Devendra Banhart: „Ich musste das Tanzen mit der Traurigkeit lernen“
Ein Gespräch über das Liebenlernen des inneren Konflikts, Cate Le Bon und die Essenz von Notizbüchern.
„Mein Leben ist seit jeher von einer low-level peripheren Traurigkeit bestimmt. Es fühlt sich so an, als hätte mich die Traurigkeit schon seit meiner Geburt komplett durchdrungen. Ich musste wohl oder übel das Tanzen mit ihr lernen.“ Devendra Banhart sagt Sätze, die in etwa die Wirkung eines wuchtigen Zusammenpralls von Knie und Stuhl haben. Er formuliert sie niederschmetternd und seine kaffeewarme Stimme ertönt dabei dennoch in vollmundiger Heiterkeit. Der 42-jährige Texaner mit venezolanischen Wurzeln ist diese Art von Typ, der im Apokalypse-Szenario die Gruppenleiter-Funktion übernehmen müsste.
Schließlich ist er sich der vielen Missstände in der Gesellschaft bewusst und hat sich dennoch für „eine ziemlich sentimentale“ Sichtweise auf die Dinge entschieden, die alles so schön retro einfärbt. Eine Eigenschaft, die er selbst oft genug fragwürdig fand, auf die er aber nun positiv blickt: „Ich bin stolz darauf, dass ich es hinbekommen habe, diese Eigenschaft für mich neu zu definieren. Lange Zeit war ich sehr sentimental, wenn es um Dinge ging. Ich habe nichts wegwerfen wollen, weil es mir Halt zu geben schien. Inzwischen habe ich meine Sentimentalität von reinen Objekten abgewendet und schätze ein leeres Haus. Es ist ja nicht wirklich leer, sondern voller Potenzial“, führt er aus, während auf seiner Seite des Zoom-Calls beständige Klangschalen-Sounds den Hintergrund ausfüllen.
„Cate Le Bon ist die Meisterin des Raumes“
Um richtig aufzuräumen, bat er für sein elftes Album, FLYING WIG, Cate Le Bon um Mithilfe. Als Fan ihrer Arbeit musste sich Devendra Banhart dennoch überwinden, die Waliserin zu fragen. „Cate ist die bessere Songschreiberin, Sängerin, Poetin und Produzentin und deshalb musste ich richtig viel Mut aufbringen, um mich ihr in der Arbeit zu stellen“, gibt er sich übertrieben bescheiden, denn halbe Sachen sind nicht der Stil des Musikers mit den vielen Genre-Flirts.
Laut Presse-Storytelling soll Cate Le Bon ihm einst die Haare geschnitten haben und allerspätestens über selbstgestochene Tattoos hätten die beiden dann heftig gevibt. Aus der Freundschaft entstand eine Kommunikation auf Song-Ebene. Gerade, als sich Banhart besonders hilf- und wortlos fühlte und in die komplette Introspektion zu driften drohte, gab sie ihm neue Möglichkeiten an die Hand. Eine davon war ein nachtblaues Gala-Kleid als Outlet für das, was er bis dahin nicht einzuordnen wusste. Nun ist das besagte Dress ein Teil des Cover-Artworks und der aktuellen Fotoreihe von Banhart. Mit dem imposanten Stück Stoff könne er auch seiner femininen Seite näher kommen und aus den stagnierenden, inneren Konflikten herauskommen, so sein Narrativ. Aber nicht nur das: „Cate Le Bon hat es geschafft, dass meine Songs nicht mehr zu beladen sind. Sie ist die Meisterin des Raumes.“
Das Freiraum-Geben als Gedankenmultiplikator
Nach ersten Wortfindungsstörungen ploppten dank der Le-Bon-Zusammenarbeit Song-, Melodie- und Soundideen in alle Himmelsrichtungen auf. „Ich hatte Notizbücher über Notizbücher parat“, die er alle in nur ein Album, den Nachfolger vom 2019er-Werk MA, pressen wollte. Die Antwort von Cate Le Bon funktionierte fabelhaft für den Artist mit dem Hang zu Metaphern als Gehhilfe.
„Sie meinte: ‚Lass uns versuchen, in deiner Idee den Stein, der singt, zu finden.‘ Sie schichtete ab und destillierte.“ Genau das wäre ihre Kunst. Banhart ließ sich nur zu gerne darauf ein und schuf ein Psychedelic-Dark-Pop-Werk, das in seinem seit 2002 veröffentlichten Œuvre hervorsticht. Weil es ihn wirklich wie Devendra Banhart in einem Paralleluniversum klingen lässt. Weil es so düster ist, dass die Traurigkeit nicht mehr überhört werden kann.
