Schlechter Filmjournalismus ist der Grund, warum Superhelden-Filme uns alle nerven
Superhelden-Filme nerven. Und dass, obwohl eigentlich gar nicht so viele von ihnen im Kino laufen. Das Problem ist die permanente Berichterstattung zum Thema. Täglich gibt es Nachrichten, obwohl es eigentlich kaum etwas zu berichten gibt. Webseiten müssen damit aufhören, sich wie Marketing-Agenturen zu verhalten.
Ende Juli fand in San Diego die Comic Con statt, auf deren größter Bühne die verantwortlichen der Marvel-Filmproduktion ihre kommenden Superhelden-Filme vorstellten. James Gunn, Regisseur von „Guardians of the Galaxy“ und dem 2017 erscheinenden Nachfolger, saß dort auf der Bühne und sprach über seinen Film.
Dass es sich bei „Guardians of the Galaxy Volume 2“ um seinen Film handelt, ist an dieser Stelle besonders wichtig, denn es passierte Folgendes: Gunn erzählte ganz selbstverständlich, wen Kurt Russell im neuen Film spielen würde. Die Anwesenden freuten sich über die Info, im Netz – wo der Hype um die Comic-Verfilmungen am größten ist – waren viele Marvel-Fans empört. Sie fühlten sich gespoilert. Gunn hätte doch bitte weniger über seinen Film reden sollen.
Der Regisseur antwortete auf Facebook mit branchenunüblich ehrlichen Worten. Die Kurzfassung: Er kritisierte, dass jede Information zu einem Film zu einem wichtigen Spoiler hochstilisiert würde und griff im gleichen Text Teile der Filmjournalisten an, die über Superhelden-Filme berichten. Er habe lieber selbst die Kontrolle über Informationen zu seinem Film; wolle nicht ständig Gerüchte und vermeintliche Enthüllungen dazu im Internet lesen. Er kreidet einen Journalismus an, der von Scoops über Plot-Details und Charaktere aus den Comic-Verfilmungen lebt.
Über Gunns ersten Punkt, die weit verbreitete Spoiler-Panik, wurde schon oft geschrieben. Es ist ein Phänomen, das dafür sorgt, dass jedes winzige Story-Detail einer Serie oder eines Films verschwiegen werden muss, damit bloß niemandem der Spaß verdorben wird. Trotzdem sollen Headline oder Teaser zum anklicken und weiterlesen motivieren – schließlich will man wissen, wer überraschend wieder auftaucht oder stirbt. Bei Superhelden-Verfilmungen sind Spoiler-Phänome und Sensationsgier besonders extrem ausgeprägt. Und genau das führt zu Gunns zweitem Punkt: der inhaltslosen Sensations-Marketingmaschine, zu der sich große Teile des Filmjournalismus entwickelt haben.
Superhelden-Filme sind seit einigen Jahren Gold für Filmstudios. Die Kinos sind voll; egal ob ein Film gute oder schlechte Kritiken bekommen hat. Zwar gibt es wenige Ausnahmen, aber neben „Star Wars“ und Animationsfilmen sind Captain America und Batman die Pferde, auf die sicher gesetzt werden kann.
Die Zuschauer lieben die Helden spätestens seit Marvels Einstieg in die Filmbranche – der Hype war geboren. Und auf den sprangen Filmwebsites natürlich auf. Und warum auch nicht? Trailer und wirklich spannende Enthüllungen zu der aktuell beliebtesten Action-Gattung werden ja regelmäßig veröffentlicht, im Schnitt alle paar Wochen. Das Problem: Es wird nicht wöchentlich über Superhelden-Filme berichtet, sondern täglich. Auf manchen Seiten im Stundentakt.Und das größtenteils mit unterirdischem Informationsgehalt in auffällig langen Texten. Als „The Avengers: Infinity War Part 1“ (so hieß das Projekt seit zwei Jahren) vor wenigen Tagen in „The Avengers: Infinity War“ umbenannt wurde , gab es einen reflexartigen News-Sturm in der Facebook-Timeline eines jeden Filmfans:
„Marvel verkündet offiziellen Titel zu ‚Avengers 3‘“
Filmstarts.de
„‚Avengers 3‘: Disney ändert Titel – und auch die Handlung?“
Osnabrücker Zeitung (zur Handlung gab es natürlich keine neuen Infos)
„Neue Filmtitel für die ‚Avengers‘-Fortsetzungen“
Huffington Post
Die Liste lässt sich um etliche Beispiele fortsetzen. Man muss sich vor Augen halten, dass hier ein schnödes „Part 1“ gestrichen wurde – mehr wurde nicht bekannt. Der Film startet übrigens erst im Sommer 2018 in den Kinos. Aber nahezu jede neue Info aus dem Universum der Comic-Verfilmung wird aufgegriffen und zur großen Geschichte aufgebläht. Im Zweifelsfall wird auf Facebook auch gern mit Clickbait-Überschriften – beispielsweise „Das ändert sich bei den ‚Avengers‘“ – gearbeitet, die suggerieren, dass es sich ja eventuell doch mal um eine tragende Nachricht handeln könnte.
