Robot-Superschlau oder künstliche Demenz? Wie die KI nach der Musik greift
Linus Volkmann hört computergenerierte Musik, die wie Oasis klingen will – und sieht, wie Böhmermanns „Menschen Leben Tanzen Welt“-Persiflage schneller Realität wurde, als man gedacht hätte.
Schon wieder irgendwo das Häkchen klicken, dass man kein Roboter ist … Lästig, oder? Aber sie tummeln sich eben überall, auch die Musik bleibt nicht verschont.
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Geht euch das auch so? Dass in eurem Umfeld immer mehr Leute die mehr oder weniger drückende Sorge formulieren, ihr Job könne möglicherweise bald von einem Roboter erledigt werden? Und damit meine ich nicht mal meine Clique aus der Schwerindustrie, die einen weiteren Automatisierungsschub in der Fertigungsanlage erwartet, nein, ich meine vor allem Leute, deren Jobprofil irgendwas mit Text zu hat.
Man spüre bereits den oxidierten Atem der „Künstlichen Intelligenz“ im Nacken – nur noch drei, vier Stellschrauben und man muss für Foodora, Gorillas oder Uber-Foods fahren. Und das auf seinem Hipster-Einrad oder dem Lastenrad, aus dem doch gerade erst Malte-Apfelsine und Cordula-Maria herausgewachsen sind.
Künstliche Demenz: Autocorrect und Facebook
Ach, computergenerierte Texte werden das neue Fließband, die nächste Dampfmaschine, denke ich dann immer achselzuckend und blicke auf mein Handy. Auf Facebook habe ich eine Verwarnung erhalten, Grund dafür: Ein Meme, das ich vor einem Jahr gepostet habe, zeigt Anna Beimer-Ziegler und Mutter Beimer. Erstere fragt, ob Benny Beimer wohl jetzt Corona-Leugner sei. Eigentlich sollte ich „Einspruch“ erheben, denn das ist offensichtlich ein Witz und keine Falschinformation. Ich mache es allerdings nicht, der Gedanke, einem dieser superschlauen Facebook-Sanktionsprogramme Humor erklären zu wollen, deprimiert mich bereits zutiefst. Eine WhatsApp später, ich bin immer noch im Handy, das Autocorrect-Programm ändert wieder komplett übergriffig und falsch das Bindewort „und“ in das Personalpronomen „uns“ – zuletzt hat es aus „gepasst“ sogar mal ein „gefaßt“ gemacht. Ein schönes Wiedersehen an dieser Stelle mit dem sogenannten Rucksack-s und vor allem mit Orthographie von vor der Rechtschreibreform 1998.
Doch nur weil kein Tech-Konzern Bock hat, diese Smartphone-Applikation upzudaten oder Menschen statt Social-Media-Sanktions-Programme zu beschäftigen, heißt das ja nicht, dass die komplette Künstliche Intelligenz immer noch auf dem Stand eines mobbenden Schulabbrechers der Neunziger Jahre ist.
Auch ich bin schon mit dem Phänomen ChatGPT konfrontiert worden. Am nachhaltigsten als mir ein Freund einen endlosen langen Talk zwischen Schopenhauer und Voltaire zukommen ließ. Dabei die alarmierenden Worte, den habe sich die KI erdacht, bald werden wir alle überflüssig sein!
Offen gestanden, meine Kenntnis der Werke von Schopenhauer und Voltaire ist durchaus so löchrig, dass ich über die Faktenfestigkeit dieses Fake-Dialogs keine Aussagen treffen kann, doch die gequirlte wie ziellose Neuanordnung dessen, was sich der ChatGPT aus den verfügbaren Quellen angeeignet hat, hat mich vor allem nach einer Seite unfassbar angeödet. Gut, der Job für Ghostwriter philosophischer Dialoge ohne Pointe scheint ziemlich zu wackeln, aber ist das alles wirklich so eine Bedrohung?
Stochastik ungleich Intelligenz
Im vergangenen Jahr habe ich eine interessante Ausstellung zum Thema Künstliche Intelligenz im HMKV in Dortmund gesehen. Dort wurde der Hype (nicht nur) mit künstlerischen Mitteln bespiegelt und Hintergründe hinter all den spielerischen Apps der Jetztzeit aufgezeigt.
