betrunken hatte er eines Abends wieder einmal um sich geschlagen. Er war regelrecht Amok gelaufen. Als ihn die Beamten festnahmen, hielt er ein Messer in der Hand. „Ich wollte nicht zustechen,“ beteuerte er, doch das hatte ihm vor Gericht niemand abgenommen -„immerhin war er als gefährlicher Schläger mehrfach vorbestraft…