Gazelle Twin :: The Entire City

Anonym und geschlechtslos: arty Neo-Goth aus Brighton

Wer Gazelle Twin bei ihrem ersten Deutschland-Auftritt im Oktober im Berghain in Berlin gesehen hat, hat nicht viel gesehen. Drei maskierte Menschen auf einer Bühne, anonym, geschlechts- und gesichtslos und eingehüllt in Dunkelheit, die von den Visuals hinter der Bühne aufgebrochen wurde. Es war die betont künstlerische, musiktheatralische Präsentation des Neo-Goth, wie man ihn dieser Tage ja so gerne hat. Neo-Goth wirft, wie alles im Pop, die Frage nach der Authentizität auf, mit denen sich andere populäre Kunstformen gar nicht erst auseinandersetzen müssen. Nicht einmal der kleinste Kleingeist würde erwarten, dass Jack Nicholson im wirklichen Leben Frauen mit der Axt jagt, um die Rolle des Jack Torrance in „Shining“ „authentisch“ zu spielen. Im Pop dagegen schwingt der Gedanke mit, einer wie Brian Warner sollte im Privatleben doch ähnlich veranlagt sein wie die Kunstfigur Marilyn Manson, die er vor Jahren noch ziemlich erfolgreich verkörpert hat. Gazelle Twin befinden sich wie das Genre, dem sie zugerechnet werden, in der Phase vor der Affirmation, bevor Epigonen-Bands und Fans, die es wirklich ernst meinen, einen Lebensentwurf aus dieser Kunst machen werden. Gazelle Twin ist das künstlerische Vehikel für Elizabeth Walling aus Brighton. Dabei kommen Avantgarde-Elektronik, Ambience, Strukturen aus der Neuen Musik, Bläser, Percussions, Synthesizer zusammen – alles in der Dunkelheit der Auftritte von Gazelle Twin gehalten. Dazu Wallings Stimme, der durch die Zuweisung des Adjektivs ätherisch Unrecht getan werden würde. Der Vergleich zu Fever Ray liegt nahe, aber mehr noch der mit Joni Mitchell, die das Genre gewechselt hat, um ihre Sopranstimme in ein neues kreatives Umfeld zu verpflanzen.

Key Tracks: „The Entire City“, „Men Like Gods“