Jean Michel Jarre :: Essentials & Rarities

Disques Dreyfus/Soulfood

Die Rehabilitation des französischen Synthie-Pomp-Onkels durch ein paar elektronische Heimarbeiten aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern

Wenn Jean Michel Jarre im Herbst wieder auf Tournee geht, bespielt er TUI-Arenen und O2-Welten. Der Franzose hat sich schon mit seinem Synthesizer-Park vor den Pyramiden aufgebaut und den Platz des Himmlischen Friedens in Peking besetzt, er gastierte beim Papstbesuch in Lyon. Eine Nummer kleiner und unprätentiöser geht es in der Regel nicht. JMJ gilt als Synonym für Großmannssucht in der alten elektronischen Musik, er macht den Auftritt gerne zum Spektakel mit Lasershow, Explosion und Projektion. Pomp und Kitsch nagten gewaltig am frühen Ruhm des Sound-Melangeurs. Wer mochte sich in den Reihen der progressiven Electronica auf solch einen verschwendungssüchtigen Monarchen berufen, dessen Kunstwerke schon längst das Haltbarkeitsdatum überschritten zu haben scheinen? Die frisch aufgelegte Doppel-CD Essentials & Rarities kommt jetzt einer gewissen Rehabilitation Jarres gleich; während Album eins noch einmal die Hits aus den Siebzigern abspielt („Oxygene 4“, „Equinoxe“), fokussiert das Rarities-Album die experimentellen Aufnahmen der späten Sechziger und frühen Siebziger, die bislang einer kleinen Liebhaber-Gemeinde vorbehalten waren. Die früheste in den Archiven aufgetauchte Aufnahme stammt aus dem Jahr 1968, Jarre hat „Happiness Is A Sad Song“ mit einem Mikrofon auf zwei Revox-Tonbandgeräten mitgeschnitten: elektronische Wellenspiele, handgemachte Drones und filmreife Gruselchöre – Musik aus der weiteren Verwandtschaft der BBC-Radiophonic-Tapes von Daphne Oram und Delia Derbyshire. „Erosmachine“ (1969) ist eine erste kleine Loop-Fantasie auf Harmonium, Holzblöcken und den Stimmen, die im Delay zu einem weiteren Instrument werden. Wir dürfen ein paar Ansätze zum späteren Pathos notieren, was nichts daran ändert, dass der Elektro-Student Jarre mit diesen Aufnahmen noch einmal neu bewertet werden sollte: halb Elektro-Nerd, halb ambitionierter Soundtracker, ein Komponist auf der Schwelle vom Heimwerker zum Synthesizer-Onkel für die so gerne schwelgende Mehrheit.