Steve Winwood
Er gilt immer noch als der große Schweiger. 2O Jahre lang lebte Steve Winwood scheu und zurückgezogen nur für eins: seine Musik. Daß er jetzt endlich den Mund aufmacht und erstmals ungeniert auch über sein Privatleben plaudert, liegt ausgerechnet an Amerika. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten fand der kühle Brite eine neue Plattenfirma, eine neue Frau und eine neue Identität.
ME/SOUNDS: Nach 20 Jahren Zugehörigkeit zu Chris Blackwells Firma – . Island hast du für dein neues Album ROLL WITH IT die Plattenfirma gewechselt und bist nun beim Konkurrenten Virgin America unter Vertrag. Warum?
WINWOOD: „Nun, als ich Island verließ, war es nicht gerade so, daß ich versessen darauf war wegzugehen. Mein Vertrag war mit BACK IN THE HIGH LIFE ausgelaufen; ich begann mich umzusehen, was andere Plattenfirmen für mich boten. Ich spürte letztendlich, daß mir Virgin mehr Möglichkeiten bot — und darum unterschrieb ich. So betrachtet, ist es nicht anders, als wenn man seine Auto-Versicheruns wechselt.“
ME/SOUNDS: Man spricht davon, daß Dir Virgin 12 Millionen Dollar für den Vertrag bezahlt.
WINWOOD: „Ja, wirklich? Also über Geld spricht man nicht, man hat es! Nein, im Ernst, die Summe kann hinkommen, aber du darfst nicht vergessen, daß Virgin auch eine Menge von mir erwartet. Es ist wie bei einem bekannten Fußballspieler, der für viel Geld den Verein wechselt. Von dem erwartet man ja auch viele Tore.“
ME/SOUNDS: Haben andere Companies auch mitgeboten?
WINWOOD: „Ja, es war ein bißchen wie auf einer Auktion. Warner Brothers waren im Rennen. MCA, und natürlich auch Island. Nach dem Virgin-Angebot ging ich zu Island und fragte, ob sie mir das gleiche Geld zahlen würden. Sie sagten Nein, also wäre ich ein Idiot gewesen, wenn ich den Virgin-Vertrag nicht angenommen hätte.“
ME/SOUNDS: In der Öffentlichkeit existierte aber doch immer die Vorstellung, Chris Blackwell und Steve Winwood seien nicht nur Geschäftspartner sondern auch die besten Freunde.
WINWOOD: „Gut, ich habe wohl bessere Freunde, aber ich mag und ich respektiere Chris.
Er hat von Anfang an an mich geglaubt, das tat immer wieder gut. Ich kenne ihn schließlich seit 1964, damals managte er die Spencer Davis Group, und es war 23 Jahre lang eine angenehme und faire Partnerschaft.“
ME/SOUNDS: Er profitierte von dieser Partnerschaft zumindest finanziell sicherlich mehr als du…
WINWOOD: „Da hast du wohl recht. Okay, er ist Geschäftsmann, ich bin es nicht, oder vielmehr: Ich war es nicht. Ich war immer das .Genie‘, der Künstler. Letztendlich bin ich selbst schuld an meiner miesen finanziellen Situation gewesen, denn ich habe mich nie uroß darum gekümmert.“
ME/SOUNDS: Hat Blackwell dich denn etwa ausgenützt?
WINWOOD: „Wie gesagt, er ist Geschäftsmann. Ich habe weder zur Traffic-Zeit noch bei meinen Solo-Alben irgendeinen Vorschuß bekommen. Island hat jeweils die Platten-Produktion bezahlt und dann natürlich später Lizenzen abgerechnet. Ich wußte damals einfach nicht, daß ich mehr hätte verlangen können, ich war nicht interessiert an diesen geschäftlichen Dingen.
Ab einem gewissen Punkt wurde ich von Chris Blackwell auch gemanagt, er war meine Plattenfirma und mein Musik-Verleger. Das ist eigentlich illegal und ein absoluter Interessen-Konflikt. Bis zu meinem Solo-Album ARC OF A DIVER 1980 hatte ich noch nie mit einem Anwalt zu tun gehabt. Ich rief meinen Bruder Muff bei CBS an und fragte ihn: ,Wer ist der raffinierteste Branchen-Anwalt, den du kennst und derjenige, der bisher am meisten für dich herausgeholt hat?‘ Naja, ich sprach mit dem Anwalt, und der war völlig entsetzt über meine Vertragssituation, konnte es einfach nicht glauben.“
ME/SOUNDS: Hat dir der Anwalt sozusagen die Augen geöffnet?
rr ME/SOUNDS: Dir geht immer noch der Ruf voraus, ein typischer Brite zu sein: diskret, distinguiert, scheu und introvertiert.