Auch die Negativgedanken hätte Le Bon mit ihrer Arbeitsweise offengelegt. Das Freiraum-Geben als Gedankenmultiplikator, ob man das nun mag oder nicht. „Ich habe aber das Gefühl, wir Menschen versuchen immer Zeit zu füllen. Als wäre Zeit nur dafür da, dass sie gefüllt wird. Und wenn man etwas anderes als dieses Befüllen probiert, erscheint es wie das Schwerste der Welt. Wie meditieren. Ohne Handy dazusitzen, lässt einen oft mit Selbstzweifeln zurück. Eine Flut von negativen Gedanken prasselt auf einen ein, man fühlt sich unwohl. Weil es so wirkt, als hätte man mit dem Versuch zu meditieren auch ein Orchester des Selbsthasses eingeladen, in diesem Moment mit dem Proben loszulegen“, erzählt er – und meint damit auch seinen Schreibprozess.
Dystopische Stadt versus Hippie-Natur-Spot
Schon als er in Kathmandu war, formten sich in der Stille Gedanken dieser Art, von denen er nur noch nicht wusste, wie er sie in Songs verpacken sollte. In Nepal begann Banhart dann mit dem Schreiben und machte im Himalaya weiter. Die verschiedensten Orte prägten bereits früher sein künstlerisches Schaffen – Caracas, wo er mit seiner Mutter aufwuchs bis er 14 Jahre alt war, später Los Angeles, dann seine Studienzeit in San Francisco, das Leben in Paris und danach wieder der Wechsel zwischen San Francisco und Los Angeles, ohne festen Wohnsitz. Rastlos und inspiriert, so erscheint der Mann, der seine Songs wie einen Fluß auf Albumlänge entstehen lässt, der alles andere als wild gemixt wirkt, auch wenn Banhart beständig vom inneren Chaos spricht.
Diesmal wurde ein Hauptteil der Platte in Kalifornien aufgenommen. Etwas, das man dazusagen muss, da es in den zehn Stücken nicht vordergründig hörbar ist. Eine Anmerkung, die die Heiterkeit in Banharts Stimme noch saturierter werden lässt. Er bestätigt: „Kein Song fühlt sich nach Tag an. Das Album ist eher eine dystopische Stadt. Cate und ich mussten schon sehr lachen, weil wir die Platte in so einem Hippie-Natur-Spot aufnahmen – überall diese schönen Tiere, Vögel und Hasen, die man beobachten konnte, und wir waren im ehemaligen Haus von Neil Young und machten etwas völlig anderes mit den äußeren Einflüssen. Dunkelheit war ein wichtiger Teil dieses Prozesses und gleichzeitig wollten wir auch Hoffnung vermitteln.“
„Das Album ist für mich wie das Weinen in einem Whirlpool“
Dualität schätzt Devendra Banhart. Sein Werk ist stark davon geprägt. „Das Album ist für mich wie das Weinen in einem Whirlpool – es ist dir zum Heulen zumute, aber immerhin kannst du dich dabei auch körperlich gut fühlen“, meint er und man hört förmlich, wie sein Lächeln so breit wird, dass die Zähne zum Vorschein kommen. Auch wenn er sich in seinen Texten auf Bitterkeit, Ängste und Sehnsüchte fokussiert, ist er ebenso zum Feiern aufgelegt. „Ich kann mir alles kaufen, überall hinfahren, mich ablenken, aber die Traurigkeit wie auch die Dualität werden bleiben. Doch weißt du, was auch bleibt? Die Möglichkeit, mich mit meiner Kunst auszudrücken – und das muss ich zelebrieren, oder?“
Für ihn ist es ebenfalls eine Feier, dass er auf Cate Le Bon traf. Dass sie ihm eine neue Aufgeräumtheit ermöglichte. Und er sich traute, daraufhin sogar alte Notizbücher zu vernichten. Nein, noch krasser: sie zu verbrennen. „Ich hatte es mir angewöhnt, in den Schränken, in denen man eigentlich Töpfe, Geschirr oder Vorräte bereithält, Notizbücher zu verstauen. Dieser Küchenbereich wurde zu meinem Archiv mit Tausenden von Tagebüchern, Ideen und Notizen, einfach weil ich eh kein guter Koch bin. Und nun habe ich dieses Archiv verbrannt. Über zwei Wochen lang machte ich jeden Abend ein großes Feuer. Das hat mich befreit.“
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