Smudo


Volldampf voraus München, Arabella Hotel, Zimmer 204: Smudo begrüßt uns barfuß an der Zimmertür. Auf dem ungemachten Doppelbett liegen stapelweise Zeitschriften, auf dem Fußboden verteilen sich die Klamotten, und vor dem Fenster steht eine geöffnete Reisetasche. Der Fantastische Rapper hat sich beim Tournee-Zwischenstopp an der Isar für 24 Stunden häuslich eingerichtet — und erweist sich als geradezu vorbildlicher Gastgeber: Auf einem Tisch hat er Kaffee und Gebäck bereitstellen lassen. Dann aber wird’s leger. Im Schneidersitz pflanzt Smudo sich auf das kleine Hotelsofa. Während der nächsten Stunde rudert der notorische Schnellredner ununterbrochen mit Händen und Füßen. Dabei spricht er beinahe ohne Punkt und Komma.

Hallo, Herr Popstar…

Ja, ähh, bin ich das?

Läßt sich wohl nicht leugnen. Woll- test du immer schon Popstar sein?

Nein. Doch. Ich wollte reich und berühmt werden, das wollten wir alle vier. Wie jede Band, die im Proberaum anfängt, wollten wir ganz groß rauskommen, wahnsinnig viele Platten verkaufen, dicke Autos fahren und viele Mädchen haben.

Das ist euch ja gelungen. Seid ihr jetzt zufrieden?

Natürlich ist in Wirklichkeit alles ganz anders, als man es sich in seinen Träumen vorstellt. Aber vieles von dem, was wir wollten, haben wir erreicht. Unsere Devise lautet: Immer in Bewegung bleiben, trotzdem andere Perspektiven suchen und finden und daran Spaß haben.

Ihr seid im Laufe eurer Karriere immer wieder hart kritisiert worden, sei es durch Kollegen oder die Medien.

Das ist richtig, aber das hat uns eigentlich nur angestachelt. Wenn solche Reaktionen auf deine Arbeit kommen, dann packt dich auch der Ehrgeiz. Man sagt sich: Jetzt mach ich’s nochmal besser oder anders.

Zum Beispiel nach „Die da“. Ja, das ist ein Parade-Beispiel. Für uns war das damals verdammt dünnes Eis. All die Dinge, die mit dieser plötzlichen Popularität einhergingen, waren für uns neu. Und wir haben den Fehler gemacht, bei den Anfragen der Medien nicht genug auszusieben. Daß wir so in dieser Bonbon-Image-Ecke gelandet sind, dafür sind wir sicher auch selbst ein Stück mitverantwortlich.

Ihr habt für „Die da“ damals mächtig Tantiemen zurückzahlen müssen.

Ja, ohoho, reichlich. HipHop arbeitet nun mal mit Samples, die ja so eine Art Fotokopien musikalischer Elemente sind. So etwas spielt immer auch in den Bereich des Illegalen. Die Leitmelodie von „Die da“ haben wir einer Single des indisch-britischen Popsternchens Asha Putli entnommen. In diesem Song, einer Coverversion des J.J. Cale-Titels „Right Down Here“, tauchte also die fragliche Melodie auf. In Cales Original hingegen nicht. Deshalb dachten wir, daß die Melodie eine eigene Interpretation von Asha Putli ist. Da sie bei der gleichen Plattenfirma war wie wir, glaubten wir, daß das keine große Affäre ist. Daß wir damit das Urheberrecht von J.J. Cale verletzen, war uns gar nicht klar.

Wie kam es, daß ihr zahlen mußtet?

Es gibt dieses Gerücht, daß der Musikredakteur eines bekannten Magazins, der uns ultraschlecht findet, bei Cales Musikverlag Wamer/Chappell angerufen hat und die mit der Nase auf diese Sache gestoßen hat. So kam alles ins Rollen, am Ende mußten wir über die Hälfte der Autorentantiemen des Musikanteils für „Die da“ an Warner/Chappell zahlen. Wie gesagt, das ist ein Gerücht.

Chuck D hat den Rap einmal als „CNN der Schwarzen“ bezeichnet. Was macht ihr hier in Deutschland – Hans Meiser oder Schreinemakers?