WINWOOD: „Ich arbeite daran, diesen Ruf loszuwerden. Sicher, ich war immer ,seine scheue Eminenz‘, der Herr Komponist. Aber ich habe im Laufe der Jahre erkannt, daß ich auch ein Entertainer sein kann, wenn ich meinen Hang zum Perfektionismus überwinde.“
ME/SOUNDS: Ist Steve Winwood auch als Privatmann ein scheuer Einzelgänger?
WINWOOD: „Also, ein Party-Löwe war ich nie. Ich liebe das Landleben und habe mich schon früh aufs Land abgeseilt. Das ist eine Art selbstgewählte Isolation. Ich brauchte diese Abgeschiedenheit, um Platten im Alleingang aufzunehmen.“
ME/SOUNDS: Regen Kontakt zu deinen Pop-Kollegen sap man dir auch nicht nach.,.
WINWOOD: „Ich habe mit dem größten Teil der Londoner Musik-Szene nichts am Hut. Fast-Food-Pop, der ausschließlich von Image-Fragen bestimmt wird. Es mag okay sein für die Leute, die sowas machen, aber es ist absolut nicht mein Ding. Schon zu Traffic-Zeiten verzog ich mich aufs Land, nach Gloucestershire. Dort habe ich mein Haus, dort lebe ich mit meiner Familie, meiner zweiten Frau Eugenia, unserem kleinen Mädchen; ein weiteres Baby ist unterwegs. Dort habe ich auch mein ,Netherturkdonic‘-Studio. Ich brauche London nicht.“
ME/SOUNDS: Du hast deine Karriere mit 15 Jahren begonnen. Heute bist du 40. Was hat sich in den 25 Jahren musikalisch am meisten verändert?
WINWOOD: „Ganz eindeutig die technische Seite. Die Aufnahme-Techniken, das Digital-Verfahren, CDs, CD-Video, die Technik der Instrumente, Keyboard-Computer, da haben sich ungeahnte Möglichkeiten aufgetan. Die Musik selbst wiederholt sich immer. Du kennst die Bewegung der Sinus-Kurve? Alles kehrt wieder. Denke nur mal an die Charts: Jackie Wilson, Nina Simone, Eartha Kitt, Musik der 50er in den Charts der 80er. Die Disco-Schwemme wird wieder vergehen. Produzenten wie Stock, Aitken, Waterman in England oder Jellybean Benitez in Amerika wissen auch ganz genau, daß ihre heutigen Produktionen keine Jahrhunderte überdauern werden. Image ist viel wichtiger als in den 60ern, Videos blenden ein wenig, Kleider, Haare, Make-up, alles Marketing-Strategien. Morgen gibt’s schon einen anderen Style. Aber gute Musik wird überleben.“
ME/SOUNDS: Welches musikalische Ereignis hat dich in den 25 Jahren am stärksten beeindruckt?
WINWOOD: „Welches musikalische Ereignis? Ja, die Rock n Roll-Hall-of-Fame. Ich hatte die große Ehre, James Brown in den erlauchten Kreis einzuführen. Fats Domino war da, Jerry Lee Lewis, Ray Charles, es war ein faszinierender und beeindruckender Abend.“
ME/SOUNDS: Wann hast du zum ersten Mal bemerkt, daß du eine „schwarze“ Stimme hast?
WINWOOD: „Ich denke so mit 11 Jahren. Mein Vater war ein halbprofessioneller Musiker, der ständig Platten mit nach Hause brachte. Er kam von der Arbeit, zog sein Dinner Jacket an und spielte mit ein paar Kollegen auf Banketten und öffentlichen Anlässen in Birmingham. Seine Vorliebe galt dem Jazz, und auch mein Bruder Muff begann in Jazz-Bands; ich hörte zuhause Jazz, Soul, R&B. Ich begann, die Songs von Ray Charles, Muddy Waters oder John Lee Hooker mitzusingen, begann sie zu kopieren — und Muff sagte: ,Hey, du singst wie ein echter Schwarzer‘.“
ME/SOUNDS: Hast du deine Stimme bewußt daraufhin trainiert?
WINWOOD: „Nein, nie. Alles ergab sich ganz von allein. Muff brachte mich in eine seiner ersten Bands, und da spielte ich mit Leuten wie dem Posaunisten Rico oder dem jamaikanischen Sänger Jackie Edwards, der später ,Keep On Running‘ oder ,Somebody Help Me‘ für die Spencer Davis Group schrieb. Die R&B-Songs der Schwarzen, die wir anfangs ausschließlich nachspielten, schulten meine Stimme genug. Ich meine, ich verstand damals nichts vom unterdrückten, schwarzen Mann, aber die Feelings dieser Leute beeindruckten mich total.“
ME/SOUNDS: Wenn du an deine vielen Karriere-Stationen zurückdenkst, Spencer Davis, Traffic, Blind Faith, Airforce, Go, deine Solo-Karriere, was hat dich von allem am meisten begeistert?