Achtung, jetzt kommt ein wichtiger Quote für all die, die sich von dem aktuellen KI-Hype tatsächlich erschüttert fühlen. Er stammt von Francis Hunger, einem der drei Kurator:innen jener Ausstellung „House Of Mirrors“:
„Ich war am Anfang selbst sehr fasziniert. Aber je mehr ich mich reingearbeitet und mir auch die technischen Grundlagen angesehen habe, desto mehr habe ich festgestellt, dass dort sehr wenig Intelligenz herrscht. Sondern dass es hauptsächlich um Mustererkennung geht und um Statistik. Man könnte daher auch, wenn man es böse formuliert, das ganze Feld als automatisierte Statistik bezeichnen.“
Dieses Zitat holt den aktuellen KI-Hype ganz gut auf den Boden zurück, doch natürlich darf man die Macht der Muster und der Statistik nicht unterschätzen. Der Siegeszug von Streamingdiensten mag erstmal an dem neuen, bequemen Musikabspiel-Format gelegen haben, doch auch die Algorithmen von Spotify und anderen tragen seinen Teil zur Attraktion solcher Anbieter bei. Als Musikjournalist sieht man das natürlich mit verheulten Augen, dass jene Algorithmen Musik hinsichtlich von Frequenzen, Beats und Ähnlichem so genau bestimmen können, dass sie dir andere Songs von sehr ähnlicher Tonalität empfehlen können. Songs, die mitunter dann tatsächlich den Geschmack der Hörenden treffen. Kategorien wie textliche Aussagen oder die wichtige Frage, wofür steht ein Act, bleiben zwar außen vor, doch der Funktionalität solcher Algo-KIs tut das keinen Abbruch.
Blumfeld-Bots und Toco-Droids
Und es geht natürlich noch tiefer. Wo sich vor 15 Jahren in Musikforen noch kreativ der Arsch abgefreut wurde (versuche mit solchen unerwarteten Formulierungen die KI zu irritieren, die sicher bereits versucht, auch meine „einmalige“ Schreibe vorauszuberechnen), also wo sich der Arsch abgefreut wurde, war, als zu Internetforen-Zeiten die Fans kenntlicher Bands wie zum Beispiel Blumfeld und Tocotronic sich gemeinsam ausdachten, wie könnten neue Songtitel ihrer Lieblingsband heißen.
Hierbei handelt es sich am Ende auch um ein erbauliches Spiel aus Mustererkennung und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Jetzt, wo bei solchen Spielen die KI mitmacht, hat so eine Wahrsagerei hinsichtlich neuer Songtitel natürlich ihren Spaß verloren. Ich meine, wer hat schon Bock auf Kopfrechnen, wenn es einen Taschenrechner gibt?
Der nächste Schritt ist nun, klar, dass die KI Songtexte „im Stile von“ einer populären Band schreibt. Doch Entwarnung: Wie floskelhaft, emotionsarm und überraschungsbefreit will man denn texten, dass das ein elektronisches Stastistik-Monster genauso gut hinkriegt? Die Antwort auf diese Frage lautet natürlich „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“.
Hier wurde schon vor dem ChatGPT-Hype seziert, wie austauschbar und phrasenhaft der kommerziell ausgerichtete Popschrott sein kann. Und natürlich kann diese Lyrics ein Computer nachbauen und vielleicht macht das den einen Texter oder die andere Texterin, die fleißig an Universal Herzschmerz-Zeilen pitcht, langsam nervös. Doch im Endeffekt weiß jede:r: Die Demo, auf der dafür aufgestanden wird, dass die ganzen entbehrliche Popschlager-Gebrauchstexte weiter in Menschenhand bleiben müssen, wird es nicht geben. Wer wirklich in diesem Berufsfeld feststeckt, sollte vielleicht schon mal das Einrad generalüberholen für diese Bewerbung beim Kurierdienst – oder halt einfach mal was Einmaliges texten. Etwas so Einmaliges, dass selbst die KI „denkt“, „okay, darauf hat jetzt wirklich keine:r kommen können, verdammter Fleischsack!“
Von ABBA zu Aisis
Ein wenig mulmig wurde mir dann aber, als mein Kollege Ingo Scheel für seine Recherche zum Thema einen Link präsentierte: Aisis „The Lost Tapes“. Also Musik einer Künstlichen Intelligenz (AI steht für artificial intelligence) im Stile von Oasis? Über „Deep Fakes“ sind mittlerweile Popclips mit bereits verstorbenen Musiker:innen möglich. Was eigentlich nur folgerichtig ist, denn dies scheint einfach der nächste Schritt zu sein nach Konzerten, auf den Tupac als Hologramm auftrat – oder wenn man an ABBA denkt, die sich live mithilfe von Avataren doublen lassen. Doch dass die KI nun ganze Alben „im Stile von“ hinbekommt, das ist selbst mir als Kulturoptimist nicht mehr wirklich geheuer. Allerdings ist meine Expertise hinsichtlich Oasis sehr begrenzt.