(lacht) Dann schon eher Meiser. Im Ernst: Das ist genau die Stelle, wo US- und deutscher HipHop sich trennen. In Amerika gibt es eine Black Community, und deren kulturelle Äußerungen wie der Rap sind nun mal grundsätzlich gegen das weiße Establishment gerichtet. Wir haben Gesprächspartner: I woitgang Hertel, Ernst Hofacker hier keine Black Community. Und wir sind nicht schwarz. Deshalb übernehmen wir als Rapper die Euro-Punk-Attitüde, richten uns also nicht gegen das weiße Establishment, sondern das Establishment allgemein. Bezogen auf die Bemerkung von Chuck D. würde ich sagen: Wir sind im TV der „Offene Kanal“.

Aber in Euren Texten bezieht ihr kaum Stellung gegen das System.

Nicht gegen das System, gegen das Begriffs-Establishment. Ich stelle mich nicht auf die Bühne und sage: „Geht auf die Straße gegen den Castör“, was bestimmt keine schlechte Idee wäre. Politik interessiert mich nicht, ich verstehe nicht viel davon. Wir treffen keine Liedermachermäßigen Aussagen über Politik, bei uns ist das eher so eine Freidenker-Pose. Wir wollen den Kids sagen: Befreit euch von Gruppendenken und Gruppenzwang, denkt selbständig, trefft eure eigenen Entscheidungen. Macht nicht immer alles nach, was euch als cool erscheint.

Ist es nicht ein bißchen naiv zu glauben, daß alle Fans so selbständig sind? Als Popstars habt ihr schließlich eine Leitbildfunktion.

Natürlich klingt das pathetisch: Freidenken – mach‘ dich locker. Ich muß zugeben, daß diese Message nur bei einem sehr geringen Teil unserer Zuhörer so verstanden wird. Das weiß ich aus vielen Gesprächen.

Stiehlst du dich da nicht aus der Verantwortung, die du als Popstar gegenüber deinem Publikum hast?

In gewisser Weise stehle ich mich tatsächlich aus der Verantwortung. Denn diese Verantwortung interessiert mich bei dem, was ich künstlerisch mache, nicht. Dann hätte ich ja eine Schere im Kopf und dürfte einiges nicht sagen, weil ich dann Angst haben müßte, daß sich aufgrund meiner Texte irgendein Zuhörer aus dem Fenster stürzt.

Wir haben fast fünf Millionen Arbeitslose. Sollten deutsche Rapper zu diesem Thema mal etwas sagen?

Das ist irgendwie nicht unser Ding. Ich finde es reizvoller, beim Menschen selber anzusetzen. Vielleicht klingt das jetzt ein bißchen arrogant und naiv, aber ich meine, daß es einem Arbeitslosen mehr hilft, wenn ich ihm zeige, wie die Philosophie in unserer Band funktioniert. Wenn ich ihm sage: Bring dein Ying und Yang ins Gleichgewicht, dann kannst du besser für deine Interessen kämpfen. Außerdem kommt hinzu, daß ich das Problem der Arbeitslosigkeit nicht nachempfinden kann, da ich keinen einzigen Arbeitslosen kenne.

Was kannst du denn nachempfinden?

Zum Beispiel Alkoholprobleme. Meine Mutter ist Alkoholikerin. Sie wurde mehrfach therapiert, hatte Rückfälle und ist heute ausgebildete Suchthelferin. Wir mußten in unserer Familie lernen, mit diesen Dingen umzugehen. Und dafür bin ich sehr dankbar. Das ist ein Thema, über das ich reden kann. Auch wenn ich selbst keine Drogen nehme, nur jede Menge Kaffee.

Nimmst du wirklich keine Drogen?

Keine harten Drogen. Und ich kiffe auch nicht mehr so viel. Wenn ich nüchtern bin, habe ich das Paradies in meinem Kopf. Dann brauche ich keine Drogen mehr.

(das mesounds interview)

Sind deine Eltern heute stolz auf dich?