WINWOOD: (lacht) „So kriegst du mich nicht! Am meisten hat mich immer die Musik begeistert, egal welche Formation sie gerade gespielt hat. Die Magie des Musikmachens hat mich nie losgelassen, obwohl ich mich in den 25 Jahren zwangsläufig weiterentwickelt habe. Es gibt für mich keine Lieblings-Formation, denn ich stand immer zu der Musik, die ich gerade gemacht habe.“
ME/SOUNDS: Blind Faith wurde ja bereits als „Supergroup“ gegründet, oder sollte man besser sagen: erfunden. War das deiner Meinung nach auch der Grund für den schnellen Split der Band?
WINWOOD: „Ja, ich glaube schon. Keiner von uns vieren verstand damals etwas vom Musik-Business. Es begann ganz harmlos: Eric Clapton und ich wollten zusammen Musik machen, und jeder wollte etwas anderes machen als zuvor bei Spencer Davis oder Cream. Mit dem Album BLIND FAITH gelang uns das auch.
Das Marketing von unserer Plattenfirma und unserem Management aber zielte in eine andere Richtung. Wir spielten auf einer US-Tour 20 Nächte vor je 20000 Leuten, und die wollten eigentlich nicht Blind Faith, sondern Cream hören. Das war das Ende vom Lied: Wir standen da als Blind Faith auf der Bühne und spielten alte Cream-Songs. Das nahm Blind Faith die eigene Identität, wir bekamen überhaupt nicht die Chance, eine eigene Identität zu entwickeln.“
ME/SOUNDS: Du hast im Laufe der Jahre mit unzähligen hochkarätigen Musikern gespielt. Welches Erlebnis war am beeindruckensten?
WINWOOD: „Das Zusammentreffen mit Jimi Hendrix; ich spielte die Orgel auf .Voodoo Chile‘. Wir nahmen damals eine Nummer noch in einem Rutsch auf; er sang und spielte Leadgitarre gleichzeitig. Ich habe nie mehr später einen solchen Meister auf der Gitarre erlebt. Er wußte genau, was er wollte und konnte es exakt umsetzen. Dabei war er korrekt, höflich, liebenswert. Keine Spur von einem wilden, drogenzerfressenen Tier, wie ihn die Presse immer hingestellt hatte.“
ME/SOUNDS: Hattest du selbst zu irgendeinem Zeitpunkt deiner Karriere Drogen-Probleme?
WINWOOD: „Ja und nein. Als ich sie hatte, waren sie mir nicht bewußt. Feh meine, ich ließ immer meine Finger von harten Drogen. Heroin tötet, und ich nehme auch kein Koks, nie! Aber zu den Traffic-Zeiten rauchten wir alle Dope wie die Weltmeister. Aber auch damit habe ich vor 15 Jahren aufgehört. Ich kann damit nichts mehr anfangen, im Gegenteil, es macht dumm.
Ich kann mich deswegen kaum mehr an die Traffic-Zeiten erinnern. Wir spielten wilde Sessions auf der Terrasse vor meinem Landhaus, oft bis 5 Uhr morgens, und rauchten uns den Kopf voll, aber ich konnte mich später an nichts mehr erinnern. Das ist für einen kreativen Musiker das schlimmste Alarm-Signal.
Heute trinke ich ein paar Bier, ich gehe gut essen und kämpfe auf dem Fahrrad oder beim 5-Meilen-Joggin? gegen die überflüssigen Pfunde an.“
ME/SOUNDS: Was war das letzte Konzert, das du gesehen hast?
WINWOOD: „Ich sah Tito Puente, dann Little Feat mit Bonnie Raitt — und erst kurz bevor ich von Amerika zurück nach Europa flog, Robert Cray & The Neville Brothers in New Orleans, ein phantastisches Konzert.“
ME/SOUNDS: Welche Platte hast du dir zuletzt gekauft?
WINWOOD: „Crowded House. Tolle Songs, und ein hervorragend produziertes Album. Die Jungs kommen in Amerika ganz groß an.“
ME/SOUNDS: Beschreibe doch mal einen ganz normalen Tag im Leben von Steve Winwood.