Es würde mich daher sehr interessieren, wie überzeugte Fans der beliebten Gallagher-Brüder die Qualität jener Musik einschätzen. Da es allerdings keine Gästebücher auf Webseiten mehr gibt, möchte ich euch verweisen auf den greisen Scheinriesen „Facebook“ (#StandingOnThShoulderOfGiants). Bei mir höchstselbst (wurde gerade verwarnt = badass!), aber vor allem natürlich der Facebook-Account des Musikexpress steht für Diskussionen offen.
Und allen, die bei der Vorstellung von zwei KI-Gallaghers bereits Batteriesäure trinken wollen, sei gesagt, dass sich aus dem begleitenden Text dieses „Acts“ nicht hundertprozentig erschließen lässt, welche Rolle hier die KI genau spielt und welche eine Oasis treue Fan-Band. Mir zumindest bleibt diese Info in letzter Konsequenz schleierhaft – auch wenn ich den YouTube-Begleittext zu „The Lost Tapes“ mir von dem Programm DeepL habe übersetzen lassen.
Fazit: Irgendwann macht uns die KI vielleicht wirklich platt, aber den Soundtrack bis dahin lasse ich mir noch nicht von einem Roboter komponieren. Oder ist das schon diskriminierend hinsichtlich der Schaltkreis-Community? So oder so: Willkommen in der Zukunft!
Und nun zu etwas völlig anderem
Kati von Schwerin
Bei soviel Künstlichkeit möchte ich diese Kolumne besonders gern noch mit einer schwer atmenden Empfehlung schließen. Kati von Schwerin, das ist eine Songwriterin aus dem Umfeld der BVB-Ultras. Ihre Art zu schreiben und zu singen, hebt sie für mich deutlich ab von vergleichbaren Acts. Doch ganz so viel kostbares Alleinstellungsmerkmal bekommt „dem Markt“ oft auch nicht so gut, daher möchte ich hiermit händisch darauf hinweisen, dass just ein neues Album von Kati von Schwerin erschienen ist. Es ist ihr drittes und trägt den Titel WELCOME BACK HOME und bringt sie noch mal einen Schritt weiter. Hat ein bisschen was von „Bonnie Tyler für uns junge Leute“, sage ich mal.
Doch Kati von Schwerin schreibt nicht nur tolle Songs – in ihrem einstigen Podcast „Derby WG“ wurde man stets auch konfrontiert mit ihrem Talent für „Rants“, also lustvolle Schmähungen, die Kati dabei vornehmlich gegen nervige Zeitphänomene richtete. So bat ich den Beatles-Fan auch mal in Aisis hineinzuhören, also diesen bereits erwähnten KI-Act. Sie übermittelt dazu einige deutliche Worte, mit denen ich diese Kolumne nun beende. Danke Kati von Schwerin.
„War das wirklich nötig, dass sich die KI nun auch noch an der Kultur vergreift? Hat es nicht gereicht, dass Spotify & Co so lange auf die Musik eingedroschen haben, bis sie zum Wegwerf-Artikel verkommen ist? Jetzt kann man sich also auch noch selber ein Album von KünstlerIn XY basteln, weil man nicht länger aufs nächste Werk warten will? Wer wirklich glaubt, es gäbe irgendwo oder irgendwann einen Ort oder eine Zeit, wo Musik und KI Hand in Hand liebevoll über eine Blumenwiese laufen, der hat bis heute nicht verstanden, was Musik bedeutet. Es geht um Authentizität, Emotionstransport & Seelen-Genuss. Nichts, was KI jemals leisten können wird. Und wenn irgendjemand auf die Idee kommt, per KI ein neues Prince-Album zu kreieren, haue ich ihm höchstpersönlich aufs Maul.“
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