Heute schon, aber das mit meiner Musik gab zunächst natürlich ziemliche Probleme. Mein Vater ist Programmierer, und ich habe schon als Teenager mit ihm zusammen am Computer gesessen, wo er mir das Programmieren beigebracht hat. Nach dem Zivildienst wollte ich dann eine Ausbildung als Informatiker mit Schwerpunkt Wirtschaft beginnen. Aber genau zu dieser Zeit ging das mit den Fantas los, und ich habe die Ausbildung verschoben. Das gab zuhause schon den ersten Stunk. Nach unserer ersten Platte hatte ich mich entschieden, das mit der Musik durchzuziehen und flog prompt zuhause raus. Später haben mein Vater und ich uns auf neutralem Boden getroffen und alles bereinigt. Er hatte unterschätzt, daß ich mir alles sehr reiflich überlegt hatte. Und ich sehe im Nachhinein ein, daß es aus seiner Perspektive verdammt riskant war, sich auf so etwas Unsicheres wie Musik einzulassen.

Du bist im Oktober ’96 von Stuttgart nach Hamburg gezogen. Warum?

Ist es nicht immer die Liebe, die uns treibt? Sie bläst in die Segel unserer Boote des Lebens und treibt uns durch die ganze Welt.

Können wir der Liebe auch einen Namen geben?

Ähem, ja, könnte man. Ach nee, besser nicht. Es muß ja nicht jeder wissen, wer sie ist.

Wie lange seid ihr schon zusammen?

Fast drei Jahre sind es jetzt.

Sie lebt schon länger in Hamburg?

Richtig. Zunächst war die ständige Herumfahrerei ja noch ganz romantisch, aber nach einer Weile geht dir das nur noch auf die Nerven. Außerdem habe ich fast 20 Jahre lang in Stuttgart gelebt, ich war verdammt nahe daran, dort alt zu werden. Und da hab‘ ich mir halt überlegt, daß da mal langsam etwas passieren muß.

Stehst du neuerdings auf Fisch?

(lacht) Nein, nein. Es ist schon witzig, die Schwaben fragen mich jetzt immer ganz gehässig: Na, wie ist denn das Wetter da oben? Und die Hamburger sagen alle: Na, is‘ schöner hier, nicht? Und beide haben auf ihre Weise recht.

Hast du dir in Hamburg ein Schloß an der Alster gekauft?

Leider nicht. Es gibt dort so geile Villen, aber das sind höhere Weihen, da komm‘ ich im Leben nicht hin. Ich würde mir schon gerne etwas kaufen, aber zunächst will ich sehen, ob es mir dort auf Dauer auch gefällt.

Also wohnst du zur Miete?

Ja, fünf Zimmer, Altbau.

Hast du mit der räumlichen Distanz zu Stuttgart auch eine gedankliche zu den Fantastischen Vier gewonnen?

Es ist eher ein psychologischer Freiraum. Wenn ich jetzt nach Stuttgart fahre, dann um dort zu arbeiten. Ich kann mich dieser Arbeit auch voll und ganz widmen. Als ich noch in Stuttgart lebte, bin ich wegen jedem Blödsinn, den das Management wissen wollte, die zwei Straßen rüber zum Büro gerannt und habe mich persönlich darum gekümmert, irgendwelche Zettel in irgendwelchen Ablagen zu finden oder sonstwas zu tun. So hat man keine Ruhe und kommt überhaupt nicht mehr zu sich selbst. Also tut mir dieser Ortswechsel sehr gut. Ich merke das daran, daß ich zum ersten Mal auf Tour keine Stimmprobleme habe. Ich kann abends nach der Show auch mal einen trinken oder an einer Zigarette ziehen, ohne daß am nächsten Morgen meine Stimme weg ist. Das war früher chronisch, ich denke, daß das auch psychosomatische Gründe hatte.

Hat sich das Verhältnis der Fantas untereinander verändert?

Wir sind jetzt schon so lange zusammen, man wird über die Jahre von Freunden zu Geschäftspartnern. Man kennt bei seinen Bandkumpels die guten Seiten, die man liebt, genauso gut wie die schlechten Seiten, die man haßt. Dann weiß man auch genau, wann man sich aus dem Weg gehen sollte. Wenn man also mal drei Tage frei hat, sollte man sich nicht ausgerechnet mit seinen Bandkumpels treffen.

