We Are Rising :: Anticon/Indigo

Kunstpop-Ästhetik trifft HipHop-Beats und schönste digitale Texturen auf einem Bierdeckel.

Kennt sich denn überhaupt jemand mit Son Lux aus? Ist dieses Album a) ein in drei Jahren entstandenes Konzeptwerk eines Graduierten der Indiana University School Of Music? Oder b) die Neuaufnahme eines bisher unbekannten Songzyklus von Sufjan Stevens? Etwa c) eine Auftragsarbeit unter der Federführung des Komponisten Nico Muhly? Oder d) ein sinfonischer Schnellschuss in 28 Tagen? Antwort d) ist so richtig wie erstaunlich.

Kurzer Schwenk ins Making-of: Es sind 35 Minuten Musik, die Ryan Lott alias Son Lux uns mit diesem Album schenkt, und es hätte keine Minute mehr sein dürfen. Lott nahm am Wettbewerb eines lokalen Musikmagazins teil, das jedes Jahr Musiker zur „RPM Challenge“ einlädt: Zehn Songs oder 35 Minuten, nur Eigenkompositionen, alle im Februar aufzunehmen. Lott geht einem geregelten Job für die Butter Studios in New York nach, er schreibt u.a. Musik für Tanzcompagnien. „No Way“ soll Lotts erste Reaktion auf das 28-Tage-Angebot gewesen sein. Als er sich mit dem Gedanken an die extreme Herausforderung aber angefreundet hatte, entdeckte er, dass die Eingebung offensichtlich auch den Gesetzen des Marktes gehorcht. Der verlangte nach Eile. In der Eile kam Lott, sonst eher ein Flaneur zwischen den Stilen, zwischen U und E, TV Ads und intensiven Sounderkundungen, auf den Punkt. Zum Glück des Komponisten fand sich mit dem befreundeten Songwriter und Multiinstrumentalisten DM Stith ein bald unverzichtbarer Mitspieler ein, der dieser in Opulenz erstrahlenden Musik eine weitere Facette verpasste: Das Verhuschte, Hausgemachte, Abgedunkelte.

Die neun Songs klingen, als hätte man einen archaischen Instrumentenpark zum Leben erweckt, einen Chor und eine Popgruppe mit einer hochwohlklingenden Ouvertüre beauftragt und einen elektronischen Bildhauer fürs Menuett. Kurz vor dem Finale im Track „Rising“ geben Lott und DM Stith die fabelhaften Sangesboys ab, die sich mit Wonne durch einen futuristischen Musical-Track schaukeln. Björk hätte das kaum besser geschafft. Die Songs drehen in höchste melodische Höhen und fallen in kühle Abstraktion. Alles auf dem Raum eines Bierdeckels. We Are Rising ist ein Jubelwerk von seltener Schönheit, Lott verbindet klassische Kunstpop-Ästhetik, HipHop-Beats und digitale Texturen zu triumphierenden Sinfonien, die sich dem zarten Säuseln wie dem schweren Elektro-Blues verschreiben. So große Kreise diese Songs drehen, so klein wird möglicherweise der Einfluss des Künstlers bleiben; Lott hat ein Einzelstück angefertigt, das mehr Schwanengesang auf als Halali für den orchestrierten Indie-Pop ist, der mit Bands wie Arcade Fire und Efterklang seinen Klimax schon überschritten hat. Weiter, höher, besser geht nicht, davon künden auch die traumhaften Arrangements und wunderschönen melancholischen Heuler. We Are Rising wird als Solitär einer Kunstmusik mit dem Vergessen kämpfen müssen. Man sollte diese Platte gut aufbewahren, sie könnte Seltenheitswert erlangen.

Ryan Lott lässt Kammermusiken in Disney-Parks einrücken und Van-Dyke-Parks-Soundlandschaften auf Homeboy-Terrain errichten. Das aus einem Breakbeat mit Klarinettenbegleitung langsam herauswachsende hymnische „Let’s Go“ ist der Höhepunkt in dieser hochkarätigen Pop-Sinfonie, die mit ihren klassischen Background aber nie zu sehr die Werbetrommel rührt. Anders gesagt: We Are Rising geht immer noch als Album aus der Avant-HipHop-Schule Anticon durch.

Antwort a) beschreibt übrigens das Son-Lux-Debüt At War With Walls And Mazes von 2008. Kommen wir doch noch einmal zu Antwort b) zurück. Nicht nur, dass Kollegen aus Sufjan Stevens‘ Asthmatic-Kitty-Mischpoke Lott im Studio unterstützten, We Are Rising ist der wahrscheinlich beste Songzyklus, den Sufjan Stevens selbst nie veröffentlicht hat. Ein Geniestreich, der Stevens mindestens drei Jahre und 100 Mitarbeiter „gekostet“ hätte, den er in seiner 50-States-Phase hätte aufnehmen können. Diese neun paukenden und trompetenden Artpopsongs können es mit den besten Arbeiten aus den Streicherzoos der U-Musik aufnehmen. Man sollte sich beim guten Gespräch über Pop dann bald mit Son Lux auskennen können. Antwort c) könnte ich mir übrigens für das kommende Son-Lux-Album vorstellen.