Vanishing Twin
AFTERNOON X
Fire Records/Cargo (VÖ: 6.10.)
Eine seltene Form des Hypno-Pop trifft kosmische Drums- und Bass-Spiele auf Weltklasseniveau.
Eine Art Tapetenmuster mit wechselnden Bestandteilen: Wir sehen Lippen und kullernde und sich öffnende und schließende Augen; es ist reichlich Betrieb in diesem Muster. Nicht der Stoff, aus dem Videoträume sind, aber mit der Stimme von Cathy Lucas und dem kosmischen Klanggewebe, das Drummerin Valentina Magaletti (die auch für Bat For Lashes und Gruff Rhys spielte) und Bassist und Chefelektroniker Susumu Mukai (alias Zongamin) produzieren, entwickelt das Muster-Flackern eine hypnotische Qualität.
AmazonEs ist ein Sound, der die Vorabsingle „Afternoon X“ wie die anderen sieben Tracks des Albums weit nach draußen katapultiert. Vanishing Twin spielen seit ihrem ersten Album 2015 die Idee eines multinationalen, die Zeiten und Räume durchquerenden Avantpop mit der unbedingten Lust auf Erweiterung im Stile eines Pop-Ablegers vom Sun Ra Arkestra aus. Es hat auch etwas von Jazz hier, wenn die Band ihr Universum im Track „Lotus Eater“ scheinbar improvisierend ertastet, nur, dass der Part, der sonst Saxofon oder Trompete gehört, jetzt von Analogsynthesizern übernommen wird.
Im „Lazy Garden“ frönt Cathy Lucas dem Müßiggang, ihre Stimme wandert über zittrige Synthesizer-Bahnen, das Geklapper und Geraschel führt aber in einen Klang-Keller, in dem der eine oder die andere Serientote untergebracht sein könnte. Vanishing Twin legen weite Wege zurück, aber wohin soll’s gehen? Ist das Stück Psych- und Electro-Lounge-Nostalgie auf den Spuren von Stereolab, der Future-Sound, den Broadcast immer schon spielen wollten, oder eine Inklangsetzung einer nostalgischen Zukunft im Hier & Jetzt, da viele überhaupt keine Zukunft mehr erkennen können? Auf jeden Fall eine großartige, verstörende, erhellende Platte.