Kolumne

Von Kiss bis Roy Orbison: Eine Ode an das Band-Shirt


Jan Müller erklärt in seiner Kolumne, warum er ein On-Stage-T-Shirt-Träger ist und bleibt.

Während ich diese Kolumne schreibe, trage ich ein T-Shirt der Band Äni(x)Väx. Damit sind wir schon beim Thema: Band-Shirts. Manchmal hadere ich damit, als 53-Jähriger noch immer diese Art der Oberbekleidung zu tragen. Vor 30 Jahren hingegen gab es für mich kein besseres Kleidungsstück als ein bedrucktes T-Shirt. Selten habe ich mich so wohl gefühlt wie in meinem Kiss-Shirt aus dem Jahr 1987. Damals, in den 90ern, glaubte ich vermutlich, dass ich dreißig Jahre später meine T-Shirt-Phase überwunden ­hätte. Dem ist nicht so. Allerdings hätte ich seinerzeit wohl auch nicht geglaubt, dass ich im Jahr 2024 noch immer in einer Rockband spielen würde. Es ist zwar wahr, dass man auch als Musiker in einer Band Anzüge tragen kann; Gruppen wie die Bad Seeds oder Die Haut haben es uns vorgelebt. Aber dies nachzuahmen, strebe ich nicht an. Da bleibe ich lieber ein On-Stage-T-Shirt-Träger.

Zumindest versuche ich, in der Motivwahl glaubwürdig zu sein. Zum Beispiel war ich in jungen Jahren tatsächlich ein begeisterter Äni(x)Väx-Hörer. Ihr Smash-Hit „Schock und Drama“ auf Rock-O-Rama und ihr Tape LIVE AUF TENERIFFA liefen bei mir in Dauerschleife. Daher ist es nur konsequent, dass ich es jetzt nachhole, ihr Shirt zu tragen. Band-Shirts sind ein schönes und in der Regel harmloses Bekenntnis zu musikalischer Leidenschaft. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Aber diese lasse ich hier aus. Mir geht es um positive Erlebnisse. Jüngst sah ich am S-Bahnhof Hamburg-Rothenburgsort einen Menschen, der ein Shirt der Punk-Crossoverband LWS trug. Sofort erkannte ich das Album-Motiv JUST CONFUSED. Ich war kurz davor, ihm zu seinem Kleidungsstück zu gratulieren, so sehr habe ich mich gefreut. Es ist viel besser, Werbung für eine Band zu machen, als für irgendeine sinnlose Marke. Warum gingen eigentlich Konzerne wie Nike, Gucci etc. dazu über, ihre Namen großflächig auf ihre Produkte zu drucken? Ich finde es grob und fade, Fan einer Klamottenmarke zu sein.

Ich kann  jeder Person aus den Augen ablesen, ob sie gerne Nirvana hört, oder ob sie die Musik dieser Band noch nicht einmal zuordnen kann

Zurück zum Band-Shirt: Sehr auffällig ist, dass ich immer wieder Menschen in ­Nirvana-T-Shirts begegne, bei denen ich zweifelsfrei davon überzeugt bin, dass sie keine Fans dieser Band sind. Lustige Omas, Kinder, Globetrotter und Pilgerreisende. Ich kann Menschen ihren Musikgeschmack nicht ansehen. Aber ich kann zumindest jeder Person aus den Augen ablesen, ob sie gerne Nirvana hört, oder ob sie die Musik dieser Band noch nicht einmal zuordnen kann. Und bei Nirvana-Shirt-Träger:innen ist dies überdurchschnittlich oft der Fall. Öfter als bei allen anderen superbekannten Bands, deren Shirts man bei Modeketten kaufen kann. Die Träger von Nirvana-Shirts haben zu 98 Prozent mit Nirvana nichts am Hut. Mich macht traurig, dass es ausgerechnet dem empfindsamen Kurt Cobain posthum passiert, dass Menschen völlig bezugsfrei T-Shirts seiner Band tragen. Gerade er, der doch die Bandnamen am liebsten aus Begeisterung und Missionsdrang selbst auf seine Kleidung kritzelte. Vermutlich tat er es, weil es seinerzeit schlicht keine Shirts von Bands wie zum Beispiel Flipper zu kaufen gab. Es gab zwar Mailorder. Aber deren Angebot war beschränkt.

Heutzutage bekommt man in den zwielichtigen Print-On-Demand-Internetshops fast jedes Motiv. Ich gebe zu, dass auch ich deren Angebot nutze. Zum Beispiel kaufte ich mir dort ein Longsleeve des finnischen Hardrock-Sängers Michael Monroe. Das trage ich aberwitzig gerne. Vielleicht auch deshalb, weil ich mich in diesem Shirt ein wenig fühle wie er. Ich hatte das Glück, ihn vor vielen Jahren live in Helsinki zu sehen. Im Verlauf der großartigen Show wechselte er fünfmal das T-Shirt. Witzigerweise griff er stets zu Michael-Monroe-Shirts oder aber Shirts der Hanoi Rocks (das ist seine frühere Band). Ich wünsche Michael Monroe, dass er mindestens 250 Jahre alt wird. Ich glaube, er wird es schaffen.

Als ­würde man den toten Wellensittich Roy durch einen gleichfarbigen ersetzen und wieder Roy nennen

Schlimm ist, wenn man ein Lieblings-T-Shirt verliert. Ich trauere zum Beispiel noch immer meinem Motörhead-T-Shirt hinterher (Iron Fist UK-Tour 1982). Natürlich war ich nicht als Elfjähriger 1982 in England, um mir Motörhead anzuschauen. Ein irrer Brite schenkte mir dieses T-Shirt vor Jahrzehnten in Portugal. Welch Glück! Und jetzt ist es einfach weg. Ich schäme mich. Ich könnte ein Exemplar überteuert bei Ebay kaufen. Mache ich aber nicht. Das wäre, als ­würde man den toten Wellensittich Roy durch einen gleichfarbigen ersetzen und wieder Roy nennen.

Apropos Roy. Ich spiele mit dem Gedanken, mir ein Roy-Orbison-T-Shirt zuzulegen. Gerade wird ein schönes Exemplar beim Dienstleister Etsy angeboten. Aufschrift „Roy Orbison on Tour“. Ob Roy Orbison jemals Band-T-Shirts getragen hat? Vermutlich nie. Eventuell trug er ab und zu mal ein Electric-Light-Orchestra-Tour-Shirt, dass Jeff Lynne ihm vielleicht mal bei einer Probe der Traveling Willburys zugesteckt hatte (Motiv: „The Big Night“). Aber mit Sicherheit trug Orbison das Shirt nie in der Öffentlichkeit, sondern allenfalls dann, wenn er in seinem Hobbyraum Modellflugzeuge montierte. Ich sehe übrigens gerade, dass das Roy-Orbison-Shirt im Netz Vintage ist und 167,89 Euro kosten soll. Egal, ich glaube, ich greife zu.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 12/2024.