Vermeintliche Filmjournalisten, die hauptsächlich über die ganz großen Produktionen berichten, und die Plattformen, die die entsprechende Zuschauerschicht bedienen, haben sich durch das Prinzip der lückenlosen Berichterstattung über Superhelden-Filme, die sich ursprünglich mal aus neu erwecktem Interesse an dem Sub-Genre speiste, in eine außergewöhnliche Spirale begeben.
Da die meisten Superhelden-Filme in der Tat ordentliches bis herausragendes Actionkino bieten, ist ein Grundinteresse der Leserschaft und Kinogänger permanent vorhanden. Der (teilweise unerträgliche Superhelden-)Hype entsteht dann allerdings dadurch, dass diesem Klientel jedes annähernd relevante Zitat, jedes noch so absurde Gerücht aus dem Comic-Kosmos, als belangloser Text hingeworfen und dazu noch als News verkauft wird.
Inhaltslose Meldungen über hanebüchene Gerüchte
Die Big-Player der Filmberichterstattung sind zuerst in den USA und mit etwas Verzögerung auch in Deutschland scheinbar zum verlängerten Arm der Marketingabteilungen von Disney, Marvel, Fox und Warner geworden – den Unternehmen, denen die Rechte an den Superhelden auf der Leinwand gehören. „Batman V Superman“ war ein furchtbarer Film? Egal: Nahezu inhaltslose News über absurde Besetzungsgerüchte und vermeintliche Handlungsdetails der kommenden Fortsetzung werden trotzdem in fleißiger Routine präsentiert – gibt ja genug Fans, die immer wieder auf Überschriften reinfallen. Und dann drei Absätze über ein Superhelden-Poster bestaunen, das nicht mehr als das Logo eines Films zeigt, der in einigen Jahren erscheinen wird.
Hauptsache der Hype hört nicht auf, auch wenn man als berichtende Kulturpresse im Sinne der Klickzahlen immer mal wieder zum Marketing überläuft. Wäre der Comic-Hype ein Zirkus, die größten deutschen Filmseiten wären die Typen, die für die Plakate in der Stadt zuständig wären.
Eine absurde Blüte dieser Berichterstattung war zuletzt eine vermeintliche Meldung zu „Guardians of the Galaxy Volume 2“, dem eingangs erwähnten Film von James Gunn. Im Cosmos der Marvel Superhelden gibt es magische Steine, die hier und da mal wieder auftauchen. In Gunns Film werden sie jedenfalls keine Rolle spielen und sind also kein Thema. Es sei denn, man macht eines daraus. Aus dem Zitat des Regisseurs „In meinem Film kommen keine Infinity Stones vor“ wurden unter anderem folgende Meldungen:
„‚Guardians of the Galaxy 2‘ – James Gunn verrät, ob Infinity-Steine vorkommen“
Moviepilot.de
„‚GOTG 2‘-SPOILER IST KEINER, KEINE ‚INFINITY‘-VERBINDUNG + ‚AVENGERS‘-UPDATE“
Moviejones.de
„Keine Infinity-Steine in ‚Guardians Of The Galaxy 2‘: James Gunn will eigenständige Geschichte erzählen“
Filmstarts.de
Superhelden-Filme nerven. Und dass schreibt gerade jemand, der sie sich wirklich gern anschaut. Es sind qualitativ hochwertige Blockbuster, die gewiss nicht in zu hoher Zahl im Kino erscheinen – es sind weniger als ein Dutzend im Jahr. Man muss nur belanglose französische Komödien als Vergleichsgröße nehmen, dann bemerkt man schnell, dass die Summe der Filme nicht das eigentliche Problem ist.
Der Grund, warum die Helden mittlerweile sogar Blockbuster-Fans nerven, ist die Allgegenwärtigkeit des Themas in der Branche. Und diese wird eben nicht nur durch das Marketing der Studios befeuert, sondern auch durch News-Seiten, die „Wird das in zwei Jahren vielleicht der nächste Batman-Bösewicht?“ als Nachricht ins Internet und durch die sozialen Netzwerke jagen. Im Stundentakt und mit minimalem Inhalt – und damit ein eigentlich faszinierendes Sub-Genre langsam in Verruf gebracht haben.
Professionelle und mit hohem Aufwand gedrehte Filme, und das sind die Comic-Verfilmungen definitiv, verdienen auch eine ebenso professionelle Berichterstattung. Wenn es diese gäbe, wenn der ganze Hype ein wenig zurückgefahren würde, dann müsste James Gunn vielleicht nicht seinen eigenen Film spoilern und wir könnten uns in den Monaten zwischen den Batman- und Thor-Kinostarts vielleicht auch wieder besser über andere Projekte informieren.