WINWOOD: „Einen ganz normalen Tag? Ich stehe gegen 9 Uhr auf, frühstücke und gehe um 10.30 Uhr ins Studio, arbeite 12 Stunden bis 22.30, trinke ein Bier oder zwei und gehe ins Bett. Dann stehe ich wieder auf, frühstücke, gehe ins Studio… Ist die Platte fertig, kommt die Promotion. Ich stehe um 9 Uhr auf, frühstücke, mache ab 10.30 Uhr Interviews. TV- oder Radio-Dates bis 22.30 Uhr, ein paar Bier und ab ins Bett.“
ME/SOUNDS: Wie läßt sich das mit einem Familien-Leben vereinbaren?
WINWOOD: „Ich muß die Familie manchmal hintenanstellen. Es ist extrem schwer, in meiner Situation ein normales Familien-Leben zu führen. Ich verpaßte zum Beispiel den ersten Geburtstag meiner Tochter, weil Promo-Termine anstanden und ich nicht nach Hause konnte.“
ME/SOUNDS: Welche Umstände sind für dein Songwriting wichtig?
WINWOOD: „Ich arbeite unter Druck am besten. Zeitdruck zum Beispiel, wenn der Veröffentlichungstermin für eine Platte feststeht. Ich habe Weihnachten ’87 begonnen, an ROLL WITH IT zu arbeiten. Zuerst in Dublin, im gleichen Studio, das U2 so lieben, später dann in Toronto. Wenn die Technik stimmt, sind Ort und Drumherum unwichtig. Ich habe alleine in meinem eigenen Studio gearbeitet, ich habe das letzte Album im hektischen New York aufgenommen und wollte jetzt neue Studios sehen.“
ME/SOUNDS: Ist dir dein eigenes Studio nicht mehr gut genug?
WINWOOD: „Doch, doch, die Technik stimmt.
Ich hatte es sogar zwischenzeitlich an Talk Talk, Christine McVie und David Gilmour vermietet, aber ich wollte konzentriert arbeiten, weg von zuhause, mich nicht ablenken lassen.“
ME/SOUNDS: Du schreibst kaum Texte selbst, sondern arbeitest mit festen Textern zusammen.
WINWOOD: „Ich arbeite daran, auch die Texte für meine Songs zu schreiben, aber es haben sich in den Jahren feste Partnerschaften entwickelt, zu meinem Ex-Traffic-Kollegen Jim Capaldi zum Beispiel. Ein sehr guter Freund von mir. Mit ihm konzipiere ich die Texte. Ich spiele ihm die Grund-Komposition auf dem Klavier vor, wir reden darüber, um was es in dem Song gehen könnte — und er arbeitet dann die Texte aus. Es ist ungefähr so, als wenn zwei Maler mit einem Pinsel malen.“
ME/SOUNDS: Dein Haupttexter ist Will Jemings.
WINWOOD: „Ja, ein amerikanischer Musik-Verleger brachte uns 1980 zusammen, und es entwickelte sich eine sehr kreative Partnerschaft. Will ist enorm gefragt, er schreibt zum Beispiel auch für Whitney Houston, aber wenn ich ihn rufe, läßt er alles andere sausen.“
ME/SOUNDS: Hast du noch andere Interessen neben der Musik?
WINWOOD: „Ich gebe viel Geld für Autos aus. Und ich liebe Tiere. Seit 12 Jahren züchte und trainiere ich Hunde. Ich finde es faszinierend, mit Tieren zu sprechen, zu versuchen, ihre Instinkte zu verstehen, mit ihnen umzugehen. Wenn ich mehr Zeit hätte oder ein völlig anderes Leben führen würde, könnte ich mir vorstellen, Raubtier-Dompteur zu werden.“
ME/SOUNDS: Hat deine Tochter dein Leben verändert?
WINWOOD: „Ich lebe bewußter seitdem. Ich hatte eine Zeitlang große Probleme mit meiner Frau Nicole und war deprimiert, als wir uns trennten. Ein Grund mehr, aus England wegzugehen. In New York traf ich Eugenia, die aus Nashville stammt. Vor zwei Jahren haben wir geheiratet, und ich habe anschließend viel Zeit bei ihrer Familie in Tennessee verbracht. Ich habe einige phantastische Musiker dort getroffen, wie zum Beispiel Wayne Jackson und Andrew Love, den Trompeter und den Saxophonisten der Memphis Horns, die schon auf unzähligen Stax-Soul-Klassikern der 60er mitspielten. Sie spielen bei vier Titeln auf ROLL WITH IT.
Es sitzen überhaupt eine Menge amerikanischer R&B-Musiker in Nashville, die mir halfen, die Geschichte der amerikanischen Musik zu verstehen. Letztendlich haben sie alle bewirkt, daß es mir gelang, eine Synthese aus R&B und Soul zu finden, daß ich zu den Ursprüngen meiner Musik zurückfand, mit dem Unterschied, daß ich heute verstehe, was ich spiele.“ uli weissbrod