Kannst du dich als Privatperson in Hamburg freier bewegen als es in Stuttgart der Fall war?

Kaum wohnte ich da und hab‘ mir im Body Shop um die Ecke mein Duschgel gekauft, mußte ich mich schon ins Gästebuch eintragen. Schon komisch: Nimm‘ meinen Hausmeister, einen Riesen-Fanta-Fan. Der tut alles für mich. Dafür kriegt er CDs oder Freikarten. Es gibt aber einen gravierenden Unterschied zu Stuttgart: Dort gibt es eine sehr viel dichtere Medienlandschaft.

Nervt dich das?

Nein. Zwar steht alles, was du in der Öffentlichkeit machst, am nächsten Tag in der Zeitung. So war ich neulich auf einer Pressekonferenz von Helge Schneider. Und da ich ein großer Helge-Fan bin, habe ich mir von ihm ein Autogramm geben lassen. Prompt war am nächsten Tag ein Bild davon in der Zeitung. Ich muß halt aufpassen, daß ich das alles unter Kontrolle halte.

Hast du schon mal darüber nachgedacht, eine Familie zu gründen?

Nicht so richtig. Der Schritt nach Hamburg war für mich ein Schritt in die Selbständigkeit. Zu viert war es nie schwierig, irgendetwas zu organisieren. Egal ob es darum ging, eine neue Wohnung zu finden oder gemeinsam auf einen Empfang zu gehen. In diesen Dingen bin ich jetzt auf mich allein gestellt. Auch wenn das für einen 29jährigen etwas albern klingt: Für mich ist das ein kleiner Schritt zum Erwachsenwerden. Insofern vielleicht auch in Richtung Familie. Aber derzeit spielt das Thema in meinem Leben keine Rolle.

Was macht Smudo mit seinem Geld?

Ich habe nur ein Laster: Computerspiele. Ansonsten lebe ich ziemlich sparsam. Abgesehen von ein paar immobilien habe wir viel Geld in unser Label „Four Music“ gesteckt.

Habt ihr das Label in erster Linie gegründet, um damit Geld zu verdienen?

Natürlich muß sich das rechnen. Aber in der Aufbauphase kommen da kaum schwarzen Zahlen bei heraus. Wir arbeiten ständig mit anderen Künstlern zusammen, in unserem Umfeld entsteht viel gute Musik, und die soll auf „Four Music“ ein Forum haben. Aber ab und zu überwiegen Geschäftsinteressen die geschmackliche Dinge. Sonst wäre es ein pures Hobby-Label, das uns alle arm machen würde.

Welche Ziete hast du noch mit den Fantastischen Vier?

Wir haben nach wie vor den Ehrgeiz zu zeigen, daß wir eine künstlerische Band sind. In welche Richtung das geht, kann ich aber nicht genau sagen. Wir wollen einfach gute Lieder schreiben. Es ist schade, daß künstlerische Kriterien hier nicht so wichtig genommen werden. Nimm zum Beispiel die Echo-Verleihung: Das wird Blümchen, die im Grunde eine Marionette ihrer Produzenten ist, als „Künstlerin“ geehrt. Wo ist da die Kunst? Da faß ich mir an den Kopf. So jemanden darf man höchstens als „Interpreten“ ehren.

Wo wir gerade von der Echo-Verleihung sprechen: Dort gab es ja eine Schlägerei zwischen Stefan Raab und dem R.H.P.-Chef Moses P. Wie beurteilst du diesen Vorfall?

Ich glaube, daß Moses P. ein sehr ehrgeiziger Künstler ist und daß Stefan Raab ihn offenbar bis aufs Blut gereizt hat. Wahrscheinlich wußte sich Moses nicht anders zu helfen.

Moses P. pflegt gerne sein Image als tough guy. Nimmst du ihm das ab?

Ich glaube nicht, daß er das so ernst meint. Er ist wohl kaum so blöd, sich für die Rödelheimer Ausgabe von Ice T. zu halten.